899
151/14
Kgsbrg den 28
Nov.
85.
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Sie sind mein lieber treuer Jonathan, und nehmen mit ein paar Zeilen
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fürlieb. Heute vor 8 Tagen ist Scheller, der Lehrmeister meines Joh. Michaels in
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mein Haus und das dunkle Schlafkammerchen neben meiner Wohn-Visiten-
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Schlaf-Bücher- und Studierstube eingekehrt, wird morgen
examini
rt und
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auf den Freytag
ordini
rt. Ohngeachtet er nichts als Bett,
Caffe
u ein
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Pfeifchen zum Frühstück, abermal ein Pfeifchen nebst einer
Bouteille
Bier zum
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Abendseegen bekommt, bin ich doch nicht gantz mein
eigener
Herr. Gestern
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erhielt zum ersten Advent die Berl. Bibl. und die ganze ausführl.
Recension
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ist nichts als ein
ridiculus mus
– da ich mich auf gantz andere Dinge gefreut,
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und fast Schlößer darauf gebaut. Hätten Sie mich namentlich aufgeführt
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und gewiße Stellen mir vorgerückt: so wär der Henker los gewesen und
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meine Dido hätte Himmel und Erde aufgeboten. Ich hätte reinen Wein
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eingeschenkt, aber auch zugl. reinen Tisch gemacht und was wäre das Ende vom
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Liede gewesen?
DI bene fecere.
Auf Nichts läßt sich nichts antworten. Wenn
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Sie das Ding lesen werden; so bitte mir auch Ihre Meinung drüber zu sagen.
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Mir kommt es so lau vor, daß ich nichts damit anfangen konnte –
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wenigstens keine Luftmaschine zu meiner Reise. Ist aus unsers lieben L. Reise
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nichts geworden? Er hat seinen Sohn nach Göttingen bringen u seine
S. 152
Freunde in
Bremen
besuchen wollen? Es ist ein wahres Unglück zu
viele
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Freunde
zu haben. Armuth und
Reichthum
gieb mir nicht – und die
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Armen
sind in jedem Fall seeliger. Des Hofraths Antwort ist in meinen Augen
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ohne
Tadel
. Kennen Sie etwa den Mann?
aber unsers Freundes heilige
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Einfalt beynahe anbetungswürdig. Die Engel des Lichts in B: die
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inhumansten Barbaren
. Ich bin ihnen so gram, wie Sirach dem tollen
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Pöbel zu Sichem. Wer hat ihnen denn Erlaubnis gegeben diesen vertraul.
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Briefwechsel auszuposaunen? und gemein zu machen?
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Kant hat seinen Vorsatz geändert, und denkt jetzt mit einer bloßen
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Recension der Morgenstunden abzukommen. Meine Gevatterin und Freundin
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Courtan
ist vorgestern glücklich und gesund angekommen. Ich habe sie
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gestern auf eine Viertelstunde gesehen, und mit ihr Abrede genommen sie nicht
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eher als mit dem Ende der Woche zu besuchen. In ihrem letzten Briefe nahm
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sie schon Abschied von mir – ich bin schon dergl.
οξυμωρα
von ihr gewohnt.
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Sie wird jetzt erst die Vortheile ihrer Reise erndten – und ich stell mir ein
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ähnliches
Prognosticon
–
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Ihre gute Nachricht von dem guten Ansehen, mit dem mein Alcibiades zu
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Hause gekommen, hat mir recht wohl gethan. L. schreibt mir, daß seine
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Lebensart tödlich peinlich ist p. Doch Sie haben, liebster J. sein offenes
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Briefchen lesen können. Ich habe mir die Freyheit genommen dem jungen
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Paar Luft und Waßer zu empfehlen. Einen wohlfeileren guten Rath giebt
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es nicht; dem ohngeachtet wär er nicht zu verachten.
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Ich habe Mühe gehabt heute mit einer elenden Antwort auf den langen
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Brief fertig zu werden, und will diese Zeilen auch noch heute selbst bey dem
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C.R.Fischer abgeben. Wegen des
Porto
sind Sie bereits unter einander einig.
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Diese ganze Woche werde ich feyern und schmausen müßen – also zufällig
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auf die glückl. Heimkunft meiner Freunde vergnügt seyn, so viel mir mögl.
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im finstern Thal. Daß unser Reichardt den 5 d. zu Berl. angekommen, habe
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ich meines Wißens Ihnen schon gemeldt. Bis zum Geburtstage des Königs
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ist er mit Geschäften überhaupt. Dies macht mich besorgt, eher an ihn zu
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schreiben und ihn zu Rath zu ziehen. Niemand will hier noch etwas von
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seinem Daseyn in Berlin wißen; aber sein Schwager hat es mir gesagt. Eben
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diese Besorgnis, und die Unmöglichkeit mich in fremde Launen versetzen zu
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können und die meinige zu sehr blos zu geben, macht mich stumm. Daher ich
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auch weder L. noch meinen nächsten Freunden antworten kann. Vorige
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Woche muste, und noch dazu in mehr als einer verdrüßl. Angelegenheit an
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meinen alten Freund Häfeli und nunmehrigen Nachbar in Wörlitz schreiben.
S. 153
Er hatte meinem Hill einen kleinen herzl. Laufzedel mitgegeben, der morgen
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zu Ihrem Namensvetter als Hofmeister zieht.
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Scheffner hat mir nebst seinem Dank umständlicher sein Urtheil über
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Ihr Büchlein beygefügt, das ich künftig Ihnen ausziehen werde in der
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Voraussetzung, daß Sie über alle diese Dinge so gleichgültig wie ich denken,
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und so viel brauchen als sich brauchen läßt zu Ihrem eignen Frommen. Unter
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dieser Bedingung hab ich Ihnen auch das Mendelssohnsche mitgetheilt.
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Nun ist hohe Zeit. Ich umarme Sie und seegne Sie und alle Ihre Lieben,
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denen sich auch Johann Michael empfiehlt. Mein kahler grauer Kopf kann
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weder denken, noch arbeiten sondern ist stätig –
und ich selbst krank vor
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Furcht und Ungedult des
Kommenden
– – – und Zaudernden
. Leben Sie
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wohl u denken Sie meiner im besten.
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Habe dies ½ Blatt aus Versehen
gekommen
und in der Eil.
Vale et
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faue!
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Vermerk von Jacobi:
16
Koenigsberg den 28.
ten
Nov. 1785 /
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J. G. Hamann / empf den 8.
ten
Dec. / beantw den 16.
ten
–
Provenienz
Universitätsbibliothek Erlangen, Ms. 2035.
Bisherige Drucke
Friedrich Heinrich Jacobi’s Werke. Hg. von Friedrich Roth. 6 Bde. Leipzig 1812–1825, IV 3: J. G. Hamanns Briefwechsel mit F. H. Jacobi, 109 f.
Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, V 140–143.
Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel, I 4: 1785. Hg. von Albert Mues, Gudrun Schury und Jutta Torbi. Stuttgart-Bad Cannstadt 2003, 254–256.
ZH VI 151–153, Nr. 899.
Zusätze fremder Hand
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153/16 –17
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Friedrich Heinrich Jacobi |
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
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151/14 |
Nov. ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: Nov. |
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151/21 |
eigener ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: eigner |
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152/2 |
Reichthum ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: Reichtum |
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152/4 –8
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aber […] machen?] |
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen. |
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152/4 |
Tadel |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Tadel |
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153/10 –11
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und […] Zaudernden] |
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen. |
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153/11 |
Kommenden |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Kommenden |
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153/13 |
gekommen ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: genommen |