904
174/2
Oßnabrück d 9ten Decemb. 85.

3
Nachdem ich Ihr leztes vom 11
ten
April etwas spät erhalten, war ich

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willens, Ihnen, mein Höchstgeschäzter Freund, im Julius oder August

5
wieder zu schreiben, verschob es aber, weil mir von Münster u Düßeld. aus die

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angenehme Hofnung gemacht wurde, daß Sie selbst noch vor dem Herbst

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oder Winter unsere Gegenden besuchen würden. Es thut mir um so mehr

8
leid, daß diese Reise Hinderniße gefunden hat, da Sie sich bereits darauf

9
gefreuet u wahrscheinlich auch Nuzen für Ihre Gesundheit davon gehabt

10
haben würden. Ist diese Hofnung für Sie nun ganz verschwunden? HE

11
Bucholtz schrieb mir vor seiner Reise nach Frkrch, daß er Sie in Kgsbg

12
besuchen u wo möglich mitbringen wollte, ich weiß aber nicht, wie es damit

13
geworden.

14
Von Grund der Seele habe ich mich über die Nachricht Ihre Kinder

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betreffend gefreuet: u ich wünsche mit eben der herzlichen Theilnehmung an

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allem,
was Sie betrifft, daß die Vorsehung Sie den Ihrigen noch lange

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erhalten u Ihnen selbst gesundere Tage schenken wolle. Ich selbst lebe nun seit

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15 Monathen in einem vergnügten Ehestande mit einer Frau, die mir jeden

19
Tag Freude macht, ohne jedoch bis iezt noch Hofnung zur Vaterschaft zu

20
haben, welches mir einige Gedanken macht.

21
Die
Salomon. Denkwürdigkeiten
wird HE Hartknoch

22
hoffentlich an Sie besorgt haben. Geben Sie mir einen Wink, wo Sie finden, daß

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ich in der Bestimmung des Werths u Gehalts seines Lebens gefehlt habe.

24
Auf die
fama multiplex
seiner sogenannten Magie auch Rücksicht zu

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nehmen, schien mir ein- für allemal nothwendig. Das Buch der Weisheit habe

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ich hinzu gefügt nicht so wohl, weil ich es von Jugend auf geliebt habe, als

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weil es mir einer neuen Uebersezung u Erläuterung werth schien.

28
Es thut mir zwar leid, daß Sie behindert worden, den 2ten Bd des Anh.

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zum Z – A – auszulesen; indessen bescheide ich mich gern, u überlasse es dem

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Zuge Ihres Genius, ob Sie einmal wieder daran gehen wollen. Der Strom

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von Ideen ganz anderer Art, der, wie Sie schreiben, Sie davon abgezogen

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hat, betrifft vermuthlich das
Ἑν και παν
des Spinoza, über welches Sie ja

33
auch Etwas schreiben wollen, wie ich selbst wünsche. Mir ist es noch immer

34
ein Problem,
wel
wie
ein tiefdenkender Kopf, wie Spinoza, in
dem
System, was

35
unser Freund Jacobi aus ihm gezogen, Ruhe u Glük des Lebens finden

36
konnte. Auch ist mir unter den Juden keiner bekannt, dem das Studium der

S. 175
kabbalistischen Theologie eine solche Richtung u Intension der Seele gegeben

2
hätte, welches vielleicht aus seinem in der Folge
adaptirten
Methodo

3
Cartesiano
erklärt werden zu können scheint, als wonach er
Intensa

4
cabbalistica
zu
Extensis geometricis
machte, u auf die Weise in der Peripherie

5
eines unendlichen Labyrinths herum getrieben wurde, ohne von der Natur

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etwas mehr als ihre
Trebern
zu schmecken.

7
Mein alter
Grundsaz
: „alle Quellen der Erkenntniß zu versuchen, um das

8
was sie irgend Schmackhaftes liefern daraus zu nuzen“: hat mich dahin

9
gebracht, daß ich mich seit einigen Jahren (seit 81–84) mit dem Studio dessen,

10
was man die ältern u neuern Mysterien nennt, befaßt, aber auch hier mehr

11
Unrath gefunden habe, besonders in den
traditis praeiudicatis
der Neuern,

12
als der größte Theil ihrer Anbeter jemals glauben wird. Indessen habe ich

13
von dem Studio als Uebung betrachtet, Nuzen gehabt, u manchen

14
Aufschluß über gewisse
Tradita prisca Sacrorum
erhalten, die mir auch bei

15
meiner Schrift: „Ueber die Natur u den Ursprung der Emanationslehre bei

16
den Kabbalisten
(welche von der Gesellschaft der Alterth. zu Cassel dieses

17
Jahr den Preis erhalten, aber noch nicht gedruckt
worden,)
zum Theil zu

18
Statten gekommen. Mich soll verlangen, wie das aufgenommen werden

19
wird, was ich von der Natur dieser Lehre u ihrem Verhältniß zur

20
prophetischen Theologie u den höhern Lehrern mehrerer alter Völker gezeigt habe.

21
Durch eben dieses archäologisches Studium bin ich vor 3 Jahren mehr von

22
andern, als aus eigenem Triebe dahin gebracht worden, das System der

23
neuesten Franz. (u auch Englischen) Theosophie (welches in den berüchtigten

24
Büchern
des Erreurs et de la Verité;
u
Tableau naturel des rapports qui

25
existent entre Dieu, l’homme et l’univers
enthalten) in einem
Μαγικον

26
zu erläutern, wozu gewisse „Bemerkungen über die Grundlehren dieses

27
Systems u ihr Verhältniß zu ältern
Mysteriologien“,
die ich für den Herz.

28
Ferdin.
u
einige andere schrieb, den ersten Grund legten. Ich habe das Buch

29
aber nicht selbst herausgegeben.

30
So sehr ich mich an
Kants
Metaphysik der Sitten erbauet habe, u fast

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glaube, daß über das Grundgesez der Sittlichkeit nicht leicht etwas besseres

32
gesagt werden könne: so hätte ich doch zur Steuer der Wahrheit die

33
Bemerkung gewünscht, wenn sie einem Philosophen anständig wäre, daß der

34
Volkslehrer Jesus v. Naz. das Höchste u Vollkommenste in dieser Art ganz

35
deutlich und klar angegeben
hat
.
;
Wie
ein
Gesez des Himmels, das auf Erden gelten

36
soll, u das sich in jedem Regen u Sonnenschein bewährt.

37
Kürzlich habe auch den 2 Th. von Herders Ideen gelesen, der mich aber

S. 176
noch weniger als der erste befriedigt hat. Den physikalischen u historischen

2
Bemerkungen u
Translatis
lasse ich ihren Werth: allein ich finde in ihnen u

3
der Art ihres Gebrauchs keinen
apparatus
zu einem Tempel der Natur, noch

4
weniger gediegene Grundsäulen von kosmologischem Gehalt. Und was ich

5
aus seinen Hypothesen über die Mosaische Archäologie gegen das Ende

6
diesen 2ten Th. machen soll, weiß ich gar nicht.

7
Sie haben vielleicht in den Hamburg. Zeitungen gelesen, daß Donatius

8
in Zellerfeld die
Ziehen
sche Nachlassenschaft bekannt machen will. Bis

9
Ostern 86 ist die kritische Zeit seiner Weissagung. Aus seiner an die
Kgl

10
Regierung zu Hannover abgegebenen Schrift
habe
ich vor drei Jahren, da

11
ich sie las, verschiedene Fragen
formirt
über die Natur seiner
Chevillah
u

12
die Hieroglyphen göttlichen
u
menschlichen Ursprungs, u darüber

13
Antworten von einem Mitverbundenen des Verstorbenen erhalten, woraus ich

14
wenigstens so viel
ersehen
die
daß die Gesellschaft oder Verbindung, wozu

15
Ziehen gehörte, immer der Aufmerksamkeit werth ist, ob ich gleich noch durch

16
keine directe Beweise überzeugt worden, daß es einige von dieser Verbindung

17
gebe, welche in das
Mysterium magnum et multiplex
der Welt-
u

18
Menschengeschichte unerhörte Einsichten hätten.

19
Ich schliesse mit dem herzlichsten Wunsche alles göttlichen Segens an Leib

20
u
Seele

21
Ihr

22
  verbundenster

23
    
Kleuker.


24
Adresse:

25
S. T.
Herrn / Herrn Joh. Georg Hamann / in / Königsberg / D Einschl.

Provenienz

Universitätsbibliothek Erlangen, Ms. 2035.

ZH VI 174–176, Nr. 904.

Im Erlanger Konvolut liegt der Brief dem Brief Nr. 907 bei, vgl. HKB 907 (VI 187/37). Ebenda liegt ein Oktavzettel, der vmtl. nicht zum ursprünglichen Briefzusammenhang gehörte: „A Monsieur Monsieur de Kirschbaum Conseiller du College de sa Majesté Imperiale de Toutes les Russes a St. Petersbourg.“

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
174/16
allem,
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
allem
174/34
wel
wie
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
wie
175/2
adaptirten
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
adoptirten
175/7
Grundsaz
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Grundsatz
175/17
worden,)
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
worden)
175/27
Mysteriologien“,
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Mysteriologien,“
175/28
u
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
und
175/35
hat
.
;
Wie
ein
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
hat: ein
176/9
Kgl
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Kgl.
176/10
habe
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
habe
176/11
formirt
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
formirt,
176/12
u
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
und
176/14
ersehen
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
ersehen,
176/17
u
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
und
176/20
u
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
und
176/25
S. […] Einschl.]
Hinzugefügt nach der Handschrift.