907
186/29
Düßeldorf den 16
ten
Xbr.
1785.


30
Vermerk von Hamann (nachträgliche Nummerierung mit roter Tinte):

31
Erh. den 28
Xbr.
85.

32
geantw.
eod.
N
o
19.


33
Lieber Herzens Freund,

34
Ich werde heute Blut wenig schreiben können, weil ich den gewöhnlichen

35
Anlauf gestern nicht nehmen konnte. Ich hatte arge Kopfschmerzen, u wurde

S. 187
nicht, wie gewöhnlich, über Nacht davon befreyt. Mußte darum gegen

2
8 Uhr v neuem den Schlaf suchen; welches mir zwar geholfen, aber auch so

3
viel Zeit gekostet hat. Um 9 Uhr kamen die Hamburger Briefe, mit der

4
frohen Nachricht, daß Frau Rebekka vollkommen auf der Beßerung,
ist
u

5
unser Claudius nun daran ist, an ihrem blaßen spitzen Gesichtlein zu bauen

6
z
u zu beßern. Ich mußte an die lieben Leute schreiben. Habe Ihren

7
Auftrag ausgerichtet. Eine Seite wurde nach der andern voll, bis zur 6.
ten
– da

8
noch ein paar Zeilen an Buchholtz; u so wäre beynah die ganze Expedition

9
liegen geblieben. Ich erschrack da ich auf die Uhr sah.
Schel
Klingelte um

10
Licht, u Bedi
e
nten; da war alles ausgelaufen; mein
quasi
Kammerdiener

11
in seinem Morgen
Costume
– Der warf aber hurtig die Schürze v Leibe, u

12
fort mit den Briefen. Alles ist glücklich weg gekommen. – Nun bin ich auch

13
rasiert u gekämmt, u will nun mit der Einheit der Handlung dieses

14
Schreibens an Sie, so viel Zeitbestimmungen erzeugen, als mir
a priori
Zeit in der

15
Zeit gelaßen ist.

16
Grüßen Sie den Profeßor Kraus recht herzlich v mir, wenn ihm an einem

17
Gruße v mir etwas gelegen ist. Alles was Ihre Reise befördern kann, ist

18
mir unaussprechlich lieb. Steudel ist mir unbekannt, aber so gleich ein

19
theurer Mann, ohne weiteres, wenn er mit Hand anlegen hilft um Sie herbey

20
zu ziehen. Haben Sie wegen Ihres Urlaubs schon an Reichardt geschrieben.

21
Sie wißen doch daß er Berlin im März schon wieder verlaßen wird?

22
Noch habe ich nicht gesagt, daß Ihre 3 Briefe richtig eingelaufen sind; den

23
letzten erhielt ich gestern, u hatte auch darauf gerechnet, daß ich ihn gestern

24
erhalten würde. Es war ein großes Elend, daß ich wegen meiner

25
Kopfschmerzen ihn nicht gleich lesen konnte. – Lieber Hamann, ich fühls im

26
innersten meiner Seele, wie Väterlich Sie für mich sorgen; wie
gründlich
Sie

27
mich lieben. Gewiß ich danke Ihnen auch dafür, aus dem innersten meiner

28
Seele u meines Herzens.

29
Daß die Berlinische Rec. giftig, politisch u fein sey, habe ich gar nicht in

30
Abrede
seyn
wollen. Sie ist es aber nur innerlich. Äußerlich erscheint sie, wie

31
ich Ihnen neulich sagte,
u Sie
selbst in Ihrem Briefl
v
28
ten
Nov schrieben.

32
Darum ist ihr
gerade zu
nicht wohl beyzukommen. – Durch einen

33
Umweg aber können Sie sehr gut den stummen tückischen Hunden auf das Fell

34
kommen, u ich freue mich, daß Sie fest dazu entschloßen sind. Mit mir auf

35
gleichem Fuß wie mit ihrem Landsmann, u überhaupt nach Wohlgefallen

36
herum zu springen, gebe ich Ihnen vollkommene Erlaubniß.

37
Einliegend Abschrift eines Briefes von mir an Kleucker, eben dieses Volk

S. 188
betreffend, dem ich nicht minder gram bin, als Sirach dem tollen Pöbel zu

2
Sichem. In Lavaters Pontius (Th.
IV.
S 233) steht:
„Sie haben keinen

3
Sinn, als für Schiefheit. Sie sind wahre Visionärs alles krummen u

4
unedeln. Sie sehen’s, wo es ist, u wo es nicht ist; Sie lauern immer, u

5
beobachten nichts.“

6
Den November der Berl Monathschrift habe ich noch nicht. Ich weiß v

7
den Briefen über den Magnetismus nur durch die Hamburger Zeitung, in

8
der, unter dem Art.
Berlin
, der Inhalt mit aller mögl. Bosheit erzählt

9
wurde. Markart habe ich nie gesehen. Er kam vorigen Sommer hiedurch, u

10
gab in meinem Hause in der Stadt ein Biljet ab, u ob ich nichts nach

11
Hannover zu bestellen hätte. Mich verlangte gar nicht nach dem Menschen, weil

12
Zimmermann in den Einsamkeiten (Ein Buch das mir alles im Leibe

13
umgekehrt hat, die wenigen Bogen nehmlich, die ich im 1sten u 3
ten
Theil ansah)

14
ihn
en
seinen vertrauten Freund nennt.

15
Claudius hatte eine Anzeige meines Sp Büchl gemacht, u schickte sie dem

16
Hamburger Correspondenten, weil der gelehrte Art. der Neuen Zeitung

17
durch einen Freund v Reimarus dirigiert wird. Die Anzeige war im höchsten

18
Grade milde u unpartheiisch; wurde aber zurück geschickt, weil bereits eine

19
Rezension v Jacobis Briefen, die
sehr heftig gegen den Verfaßer

20
gewesen wäre, hätte sollen eingerückt werden. Da man diese
erste
nicht

21
aufgenommen hätte, so könne man auch
die letzte
jene nicht aufnehmen.

22
Ohne Zweifel hat
Ihr
Scheblimini auf die Morgenstunden Einfluß gehabt.

23
Gegen die Gottesläugner zu schreiben war aber
Mendels
sohn
schon im

24
Frühjahr 84, also vor der Erscheinung
meines
Ihres Scheblimini

25
entschloßen.

26
Am Dienstag erhielt ich einen Brief von Göthe, dem ich auf einen den ich

27
vor 6 Wochen v ihm erhalten, noch nicht geantwortet hatte. Er schreibt:

28
„Was hast Du zu den Morgenstunden gesagt? Und zu den Jüdischen

29
Pfiffen mit denen der neue Sokrates zu Werke geht? Wie klug er Spinoza u

30
Leßing eingeführt hat
?
! O du armer Christe wie schlimm wird dir es

31
ergehen
?
! Wenn er Deine schnurrenden Flüglein nach u nach

32
umsponnen haben wirt! Machst Du Gegenanstalten? Und Wie?“
– diese

33
Theilnehmung hatte ich v Goethe nicht erwartet, da er mit dem Schluße meiner

34
Schrift unzufrieden gewesen, u mir folgendes darüber geschrieben hatte:

35
Dir
kann ich diese Manier noch nicht paßieren laßen; sie gehört nur für

36
Glaubens-Sophisten, denen es höchst angelegen seyn muß, alle Gewißheit

37
des Wißens zu verdunkeln, u mit den Wolken ihres schwankenden luftigen

S. 189
Reichs zu überziehen, da sie die Grundfesten der Wahrheit doch nicht

2
erschüttern können.“

3
Auf Goethes Fragen habe ich geantwortet, u ihm gemeldet, daß ich keine

4
Gegenanstalten mache. Er solle mir aber melden, wie über die Sache

5
zwischen M u mir, geurtheilt werde; wie sie gemein hin auffalle, den Leuten

6
entgegen
komme.

7
Diese Nachrichten, Lieber, sind nur für Sie
allein
. Laßen Sie sich auch

8
gegen Herdern nichts davon angehen, den ich vielleicht nicht weniger liebe als

9
Sie, u gewiß in einem höheren Grade bewundre: von deßen
innerer

10
Oekonomie, Art u Kunst ich aber einen Begriff habe, der v dem Ihrigen sehr

11
verschieden ist. Wie mir H vor 12 Jahren, da ich zuerst seine Urkunde las,

12
erschien – so war er vielleicht damals
explicite
nicht ganz – aber so
ist
er;

13
so will es seine Natur – Hamann, ich rede mit Dir, als redete ich nur mit

14
einer eigenen Seele, oder mit Gott.

15
Scheffners Urtheil hat mir weder wohl gethan noch weh, weil es gar nicht

16
adequat ist. Das ist ja der gestandene klare Inhalt meines Buchs, daß es

17
schwer, ja gar unmöglich sey, nicht ein Spinozist zu seyn, wenn man über

18
Gott philosophieren, u nicht lieber an ihn glauben will. – Mein Buch heißt:

19
ich habe meine Sach Gott heim gestellt
. – Wenn Er ist, so wird

20
er mir u uns allen helfen, nach unserer
Nothdurft
; ist er nicht: nun so

21
brechen wir uns je eher je lieber die Hälse, oder machen sonst auf eine Weise

22
dem eckelhaften Undinge
Mensch
ein Ende.

23
Mit erster Gelegenheit schicke ich Ihnen ein Exemplar meines

24
Kupferstichs für Scheffner, u
s
Sie sagen ihm dann, daß ich noch viel liebreicher,

25
sanfter, u feiner aussähe als dies Bild, aber freylich nicht mehr so glatt.

26
Schrecklich ernsthaft muß ich wohl zuweilen aussehen können, u zumahl

27
denen so erscheinen, die mich in einem solchen Augenblick zum ersten Mahle

28
sehen. Mir ist bey Gelegenheiten allerhand darüber zu Ohren gekommen;

29
auch ganz verschiedene Urtheile über denselben Moment. Meinen

30
vertrautesten Freund, den Grafen v Neßelrode, habe ich
st
zurück gestoßen das

31
erste Mahl, ob er mich gleich mitten in meiner Familie fand, u in einer

32
Unterredung mit einem Manne, den ich sehr liebte, u der schon viele Jahre lang

33
Neßelrods Freund war. Eine sonderbare Anecdote hierüber wollte ich Ihnen

34
erzählen, u die mir selbst aufgefallen ist. Es mögen 18 Jahre seyn, daß ich

35
mit meiner Betty u dem (jetzigen) Obristen v
Harold
Harold,
dem

36
Uebersetzer des Oßian, eine Reise nach Holland that. Zu Amsterdam gieng ich mit

37
Harold
u einem dortigen Kaufmann die Musicos in Augenschein zu nehmen.

S. 190
Wir besuchten 5 nach der Reihe, u keins v denen Weibsbildern hatte sich nur

2
mit einem Worte an mich gemacht. Da wir aus dem 4
ten
kamen machte
H
die

3
Bemerkung, u ärgerte sich, daß ihm die Creaturen keine Ruhe ließen wie

4
ernsthaft er auch hätte aussehen mögen. Im fünften gieng es ihm nicht beßer.

5
Ein langes Weibsbild kam auf ihn zu, u fieng an Französisch mit ihm zu

6
reden; er winkte, daß er sie nicht verstünde – Holländisch – Deutsch –

7
italianisch
– zuletzt fieng sie an englisch zu reden; da konnt er das Lachen nicht

8
halten, u gab ihr Antwort. Sie war würklich eine
Engelländerinn
. Ich hatte

9
nicht daran gedacht, daß ich ernsthaft seyn wollte, aber gleich bey’m ersten

10
Eintritt, einen Eindruck von Schwermuth u Eckel bekommen, daß mir die

11
Augen ganz trübe davon würden.

12
Sie sagen bey Gelegenheit v M Vergleichen aus Dan
II:
„Ein

13
wenig zusammengesetzt u buntscheckig ist Ihre Composition, mein l.J, wie

14
mein Schlafpelz. Ihre Antw an Hemst eine Episode. Der Anfang

15
historisch, die Mitte metaphysisch, u das Ende, wenigstens
poëtisch
–.“
Das

16
verstehe ich nicht. Ich habe Briefe gegeben u ihre Geschichte. Meine

17
Philosophie mag buntscheckig u zusammengesetzt seyn; aber mein Buch ist es nicht,

18
sondern hat in mehr als einem Betracht, eine nicht gemeine Einheit.

19
Des HE v Goetz L u B ist mir nie zu Gesicht gekommen, wohl aber der

20
Verfaßer im Jahre 79, da ich als geheimer Referendarius zu München

21
arbeitete. Er sprach damahls mit mir v seinem Vorhaben.

22
Sie schrieben mir den 1
Xb.
84. „Was Leßing glaubte v der Expansion u

23
Contraction Gottes im Leibnitz gelesen zu haben… bezieht sich vielleicht auf

24
eine Anführung des
Bayle
aus dem Bernier. – Können Sie mir diese

25
Anführung nicht näher anzeigen?

26
Den A.J. Cuffeler
Spec. A. v. Hamb.
684 hat mir Hemst geschickt. Ich

27
habe das Buch noch nicht gelesen. Das Bild des Spinoza ist gerade wie das

28
v der deutschen Uebersetzung; man kann nichts ähnlicheres sehen.
Etwas

29
plumper ist der deutsche Nachstich.

30
Ich bin es wohl zufrieden wen
n
Ilse meine Antwort als eine
n

31
Scheidebrief gebraucht, u mit ihrem guten Gewißen zur Sinagoge übergeht. Ich bin

32
allem Getalme (wie die Holländer) oder Gequengel (wie wir hier sagen)

33
gram. – Fürchten Sie nicht daß ich mich auf Conventionen, oder Tausche

34
(nach dem Beyspiel meiner gnädigsten H.) einlaßen
werde

35
Wißen Sie wie es zugegangen ist, daß dieser Brief noch zu lang geworden

36
ist. Ich habe nicht zu Mittag gegeßen. Verzeihen Sie dies Gesudel; u noch

37
einmahl Dank, Bester, für die große Wohlthat Ihrer Briefe. – Wenn Sie

S. 191
nur Einmahl sähen, wie ich sie empfange, u wie ich sie lese! – Von ganzem

2
Herzen

3
Ihr F Jacobi


4
Mein
fac totum
steht nicht im Meusel; hat nie etwas drucken laßen.

Dem Brief lag ein Brief von Jacobi an Kleuker bei, 5. Dezember 1785, in der Abschrift Schenks:

S. 1
Düßeldorf, den 5
ten
Dezemb. 1785.


2
Vermerk von Hamann:

3
Beylage zu
No
19.


4
Sie wißen, was für einen Lärm seit ohngefähr 3 Jahren Nikolai von den

5
heimlichen Unternehmungen der Jesuiten und den Absichten des Römischen

6
Hofes macht. Nun haben die Verfaßer der Berliner Monathschrift die Sache

7
noch weiter getrieben, und verschiedene Beyträge zur Geschichte itziger

8
geheimer Proselytenmacherey geliefert, die, nach meinem Urtheil, nicht

9
sowohl gegen die Jesuiten, als
gegen
den
Geist
aller
Offenbarung
gerichtet

10
sind. Wer nicht Deist oder
Berlinischer
Christ ist, der ist, wißentlich

11
oder unwißentlich, ein Krypto Jesuit, und muß bis zu Austrag der Sache unter

12
die Alchymisten, Schröpf
er
ianer, Lavaterianer und Martinisten gerechnet

13
werden. – Ich habe alle das Zeug erst vor einigen Wochen gelesen, und zwar

14
ganz zufällig. Mein Vorsatz war gleich, Ihnen darüber zu schreiben; und zu

15
fragen, ob Sie von der Geschichte des Diakons und andern in diesen Aufsätzen

16
beygebrachten Thatsachen etwas näheres wüßten. Unterdeßen ist mir auch der

17
August der Berl. Monathschrift, mit der weitläufigen Fortsetzung des ersten

18
Beytrags (Januar
N
o
.
7) zu Gesicht gekommen. Magister Witzenmann brachte

19
mir das Heft, und sagte: die Berliner hätten doch Recht mit ihrem Verdacht;

20
man müßte am Evangelio zweifeln, wenn man an dieser Relation zweifeln wollte;

21
ich sollte nur lesen. Ich las; wurde zwar nicht so überzeugt als wäre mein

22
Freund Witzenmann; konnte doch aus der Sache nicht klug werden. Ueber dem

23
besuchte mich der Hr. von Stein auf seiner Durchreise. Ich fragte ihn, ob

24
er die Aufsätze über den Krypto Jesuitismus in der Berl. Monathsschrift

25
gelesen hätte. – Er antwortete, er hätte sie nicht gelesen, aber den Verfaßer

26
vor einigen Tagen in Frankf. gesprochen. – Alle diese Nachrichten rührten

27
von einem gewißen Leuchsenring her. – Reichard hatte mir schon gesagt,

28
daß Leuchsenring Lavatern zu Berlin als einen Mann von weit ausfahrenden

29
Planen geschildert hätte, der hinter einer Maske spielte, welche Dinge die

30
man sich gar nicht vorstellen könnte verbärge. Hierüber mußte ich so

31
schrecklich lachen, daß ich weiter nachzudenken vergaß, und es mir deswegen

32
gar nicht einfallen ließ, daß die ganze ebentheuerliche Geschichte vom

33
Krypto Jesuitismus diesen Landstreicher zum Urheber haben könnte. So ist

34
es aber denn doch in der That. Sie wißen vermuthlich (denn die Sache hat

35
Aufsehen gemacht) daß er zu Ende des Jahres 82. oder Anfangs 83. nach Berlin

36
kam; Instructor des Kronprinzen wurde; allerhand Projecte machte; sich mit

37
dem Hofmeister des Kronprinzen entzweyte; mit aller Gewalt Ephraims Tochter

38
heyrathen wollte; darüber auch mit Mendelssohn, mit dem er sehr liiert war,

39
in Zank gerieth; dann wieder andre Projecte machte, und darüber sich von

40
Berlin entfernte. Gegenwärtig ist er nach der Schweiz. – Ich kenne diesen

41
Menschen sehr genau; bin viel mit ihm umgegangen; habe einige 100 Briefe

42
von ihm; und über 5000. Gulden an ihm zu fordern. – Ich erinnere mich auch

43
mit Ihnen von ihm gesprochen zu haben. Ich bat Sie, da Sie nach Neuwied

44
giengen, sich nach ihm zu erkundigen. Göthe hat ihn, als
Pater
Brey
, in

45
dem Puppen- oder Fastnachts-Spiele dieses Nahmens nach dem Leben geschildert.

46
Folgende 4 Verse daraus fallen mir gerade ein:

47
Er will überall Berg und Thal vergleichen;

48
alles Rauhe mit Gyps und Kalk bestreichen;

49
um dann zu mahlen auf das weis,

50
sein Gesicht, oder seinen Steiß.

51
Zu der Zeit da Göthe dieß Pasquille schrieb, hatte L. die Grille einen

52
geheimen Orden der Empfindsamkeit zu stiften. Er reiste mit einer ganzen

53
Bibliothek von Briefschaften herum, warb überall neue Gemeinsglieder an, und

54
setzte die unbekannteste Personen miteinander in Correspondenz. – Ein Mann

55
von ungemein viel Kopf war er immer; aber dabey ein solcher Grillenfänger,

56
daß er seine eigene Sachen, und die Sachen aller derer die sich mit einließen,

57
immer verdarb; selbst in die größten Verlegenheiten gerieth, und andere ohne

58
alle Schonung mit sich hineinzog. – Alles erwogen, bin ich geneigter ihn für

59
eine ganz eigene Art von Schwärmer, als für einen Schurken zu halten. Nach

60
vielen seiner Thaten zu urtheilen, wäre er das letzte.

61
Alles dieses, mein Bester, habe ich Ihnen geschrieben, um Ihnen soviel an

62
mir ist, wegen der von L. nach Berlin gelieferten Nachrichten auf die Spur

63
zu helfen. Mich intereßiert die Sache nur von einer Seite, nehmlich in

64
soferne sie dem Geiste des Berlinismus hinderlich ist. Wahrscheinlich nehmen

65
Sie von noch mehreren Seiten Theil daran. – Der Verfaßer des
Magikon
kommt

66
in dem Aufsatze vom August auch vor. – Der Protestantische Prediger, der

67
ein Jesuit von der 4ten Ordnung seyn soll, ist Stark zu Darmstadt. Es war

68
leicht zu errathen; aber L. hat es dem He. von Stein auch ausdrücklich gesagt.

69
Der Mann auf den die vorhin aus Göthes Puppenspiele angeführten 4 Verse

70
paßten, mußte nothwendig, besonders den 2 letzten wegen, ganz ungemein zu

71
Nikolai und seinen Genoßen paßen. Sie werden auch finden, daß Nikolais Eifer

72
gegen den Krypto Jesuitismus gerade zu der Zeit entbrannte, da L. nach Berlin

73
kam. Dieser sonderbare Mann behauptet auch steif und fest (ich schreibe aus

74
dem Munde des He. von Stein) daß der Kayser, ohne es zu wißen, in allen

75
seinen Unternehmungen durch Jesuiten geleitet werde.

76
Das ganze Mährchen kommt mir so ungereimt vor, daß ich eher jede andre

77
noch so sehr verspottete Wundergeschichte glauben möchte; und mich kaum

78
irgend eines Aberglaubens mehr schämen würde, als wenn ich von diesem auch

79
hätte berücken und so tolles Zeug mir aufbinden laßen. – Wenn sich das

80
Gewebe das von Leuchsenring gesponnen wurde, in seinen übrigen Theilen

81
mehr auflösen ließ, so wäre es eine Gelegenheit, den Berlinern treffende und

82
auffallende Wahrheiten zu sagen. – Man könnte, mit großer Wahrscheinlichkeit,

83
sie mit dem Verdachte einer geheimen Conspiration gegen alles Unsichtbare

84
und Göttliche züchtigen, und aus einer schändlichen Fabel eine sehr lehrreiche

85
machen. – Gehen Sie mit sich selbst und zuverläßigen Freunden darüber zu

86
Rath &
c.

Provenienz

Universitätsbibliothek Erlangen, Ms. 2035.

Bisherige Drucke

ZH VI 186–191, Nr. 907.

Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel, I 4: 1785. Hg. von Albert Mues, Gudrun Schury und Jutta Torbi. Stuttgart-Bad Cannstadt 2003, 285–289 (Anhang ebd., 268–271).

Zusätze fremder Hand

186/31
–32
Johann Georg Hamann

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
186/32
N
o
19.
]
Hinzugefügt nach der Handschrift.
187/30
seyn
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
stellen
187/31
u Sie
]
In der Handschrift Wortverdopplung am Zeilenfall:
u | u Sie
187/31
v
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
v.
188/2
–5
„Sie […] nichts.“]
Die Auszeichnungs-Konvention für Anführungszeichen des 18. Jahrhunderts wurde modernisiert (wie ZH es auch sonst tut, aber hier unterlässt).
188/22
Ihr
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
ihr
188/23
Mendels
sohn
]
Hamann vergaß am Seitenübergang im Schreibfluss die zweite Hälfte des Namens.
188/28
–32
„Was […] Wie?“]
Die Auszeichnungs-Konvention für Anführungszeichen des 18. Jahrhunderts wurde modernisiert (wie ZH es auch sonst tut, aber hier unterlässt).
188/35
–189/2
„Dir […] können.“]
Die Auszeichnungs-Konvention für Anführungszeichen des 18. Jahrhunderts wurde modernisiert (wie ZH es auch sonst tut, aber hier unterlässt).
189/9
innerer
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
inneren
190/7
italianisch
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
italiänisch
190/8
Engelländerinn
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Engelländerin
190/12
–15
„Ein wenig […] –.“]
Die Auszeichnungs-Konvention für Anführungszeichen des 18. Jahrhunderts wurde modernisiert (wie ZH es auch sonst tut, aber hier unterlässt).
190/15
poëtisch
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
poetisch
190/34
werde
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
werde.