883
98/31
Kgsberg den 20
Oct.
85.

32
Gnädiger Herr,

33
und Freund

34
Am Erndtefest auf dem Wege nach der Kirche erhielt ich Ihr Freuden-

35
Billet,
auf deßen Innhalt ich schon lange gewartet hatte mit dem innigsten

S. 99
Antheil. Gott erhalte Mutter und
Tochter
, und laße Ihr Haus geseegnet

2
seyn mit neuer Liebe und Wonne des Lebens – vermehre die Pfänder und

3
Zeugen Ihres Glücks und Wohls. Ich hoffe, daß die Gnädige Frau bereits

4
einer erneuerten Gesundheit wider genießen, und die liebe kleine Fräulein ein

5
reicher Ersatz aller diesjährigen Mühseeligkeiten Ihnen beyderseits seyn

6
möge! In eben diesem Augenblicke, da ich diesen Brief angefangen hatte,

7
kommt Hill in mein Haus geflogen, mit einem Tumult, den Sie sich leicht

8
vorstellen können – Meine Tochter ist vorigen Sonntag eingeseegnet worden,

9
und Montags war seines Stillschweigens wegen, seit seiner Abreise von

10
Wien, beynahe so überzeugt ihn nicht mehr wider zu sehen, daß ich schon mit

11
dem Vorsatz umgieng alle noch hier übrigen Beyträge seiner und meiner

12
Wohlthäter wider abzuliefern. Dienstags erhielt ich von ungefehr durch

13
einen Juden, der von Berlin zurückgekommen war, ein sehr unzuverlässiges

14
Gerücht von ihm dort gehört zu haben. Mit dieser Post wollten zwey

15
Comtoire
deshalb nach Berlin schreiben – und da ist er selbst! gesunder,

16
feister und geputzter. Er hat
Capt. Bentevegni
besucht, der alle Augenblicke

17
den zweyten Seegen seiner Ehe erwartet, und seiner alten Freundschaft treu

18
bleibt.


19
den 15 des Christm. 85.

20
Den 21
Sept.
erfreute mich unser Freund Dorow durch Ueberbringung der

21
beyden höchst ähnlichen Gemälde. Meinen innigsten Dank habe ich

22
wenigstens durch meinen Gehorsam zu äußern gesucht; HE Seemebald hat seine

23
Arbeit, ohne selbige vollendet mir gewiesen zu haben, abgesandt, und

24
jedermann, der sie gesehen, hat mir seine Zufriedenheit damit versichert.

25
Um mein unvergebliches Stillschweigen und die Unterbrechungen meines

26
Briefes einigermaaßen zu entschuldigen, fahre ich fort in den freundschaftl.

27
Erzählungen meiner Zerstreuungen, denen ich beynahe untergelegen.

28
Den 7
Oct.
überraschte mich in meinem damals leeren und wüsten Hause

29
der jüngere Graf zu Stolberg, und erwartete bey leeren Wänden, offenen

30
Thüren und Fenstern über ein paar Stunden meine Zu Hause kunft. Er

31
gieng als Gesandter des Fürstl. Eutinschen Hofes nach Rußl.

32
Ich habe einige Wochen den gewesenen Lehrmeister meines Michaels in

33
Graventihn gegenwärtigen
Pastor.adjunct.
in Petersdorf bey mir

34
beherbergt. Die glückliche Widerkunft meiner Freundin u Gevatterin
Me

35
Courtan
aus Riga und eines jungen Paars aus Frankreich nach ihrer

36
Heimath in Deutschland, der mir sehr interessante Aufenthalt eines

S. 100
liebenswürdigen Rußl.
Majors Tiemann
– Das erste Stück des
XIII
Bandes von

2
der Allg. deutschen Bibliothek den ich am 1. Advent zum Frühstück mit der

3
Post erhielt enthält eine sehr politische Recension des Golgotha – Mein

4
Freund Jacobi in Düßeldorf, der ein Büchlein über Spinoza geschrieben,

5
und darinn bewiesen, daß Leßing Spinozist gewesen, hat mir
gemeldet
daß

6
Claudius für seine Rebecca, die von einem todten Knaben entbunden

7
worden, sehr beängstigt gewesen –

8
Den 7 d, kam ich mit dem
NB.
eines gantz auf die rechte Seite verzogenen

9
Mundes und einer schon an sich schweren Zunge zu Hause. Zum Glück war

10
eine
Dosis Ipecacuanha,
die ich für eine epileptische Dienstbotin vor einigen

11
Wochen hatte holen laßen. Ich wurde durch den Gebrauch dieses Mittels

12
bald erleichtert, und den Tag drauf durch einen sehr artigen Brief des Gr.

13
Christian zu Stolberg aus Tremsbüttel wieder aufgerichtet, und befinde

14
mich mit meinem Hause recht wohl.

15
Unter diesem Wechsel von Leiden und Freuden, bin ich, Hochzuverehrender

16
Freund und Gönner weder meines alten grauen Kopfs, noch meines guten

17
Willens selbst mächtig gewesen, bringe heute diesen
Brouillon
eines Briefs

18
so gut ich kann, zu Ende, um mich theils dadurch zu erleichtern, theils zu

19
neuen Zerstreuungen, denen ich entgegen sehe, vorzubereiten und darauf

20
gefaßt zu machen.

21
Ihre alte geprüfte Freundschaft wird dieses alles so gütig aufzunehmen

22
wißen, daß ich kein Wort deshalb weiter verlieren darf. Daß ich meinen

23
Reiseplan nicht aus dem Gesichte verliere, sondern
in petto
daran arbeite,

24
der Rest meiner Gesundheit und irdischen Zufriedenheit davon abhängt,

25
können Sie leicht erachten. Mit solchen Grundeis in der Seele, ist man zu

26
nichts aufgelegt,
und
Eins ist bey mir Alles.

27
Gott laße es Ihnen, und Ihrer sanft- und demüthigen Gemalin an

28
Weynachtsfreuden nicht fehlen und Ihr kleines Ebenbild gedeyen und wachsen zu

29
Gottes Ehre und Ihrer
Freude
Wonne! Heil und Seegen zum Neuen

30
Jahr über Ihren Hof, Güter, Menschen, Felder und
Scheunen
. Vor allem

31
Gesundheit und Zufriedenheit mit dem Gegenwärtigen, nebst der besten

32
Hofnung für die Zukunft.

33
Ich umarme Sie, und mache Sie zum Dollmetscher meiner Gesinnungen

34
die ich der Gnädigen Frau und kleinen lieben Fräulein nicht auszudrücken

35
imstande bin. Mein Johann Michel mit seinen Schwestern empfiehlt sich

36
gleichfalls Dero geneigten Andenken und kommt eben von einer kleinen

37
Uebung auf Schlittschuh zu Hause. Hill ist gut versorgt bey meinem alten

S. 101
Freunde Jacobi, in deßen Hause er lebt und erinnert sich seiner Wohlthäter.

2
Ich ersterbe mit der innigsten Ehrerbietung

3
Ihr

4
alter ergebenster Freund und Diener

5
Johann Georg Hamann.


6
Pr. Kraus wird als Mentor Vater und Sohn begleiten, wenn die Reise

7
zu stande kommt = so der HErr will. und wir leben. Der philosophische

8
Vorleser ist mein lieber
Pfenninger
.

Provenienz

Druck ZH nach der überlieferten handschriftlichen Abschrift Arthur Wardas. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Preußisches Staatsarchiv Königsberg, Depot Auerswald.

Bisherige Drucke

ZH VI 98–101, Nr. 883.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
100/5
gemeldet
]
Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH:
gemeldet,
100/26
und
]
Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH:
und
100/30
Scheunen
]
Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH:
Scheunen