884
101/9
Kgsb den 22 8
br
85.

10
Sie erhalten, mein lieber Jonathan, mit diesem Briefe nichts als ein

11
freundschaftl. Geschwätz, wie Kraut und Rüben durch einander. Ich glaub

12
es Ihnen schon gemeldt zu haben, daß ich den 1. d. wie ich noch im Bett lag,

13
ein ganzes Kästchen vom Kr. Scheffner erhielt, mit dem Museo, von Anfang

14
an, bis auf die beyde letzte Jahre 84 u 85, welche er nicht zu Hause gehabt.

15
Den Tag nach Abgang meiner Antwort bekam durch Gelegenheit und

16
folglich ein etwas alt gewordenes Schreiben vom
D.
Lindner, der in Jena sehr

17
zufrieden lebt und nicht weiß, wie und wenn er diesen für ihn so angenehmen

18
und einträgl. Ort verlaßen soll. Den 7. d. wollte ich eben den Anfang machen

19
mit dem Museo, nahm
h
daher den
I.
Band auf meine Amtsstube mit. Es

20
war der zweyte Tag der Herbst
revue,
und 100 Bosniaken dazu einmarschirt.

21
Jung und Alt lief. Meine beyde jüngste Mädchen hatten auch Lust zu

22
maulaffen, ich gieng also aus, ihnen einen sichern Ort wenigstens zu bestellen. Auf

23
dem Wege fällt mir ein, nach dem Ende der Stadt einen Auftrag von Lindner

24
zugleich mit auszurichten, weil ich die Hälfte des weiten Ganges dadurch zu

25
ersparen glaubte. Alle diese Märsche waren verloren, meine Kinder machten

26
sich meiner Vorsicht nicht zu Nutze, kurz der halbe und ganze Weg war

27
umsonst gethan, und alles was mir begegnete, sollte mich irre führen. Ich war

28
um 9 Uhr ausgegangen u kam erst gegen Mittag auf das
Licent
zurück, wo

29
man mir entgegen rief, nach Hause zu eilen. Mit dem Bande des Museums

30
unter dem Arme, thate ich im Sprunge die paar Schritte. Meine Hausmutter

31
hatte zum Theil uns alle entfernt um die Stube waschen und nothdürftig

32
Fenster und alles was hängt, für den Winter reinigen zu können. Da find ich

33
den Grafen Fr. Leop. zu Stolberg – der über 2 Stunden in dem Wust auf

34
mich gewartet – die Nacht angekommen war und denselben Nachmittag

S. 102
abreisen wollte als Eutinscher Gesandter nach Petersburg. Ich erfuhr diesen

2
klägl. Zeitverlust erst nachher, und bildete mir ein, daß er kurz vor mir

3
angekommen war. Dem allen ohngeachtet verweilte er sich bis über 1 Uhr und

4
ich muste ihn fast bitten nicht den Mittag im Kayserlingschen Hause zu

5
versäumen, wohin ich ihn begleitete. Ich kam so ermüdet und erschöpft nach

6
Hause, daß ich meinen Mittag verschlang und mit einem Anfall von

7
fieberhafter Kälte (nach einer mir eben so natürl. Erhitzung) ins Bett kriechen

8
muste. Den Brief von Claudius war weder im stande zu lesen, noch zu

9
verstehen. Der Name des Ueberbringers war mir bekannt genug, aber ohne die

10
beiden
lucida sidera
recht unterscheiden zu können, welches ich mit desto mehr

11
Antheil aus dem deutschen
Museo
gelernt, das ich vom 7–19 d.

12
durchgepeitscht habe.


13
den 23
Dom XXII.

14
Heut vor 8 Tagen ließ die Baronesse meine
Lisette Reinette
einseegnen

15
oder wie man es hier nennt,
confirmi
ren. Ich hielte meine Andacht, und

16
schickte Mutter, Bruder und Schwestern als Zeugen hin, schrieb an

17
Scheffner, dem ich Antwort u Dank schuldig war, dachte mit Wehmuth an

18
Hill, der seine Schülerin wol nicht mehr sehen würde. Den Montag beym

19
wider
Erwachen dachte wider mit Kummer an ihn, weil ich seit seiner

20
Abreise aus Wien weder aus Weimar, wo ich neuen Vorspann für ihn

21
besorgt hatte nichts erhalten. Dienstag des Morgens besucht mich ein Jude,

22
der aus Berlin zurückgekommen war. Ich that mehr im Scherz als Ernst

23
die Frage an ihn, ob er meinen Hill nicht gesehen hätte. Er versicherte von

24
ihm in Berlin gehört zu haben. Er muste mir sogleich versprechen, deshalb

25
mit der ersten Post dort hin zu schreiben; laufe denselben Mittag zu Vetter

26
Jacobi, der eben an seinen Vetter Nicolai zu schreiben hatte – Donnerstags

27
gegen Abend komt
Hill
selbst, dicker, feister und gesunder, mit lauter guten

28
Nachrichten, worunter die zärtliche Sorgfalt, welche
Lavater
und

29
Herder
, und besonders des erstern Freunde in Welsch- und dem halben

30
Deutschl. ihm erwiesen, mich bis in die Seele gerührt. Den Freytag drauf

31
speisten wir bey Jacobi, und der Contract wurde geschloßen, daß er daselbst

32
wohnen und leben wird, als Hofmeister seiner Kinder. Gestern speisten wir

33
bey Hippel – und beym
Dessert
wurde ich herausgeruffen, und lief mit dem

34
mir zugebrachten ersten Exemplar der
Mendelssohnschen

35
Vorlesungen über das Daseyn Gottes
, das mir Brahl mein alter

36
Freund und Hills naher Anverwandter zuschickte.
Ueber dies Buch bin ich

37
gestern beynahe eingeschlafen

S. 103
Heute speist meine älteste Tochter mit ihrem ersten Schulmeister Hill,

2
Bruder Raphael Hippel mit Louischen Miltz, einer Vetterin u. Schülerin

3
von Hill bey mir. Hill hat sich zieml. zu Rom im Arabischen zu üben

4
Gelegenheit gehabt.
Mein Hans Michel stand vorigen Montag um 4 Uhr des

5
Morgens auf. An statt in seinem Herodot oder Homer zu studieren, ertappe

6
ich ihn über eine arabische Grammatik, und daß er sich übt die Buchstaben

7
nachzumalen – vermuthlich aus Ahndung
. Wie es in meinem Kopf und

8
in meinem Hause spukt, können Sie sich kaum vorstellen. Die einzige Unruhe,

9
welche mich qvält, ist Herders Stillschweigen, daß ich weder eine Zeile noch

10
den zweiten Theil seiner Ideen erhalte. Nun geh ich in die Kirche, um den

11
zweiten Theil der
Eucharistie
– Gott weiß wie? und wie lange? –

12
nachzuholen. Es war mir nicht möglich, den ersten Theil vor 8 Tagen zu Ende zu

13
hören.
Ach die Schwätzer an heiliger Stätte – und die rabbinische

14
Vorlesungen –
vt mihi saepe Bilem, saepe iocum

15
Demohngeachtet lohnt es immer noch in des HErrn Haus zu gehen, und

16
den öffentl. Versammlungen bey zu wohnen.


17
Des Abends –

18
Es ist heute den ganzen Tag bey mir Jahrmarkt gewesen – und der letzte

19
Besuch war ein Brief von unserm lieben Herder, der Gottlob gesund ist, den

20
Printz August von Gotha, den jungen Forster – Ihre Emilie samt dem

21
ganzen Fürstl. Gefolge, unter dem ich blos den
Namen
des Secretairs

22
vermiße – ist doch wol nicht der, den Sie neulich Ihr
factotum
nannten? – um

23
sich gehabt.

24
Jetzt bin gegen das Ende des zweiten Bandes in meinem
Monboddo.

25
Der Anfang des dritten fängt sich mit einer Geschichte der Metaphysik an,

26
auf die ich äußerst neugierig bin. So bald ich mit diesem Buch fertig seyn

27
werde, wird Ihr
Spinozabüchlein
, wie es
Claudius
nennt, mein einziges

28
Studium seyn. Eilen werd ich und kann ich auch nicht; versprechen kann

29
ich auch nichts: aber das meinige will ich mit allem Vermögen thun, es mag

30
nun herauskommen, was da wolle. Rechnen Sie auf weiter nicht als einen

31
vrceum

32
Ihren Beyträgen zu Gefallen kam mich die Lust an, das deutsche Museum

33
durchzulaufen. Ich habe Mehr von Ihnen vermuthet zu finden – die beyden

34
letzten Jahrgänge fehlen mir aber noch zu den 16 Bänden, welche ich noch

35
um mich liegen habe.

S. 104
Die
beyden ersten Stücke
machen meines Wißens den
I
Band

2
Ihrer vermischten Schriften aus; sind aber selbst nur ein Fragment Ihres

3
Woldemars
, von dem Anfang und Ende im Mercur stehen. Diesen

4
Woldemar hoff ich selbst einmal abzuholen.

5
Hernach find ich 81. wider ein Fragment über
Recht u Gewalt
, das Sie

6
mir mit ein wenig
animosität
gegen den Mercur geschrieben u mit ein

7
wenig Laune gegen das Museum scheinen abgebrochen zu haben. Ich bin

8
mehr auf W. Seite und die herrliche Stelle welche Sie selbst ausgezogen

9
haben, daß hinter dem
Minimo
von Weisheit eine in allen Regierungen

10
hinter die Scene spielende und stark in die Augen leuchtende Theokratie sey,

11
ist für mich ein recht evangelisches und christliches Senfkorn, trotz aller der

12
sophistischen Erde, in die es verscharrt ist, ein ächter Diamant auf einem

13
Misthaufen –

14
Die beyden letzten betreffen des
Mirabeau
großes Werk und sind von

15
83. Ich habe alles nur mit den Lippen kosten müßen. Den Abdruck von

16
Ihren
Erinnerungen
hab ich schon durch Ihre Güte erhalten. Wer ist

17
aber der Verfaßer von den
Gedanken Verschiedener
? – und wo

18
finde ich Ihre Vergleichung zwischen
Protestanten
und
Katholiken
?

19
Erklären Sie mir doch auch die Buchstaben mit Puncten in dem fr. Briefe

20
der vortrefl. Fürstin – Auf dem Denkmal ihres großen würdigen Freundes

21
heißt Sie
Adelaide
u in Ihrer Antwort
Emilie
– Mit was für Vergnügen

22
habe ich die Beyträge des lieben Raths Sprickmanns gelesen, deßen Namen

23
ich aus B. Briefen behalten, ohne den braven Mann zu kennen.

24
Sind die kleinen allerliebsten
Bchz.
von unserm Alcibiades? und „Dein

25
Buchholz
war schon abgereist“ in dem Auszug eines Schreibens an S.
dd

26
Rom 780. geht ihn doch auch an?

27
Un.
scheint mir
Sturz
zu seyn, deßen Sammlung ich auch noch nicht

28
gelesen habe, sondern blos einzelne Stücke. Das Vergnügen, womit ich in

29
weniger als 14 Tagen die 16 Bände durchgewandert, wie Hill Italien und

30
Deutschl. und die Schweitz, ist für mich unaussprechlich gewesen, und hat

31
mich mit einer Art von Heimweh in Ihre Gegenden mit Sinnen und Geist

32
versetzt. Geben Sie mir doch den Schlüßel zu meinen Anfragen, und schreiben

33
Sie mir auch, was Ihnen bey Gelegenheit des Museums einfällt, weil ich

34
noch den vor- u diesjährigen Band erwarte, und nicht eher als bey Erhaltung

35
derselben die 16 Bände zurück geben will.

36
Ich habe große Versuchung gehabt nach P. zu schreiben, weil Stolbergs

37
Erscheinung und Hills
Recuperation
zu den Epochen dieses Jahrs gehören,

S. 105
welche die Leere meiner Seele ein wenig ausgefüllt haben und die Gegenwart

2
des letztern meine Lebensgeister ziemlich jetzt beschäftigt. –


3
den 26.

4
Die Post ist leider versäumt. Stolberg brachte mir einen Brief vom

5
Claudius,
worinn er im Vorbeygehen an schmale Bißen denkt. Wie ich mich

6
darüber erschr
eckte
ocken, weil hier ein junger Mensch aus Büschens
Pension

7
von einem reichen Jahrgehalt, das Gr. Schimmelmann ihm bestimmt hätte

8
u dergl. Dinge mehr, die theils öffentl. theils
privatim
ausgesprengt werden.

9
Alles erlogen – und jedermann der ihn besucht, lobt seine häusl. Einrichtung

10
und
Aufnahme
. Alles kam mir unwahrscheinl. vor, selbst sein Stillschweigen

11
darüber gegen mich, daß ich mir aus meinem außerordentl. Gefühl seiner

12
Dankbarkeit erklärte, und einer misverstandenen Stelle seiner Schriften.

13
Er soll liebe gut erzogne Kinder haben. Gott gebe ihm doch bald einen

14
reichen vernünftigen Schwigersohn zum Vormund und
Curator,
wie ich mir

15
selbst einen wünsche und nöthig habe. Ob ich aus dem seltenen Mann
klug

16
werden möchte
, wenn ich ihn selbst zu sehen bekomme, wie ich so viel

17
Jahre lang in meinem Herzen gewünscht und gehofft, bin ich neugierig –

18
Sie haben Hemsterhuis gesehen – und vielleicht ist auch
Lavater,
der sich

19
um meinen Hill so väterl. verdient gemacht, bey Ihnen gewesen. Grüßen und

20
herzen Sie Ihn von mir.
Claudius
hätte diesen wilden Menschen über

21
Düßeldorf
expedi
ren können – mir war es unmögl. und weil ich aus

22
Weimar keinen Laut hörte, gab ich fast alle Hofnung auf ihn widerzusehen, und

23
danke Gott daß ich ihn hier habe für Hippels Raphael und meinen Michael –

24
mit denen er gestern schon hebräische und ital. Stunden angefangen. Er hat

25
sich wacker zu Rom im arabischen geübt, wornach mein Junge auch brennt,

26
daß ich alle Mühe und Gewalt brauchen muß, dies tolle Gespann zu regieren

27
und zu lenken, und wie sauer es mir wird mein eigen kahles graues
caput

28
mortuum
im Gleichgewicht zu erhalten.


29
den 28
Simon. Judae.

30
Ich bleibe diesen ganzen Nachmittag zu Hause, um fortzufahren. Ich

31
hatte vorgestern frühe obiges geschrieben, und gieng um 7 Uhr nach der

32
Stadt, um etwas nach Sprintlacken an Scheffner zu bestellen. Auf dem

33
Rückwege hab ich die kleine Freude noch von einem Juden Abschied zu

34
nehmen, der eben mit seiner jungen Frau, die er hier geheirathet, in den Wagen

35
stieg. Er dient bey Hartknoch und steht seinem jüdischen Buchhandel vor.

36
Weil Comm. R. Fischers Haus in der Nähe war, sprach ich an um mich

37
nach einer Einl. von Ihnen zu erkundigen. Die Briefe waren aber noch nicht

S. 106
von der Post eingegangen. Kaum war ich auf meiner Loge, so bringt mir

2
HE Comm.rath selbst Ihre Einl. die mir herzl. Freude gemacht. Mein

3
ganzes Haus war bey Hills
Oncle,
dem Reg.Feldscherer Miltz eingeladen,

4
der in dänischen u holl. Diensten ein paar Reisen nach
Guinea
gethan. In

5
meiner Abwesenheit wurde bey mir ein Päckchen wider von Hartknoch

6
eingereicht, worinn ich Herders 2
ten
Theil fand, den ich gestern durchgelaufen,

7
und heute dem Hofrath Metzger auch nur zum Ansehen hingebracht.

8
Dem Himmel sey Dank für die gute Nachrichten von unserm B. Gott

9
helfe die Familie gesund und glücklich zur häuslichen Ruhe! und zum vollen

10
Genuß der Zufriedenheit, die ich Ihnen tagtäglich wünsche. Mein Magnet

11
wirkt, aber mit beyden Polen. Er hats angefangen, und nicht ich – meine

12
Reise ist eine
Gewißenssache
für mich, sie ist
Schuld
und
Pflicht
in

13
Ansehung meines
Wohlthäters
, meiner
Freunde
, meiner
selbst
und meines

14
lieben
Sohns
, zu deßen Bildung und Lebenserfahrung ich gern, alles was

15
ich kann und vermag, beytragen möchte. Gesetzt daß sich auch jedermann

16
seines Urtheils und seiner vorgefaßten Meinung von mir schämen müßte:

17
so ist dem Reinen alles rein – und die Vorsehung wird auch die Weisheit

18
ihrer Wege zu rechtfertigen wißen. Ich sage es Ihnen also zum letzten

19
mal zum voraus, daß Sie an mir einen alten armen Mann sehen werden,

20
der ohne allen Umgang noch Weltkenntnis – bisweilen gar nicht denken, und

21
kein kluges Wort vorbringen – seine Verlegenheit auch andern empfinden

22
laßen muß mit dem lebhaftesten Bewuß
t
sein dieser Unvermögenheit, ohne

23
dem Uebel abhelfen zu können, wenn er scheu geworden ist.

24
Für die mir mitgetheilte Beyl. danke desto mehr, weil Sie meinen Wunsch

25
sie urkundlich zu sehen errathen haben. Zum Glück besann ich mich auf eine

26
kleine Anekdote, die mir meine Freundin
Me Courtan
von einem jungen

27
Menschen erzählt, der Hofmeister
v
bey ihren Kindern war, und
von
de
m
r

28
sie
den
Abschreiber der Lebensläufe einmal in die gröste Verlegenheit

29
gesetzt, daß er ihn bey dieser Arbeit ertappt hatte. Gestern morgen suchte ich

30
diesen Mann auf, bey deßen Vater ich noch
Collegia
gehört und den ich sehr

31
selten bey meiner Freundin gesehen. Ich wieß ihm eine Zeile und die Hand

32
Ihrer Beylage, und er erkannte sogl. und nannte mir den Namen seines

33
Freundes, der einige Jahre als
Copist
bey H. gedient und jetzt einen Dienst

34
bey der Münze ha
be
t. Vergnügt über sein Geständnis eilte ich zu

35
geschwind von ihm weg ohne die Vorsicht zu brauchen, ihm wegen meiner

36
Absicht mich darnach zu erkundigen, einiges Licht zu seiner Beruhigung zu

37
geben. Ich vermuthete auch, daß der ehemalige vertraute Umgang zwischen

S. 107
diesen Leuten aufgehört hatte; gestern
Abend
ziemlich spät kam aber der

2
unschuldige verrathene halb furchtsam, halb trozig zu mir, um sich nach der

3
Ursache meiner Nachfrage zu erkundigen. Ich kannte ihn kaum mehr, und

4
ohne daß ich nöthig hatte mich ausdrückl. zu erklären, gab ich ihm doch so

5
viel zu verstehen, daß wir zufrieden aus einander kamen, und eine verjährte

6
Bekanntschaft verneuerten. Alles, was Ihnen
Demodor
darüber

7
versichert, komt gewiß durch meinen
Canal;
ich wäre also und nicht Er, der

8
Vater der Lügen. Desto mehr dank ich Ihnen, weil mir an der Wahrheit viel

9
gelegen, für das avthentike Dokument, das mir noch zu den vielen

10
indirecten
Beweisen, immer bisher gefehlt und für mich
instar omnium
ist. Nun

11
bitte ich Sie aber auch bey aller Freundschaft zu verhindern, daß nicht

12
öffentlicher Gebrauch
von dieser Entdeckung gemacht wird, die ich

13
niemanden hätte mittheilen können, wenn ich jemals zum Vertrauten dieses

14
Geheimnißes gemacht worden wäre. Durch die Verlautbarung dieser Sache

15
würde
in irgend einer Zeitung oder Monathsschrift würde diesen beyden

16
Freunden Wehe geschehen wegen ihrer gantz eigenen und sonderbaren

17
Denkungsart in diesem Punct – und es würde mir eben so leid thun dazu Anlaß

18
gegeben zu haben. Beyde wetteifern unter einander in väterlichen

19
Gesinnungen und Aeußerungen gegen meinen Johann Michael. Die
Firma
besteht

20
aus dem Anfangsbuchstaben des einen und dem Endbuchstaben des andern

21
Namens.

22
Kraus sagte mir, daß Kant sich vorgenommen Mendelssohn zu

23
widerlegen, und den ersten Versuch einer polemischen Schrift gegen ihn zu wagen.

24
Er hätte ihm aber gestanden, daß es ihm eben so wie Mendelssohn gienge,

25
und Ihre Auslegung so wenig als den Text des Spinoza sich selbst

26
verständlich machen könnte. Mir selbst scheint der
helle reine Kopf
des

27
Kabbalisten und Cartesianers noch eine sehr willkührliche Voraussetzung
.

28
Ich will erst mit meinem
Monboddo
fertig seyn – und denn zum
Spinoza

29
wider zurückkehren. Aus dem
Protocoll
meiner Briefe können Sie die Lage

30
meiner Seele und Umstände, von denen ich nicht Herr bin, beurtheilen.

31
Kant werde, wo mir immer mögl. auf den Sonntag besuchen. Er war sehr

32
neugierig Ihre Schrift zu lesen, ehe er sie im Kayserlingschen Hause

33
abgeben würde,
und schien mir auch mit der Art, wie Sie den
statum causae

34
exponi
rt und dargestellt hätten, vergnügt zu seyn
. Mehr konnte ich damals

35
nicht herausbringen.

36
In meinen Augen ist schon Spinozas Aberglaube an die
mathematische

37
Form
schon
ein Blendwerk, und eine sehr unphilosophische Gaukeley.

S. 108
Mit der Untersuchung der 15 Erklärungen u Grundsätze fällt das ganze

2
erste Buch der Ethik über den Haufen. Ein solcher Streusand trägt

3
kein Gebäude, kaum ein papiernes. Die
tabula votiua
bleibt also:

4
Metakritik
über den
Purismum der Sprache und Vernunft
in

5
psilologischen
und
psilosophischen
(
Billets-doux
oder) Liebesbrief
ch
en.

6
Sie merken wohl, daß ich zwey der verdientesten Männer aufs Korn habe, und

7
daß ich keinen von beyden
nicht zu
beleidigen, sondern ihre der guten

8
Sache nachtheilige Vorurtheile gern mit leichter Hand und dem Stabe Sanft,

9
im Spielen oder wie der Prophet sagt, mit dem Geräthe eines thörichten

10
Hirten berühren möchte, zum bloßen besten kluger und würdiger Leser,

11
denen mit einem
Sapienti sat!
gedient wäre, und die auf beßere Spuren

12
geholfen werden könnten. Mit Herder bin ich gantz einig, daß unsere

13
ganze Vernunft und Philosophie auf Tradition und Ueberlieferung heraus

14
läuft
laufe.
Ich habe aber zu frühzeitig meinen
Ευρηκα
Ihrem

15
archimedischen
Motto
entgegen gesetzt
, und es komt noch auf den Versuch an,

16
ob der Schlüßel zum Schloß paßen wird. Wozu eilen? Mendelssohn wird

17
es auch kaum mit seinem zweiten Theil, und Kant werde selbst und durch

18
andere aufmuntern. Ich werde mich nicht eher erklären, als ich selbst mit

19
meinen Gedanken und Versuchen ins reine bin – und dazu brauche ich
Zeit
,

20
Gedult
und
Nachsicht
. Bey mir ist weder von Physik noch Theologie

21
die Rede – sondern
Sprache
, die
Mutter
der Vernunft und Offenbarung,

22
ihr
Α
und
Ω
. Sie ist das zweyschneidige Schwert für alle Wahrheiten und

23
Lügen. Lachen Sie also nicht, wenn ich das
Ding
von dieser
Seite

24
angreifen muß. Es ist meine alte
Leyer
– aber durch
sie
sind
alle Dinge

25
gemacht –
Γνωθι σεαυτον
p.
195, 196.


26
den 29.
Oct
85

27
Unser
Licent
ist diesen Nachmittag geschloßen. Die französische
Colonie

28
feyrt ihr
Jubilaeum
– und der
General
Rothkirch wird mit allem Pomp

29
beerdigt. Seit gestern haben wir endl. heiteres Wetter bekommen. Mein

30
ganzes Haus ist mit der halben Stadt mit gelaufen. Ein herzensguter

31
Schweitzer HE
Fuesli
der mit einem Grafen
Rasumowski
die große

32
fünfjährige Reise thut, hat vorigen Mittwoch das Päckchen von Hartknoch

33
abgegeben. Ich sprach
Fuesli
vorgestern, und hab ihn heute wider besucht. Den

34
Grafen kenne ich noch nicht – beyde befinden sich in der grösten Verlegenheit,

35
weil der Fuhrmann ohne ihr Wißen all ihr Gepäck über das Haf gehen

S. 109
laßen, und wegen
contrair
en Windes und abscheul. Weges noch diesen

2
Morgen nicht angekommen war. Der Graf scheint darüber trostlos, in der grösten

3
Unruhe zu seyn, vor Verdruß krank, und sein Mentor an ihn gefeßelt zu

4
seyn. Wir würden uns einander wohl ein paar Tage die Zeit vertreiben, und

5
scheinen auch gnug einander anzupaßen. Weil ich aber kein Franz. zu reden

6
im stande bin: so scheu ich mich eben so sehr den einen zu sehen als ich mir den

7
andern bey mir zu haben wünschte – und so vergeht bey mir kein Tag ohne

8
halbschlägige Unruhe. Für einen Standpunct das heutige Getümmel

9
zuzusehen, hab ich gesorgt. Wenn
Fuesli
allein käme, würde ich sehr zufrieden

10
damit seyn.

11
Dank sey es Ihrem Ohr, das Sie an R. erinnert. Die Nachricht ist sehr

12
wichtig für seine Freunde, um eine andere Nachricht, die ein Reisender aus

13
Berl. mitgebracht, dem ich eben nicht sonderlich traue zu erklären und zu

14
mildern. Der König soll sein Gehalt
interdict
– und die Hälfte der

15
Gratification
oder
Remisen
für OstPreußen u Litthauen auch uns gestrichen

16
haben. – Jetzt gehen die Salven und Kanonenschüße über des – Ich sahe

17
diesen Morgen mit einem ähnl. Abscheu in eben der Straße, wo der Pomp

18
durchgegangen eine alte Schindmähre liegen die gefallen war. Er war als

19
der ärgste Menschenqväler bekannt, der seine Leute wie das Vieh behandelte,

20
und soll auf seinem letzten Lager mit Gott
expostulirt
haben, warum er ihm

21
solche Schmerzen auflegte, da er doch niemanden etwas zu Leid gethan. Ein

22
Bedienter, der einige Nächte gewacht und schlaftrunken geworden war muste

23
den Morgen drauf neben seinem Zimmer abgeprügelt werden, und bey jedem

24
derben Hiebe hat der Barbar sein herzl. Wohlgefallen bezeigt mit einem:

25
d
as
er ist brav! –
Qviescat in pace

26
Wegen des schlimmen Wetters und weiten Weges hab ich den Uebersetzer

27
des
Mirabeau
nur im Vorbeygehn gesehen ohne noch zu wißen, wie weit er

28
mit seiner Uebersetzung gekommen. Ich habe
Krausens
und meine

29
Beyhülfe nur im Nothfall angeboten. Für die mir und meinen Freunden

30
zugedachte Exempl. danke ich in ihrem und meinem Namen, und ich werde

31
denselben eine unerwartete Freude damit machen, sobald sie ankommen. Brahl

32
habe gleich beim Empfang das Kayserlingsche Exemplar auf einige Stunden

33
mitgetheilt; er bat mich sehr dringend wider darum für einen Juden, der für

34
alles was Mendelssohn betrifft, sehr aufmerksam ist. Ich muste es ihm

35
abschlagen wegen Ihrer Innschrift, die nur Einer gesehen. Wenn er darüber

36
empfindlich geworden, wie es scheint, so geben Sie mir das beste Mittel ihn

37
wider auszusöhnen. Dem Kr. Scheffner habe Hip. Exemplar zugeschickt,

S. 110
der es länger behält, wie er gewohnt ist. Ich bin neugierig, ob und was er

2
dazu sagen wird. Auf Anfechtungen von B. aus müßen Sie sich freylich

3
gefaßt machen. Uns Preußen sind sie gleich Samaritern,
Philistern
und dem

4
tollen Pöbel zu Sichem, oder sollten es wenigstens seyn, wenn wir Patrioten

5
und Kinder des Königreichs wären nicht Vasallen des Churfürsten noch

6
Nebenbuler des Kaysers.
Wenn Sie, liebster Jacobi, Ihre nicht scheue Feder

7
furchtbar machen wollen: so fürchten Sie sich selbst dafür, nicht vor der Zeit

8
nicht ein Schwert aus ihr zu machen.
Bis jetzo, ist alles gut, löblich und

9
rechtmäßig in Ihrem ersten Schritt, den Sie gethan
. Ihr Spiel ist groß

10
und ehrlich; verderben Sie es durch keinen übereilten Zug. Eckelnahmen

11
sind keine Gründe; und an Mendelssohns
Antwort
muß Ihnen

12
vornemlich
gelegen seyn. Herr Herr! sagen ist so wenig ein Beweis, als des

13
Voltairens
Dieu!
eine Widerlegung des
Systeme de la Nature.
Ich wünschte

14
also Ihnen die gröste
Gleichgiltigkeit
gegen alle Confoederirten

15
und Secundanten des
Rabbi
zu B. die Sie zeitig gnug und mit desto mehr

16
Nachdruck abfertigen können. Hierinn besteht mein ganzer freundschaftl.

17
Rath
quoad formam,
bis ich zur Materie und Sache selbst kommen

18
werde, welche mir im Grunde, wie ich schon Ihnen zu verstehen gegeben, auf

19
eine bloße
Logomachiam
hinauszulaufen scheint, oder auf eine optische

20
Täuschung unsers Vernunftorgans wie unser liebe Kant seinen Leser, aber nicht

21
sich selbst, lehrt; weil wir ohne Unterscheid von Autor, Leser und

22
Kunstrichter uns der
Vernunft
rühmen bey dem grösten Mangel ihrer

23
Ausübung und Gerechtigkeit. Der Nachtwächter rufft: Ihr Herren laßt euch

24
sagen – und ich gehorche. Gute Nacht!


25
Dom.
XXIII.
30. Oktober 1785

26
Sturmwinde, die
Sein Wort ausrichten
, sagt der Psalmist 148.

27
v. 8. Mit Freuden thun sie Seinen Befehl, und sind bereit, wo Er ihr bedarf

28
auf Erden, und wenn das Stündlein komt, laßen sie nicht ab – la
s
s ich

29
diesen Morgen im Sirach 40, 37. Wenn diese rauhen Engel ein paar Ihrer

30
Bäume zum Lob ihres Herrn nöthig gehabt: so müßen Sie nicht gleich die

31
liebe Mutter Natur, wie Eli die Hanna in Verdacht haben. Oben auf den

32
Mastbaum zu schlafen, so weit geht nun wohl mein dithyrambischer

33
Geschmack nicht. Aber hinter meinem Ofen oder in meinem Bett kommen mir

34
auch die Elemente, wenn sie durch einander gehen wie die Saiten auf dem

35
Psalter – und ihre
concordia discors
recht schrecklich angenehm vor, daher

36
ich auch gern bey einem starken Ungewitter mein HausGesinde mit dem alten

S. 111
Liede
Joh. Franke
, der ein Landsmann meines Vaters war, ein

2
Lausnitzer –
mein Hausge
aufmuntern mag.

3
Ihr lieber
Turgot
wird mir herzlich willkommen seyn. Nur besorge, daß

4
mich meine Freunde so sehr an das
Nehmen
verwöhnen, daß ich darüber

5
vergeße das Geben, und die Seeligkeit deßelben beynah verliere. Sie sind

6
doch
wol
so gütig mir des lieben jungen Paars glückl. Heimkunft zu

7
melden. Ich denke, daß ich doch Ihm so viel Zeit laßen muß, sich zu besinnen und

8
zu sich selbst zu kommen – Hippel erinnert sich Ihrer mit einem
Enthusiasmo

9
der Freundschaft. Er muß wegen kranker Augen sich einhalten, und er hat

10
bey aller seiner
jovial
en Lustigkeit einen noch stärkern Hang zur

11
Melancholie und Schwermuth. Kraus hat mir eine angenehme halbe Stunde durch

12
seinen Besuch gemacht. Schellers Bestätigung zur
Adjunctur
einer guten

13
Landpfarre ist von Berlin angekommen, und ich erwarte ihn zum letzten mal

14
in meinem Hause, wo er bisher Herberge gehabt. Sein
Senior
hat zum

15
Glück eine sehr liebenswürdige Tochter und für ein Ehpaar ist in meinen

16
2½ Stuben kein Raum. Mein ganzer Etat liegt anbey. Er
pecci
rt
in defectu

17
et excessu.
Bald hätte ich mich obenein in die aufsteigende Linie vertieft,

18
die zum Glück nicht weit reicht. Gott laße es unsern
acht
Kindern wohl

19
gehen, und Freude an ihnen auf unsere alte Tage erleben! Hans Michel

20
kommt mit seinem alten Vater.


21
Vermerk von Jacobi:

22
Königsberg den 22
ten
bis 30
ten
. Oct. 1785.

23
J. G. Hamann

24
empf. den 10
ten
Nov. beantw. den 18
ten
. –

Provenienz

Universitätsbibliothek Erlangen, Ms. 2035.

Bisherige Drucke

Friedrich Heinrich Jacobi’s Werke. Hg. von Friedrich Roth. 6 Bde. Leipzig 1812–1825, IV 3: J. G. Hamanns Briefwechsel mit F. H. Jacobi, 85–93.

Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, V 114–126.

Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel, I 4: 1785. Hg. von Albert Mues, Gudrun Schury und Jutta Torbi. Stuttgart-Bad Cannstadt 2003, 213–223.

ZH VI 101–111, Nr. 884.

Zusätze fremder Hand

111/22
–24
Friedrich Heinrich Jacobi

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
102/34
–35
Mendelssohnschen Vorlesungen […] Gottes]
In der Handschrift zusätzlich von Jacobi unterstrichen.
102/36
–37
Ueber […] eingeschlafen]
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen.
103/4
–7
Mein […] Ahndung]
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen.
103/13
–14
Ach […] iocum]
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen.
104/1
–13
Die […] –]
Die Passage ist in der Handschrift von Jacobi am Rand markiert.
104/24
Bchz.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Bchz
105/5
Claudius,
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Claudius;
106/27
–28
von
de
m
r
sie
den
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
von dem si
der den
107/1
Abend
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
abend
107/24
–27
Er […] Voraussetzung]
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen.
107/33
–34
und […] seyn]
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen.
107/36
–108/25
In […] 196.]
Die Passage ist in der Handschrift von Jacobi am Rand markiert.
108/14
–15
Ich […] gesetzt]
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen.
108/26
Oct
85
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Oct
85
110/3
Philistern
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Philistern,
110/6
–24
Wenn […] Nacht!]
Die Passage ist in der Handschrift von Jacobi am Rand markiert.
110/8
–9
Bis […] gethan]
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen.
110/12
vornemlich
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
vornehmlich
110/25
Dom.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Dom
110/26
–111/2
Sturmwinde, […] mag.]
Die Passage ist in der Handschrift von Jacobi am Rand markiert.
111/1
Joh. Franke
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Joh.Fra nke
111/2
Lausnitzer –
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Lausnitzer-
111/6
wol
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
wohl