918
224/20
Düßeldorf den 13
ten
Jan 1786.


21
Vermerk von Hamann (nachträgliche Nummerierung mit roter Tinte):

22
Erh. den 25 Januar

23
geantw den 29 – 
N
o
23.


24
Herzlieber Hamann

25
Die Posten laufen um diese Jahrszeit in unserer Strohm- und Flußreichen

26
Gegend so unordentlich, daß ich Ihren Brief vom 29
ten
Xbr
erst am Dienstag

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Abend, nach Abgang der Weseler Post erhielt. Heute Morgen kurz vor

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Mittag kam das liebe Neujahrsgeschenk, für das ich Ihnen nun geschwinde

29
noch die Hände küßen will.

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Aber, lieber Hamann, es geht mir nicht gut.
Mein zweyter Sohn machte

31
mir tödtlichen Verdruß. Er ist dem guten alten Consistorialrath entlaufen,

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der ihn auf allen Wegen u Straßen vergeblich hat aufsuchen laßen. Der

33
Knabe selbst hat mir geschrieben: er würde kommen, sich zu meinen Füßen

S. 225
werfen. Ein verächtlicher, eckelhafter Wurm; eine Fleischmaße, ohne Nerve

2
u voll Heucheley, Lüge, Trägheit, Lüsternheit u Feigheit. Von seiner

3
Kindheit an hat er mir u seiner Mutter nichts als Kummer verursacht. Er

4
schreibt, er hätte wollen Soldat werden, wäre aber noch in sich gekehrt, um

5
nicht Sünde
u
auf Sünde zu häufen. Ich werde ihm das Gewißen

6
erleichtern, u ihn dem General Gaudi zu Wesel auf 2 Jahre in die Zucht geben. –

7
Sie können sich vorstellen wie mir bey einem solchen Entschluß zu Muthe ist,

8
den
alle
meine Freunde für den einzigen halten der zu nehmen ist. Den

9
21
ten
März wird er 18 Jahre
alt. Noch ist er nicht erschienen. Ich erwart

10
ihn jeden Augenblick. An meinen andern Kindern erlebe ich lauter Freude,

11
außer daß mein guter Max nicht die beste Gesundheit hat. Ich denke das soll

12
sich beßern. Er wachst zum Erstaunen. Mein ältester ist ein Ausbund v einem

13
guten Menschen, u der wohl an nichts mit größerer Leidenschaft hängt, als

14
an seinem Vater.

15
Ihre Beylage habe ich
viermahl
mit größter Freude gelesen; finde nichts

16
dagegen einzuwenden, u sehne mich nach der Fortsetzung. Bey den Worten

17
S 4
gemino ex ovo
steht ein * – u das Cit. fehlt. – Am Ende der 4ten Seite

18
heißt es: „gleich de
r
m ehernen
Schlange
Typo, den Mose gemacht u der

19
eine Schlange vorstellte, ohne es würklich zu seyn, unter einem kühnen

20
Könige aber zum Nehustan
*
ward.“ – Nach der angeführten Stelle meyne

21
ich, die Schlange sey unter Hiskia nicht zum N
a
ehustan
geworden
,

22
sondern habe vielmehr
aufgehört
es zu seyn. Ich weiß aber die

23
Bedeutung des Wortes Nehustan nicht.

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S 3 in der Note steht „das Gärtchen u Lusthäuschen meiner Kindheit
u.

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Jugend in einer bey – – – – –“ – Diesen Augenblick finde ich daß es bequemen

26
heißen soll. Diese Anmerkung ist mir nicht in
jedem Theile
ihres Sinnes

27
klar. – Alles übrige vortreflich!!!

28
Meinen Freund Schenk habe ich in meiner Kindheit kennen gelernt. Mein

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Hoffmeister wurde Rector an der hiesigen lateinischen Schule, welches

30
Gelegenheit gab daß ich ein Jahr lang öffentlichen Unterricht erhielt. Der junge

31
Schenk, Sohn eines Feldwebels, war der feurigste, fleißigste, bravste unter

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allen meinen Mitschülern. Nun begab es sich im Jahr 70, daß ich in

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gegenwart eines Offiziers darüber klagte, daß man hier keinen guten Copisten

34
haben könnte. Da nannte mir der Offizier (ein HE v Acton
)
, Bruder des

35
bekannten Admirals) seinen Feldwebel, den er mir überhaupt als einen ganz

S. 226
ausgezeichneten Menschen anprieß. Den folgenden Morgen meldete sich der

2
Feldwebel bey mir, u ich
erkante
in dem wohlgewachsenen Jüngling, meinen

3
ehmahligen SchulCameraden. Schenk hieng sich außerordentlich an mich, u

4
that mir nach ein paar Jahren den Vorschlag, ob ich ihn nicht zum Sekretär

5
annehmen wollte. Ich stellte ihm vor, daß er sein Glück verscherzte, weil er

6
auf dem
point
war
adjudant
zu werden – „u wenn er gleich Hauptmann

7
werden könnte, so wollte er lieber bey mir schreiben u meine Kinder

8
unterrichten helfen.
– Ich verschafte ihm also
seinen
Abschied, u nahm ihn zu

9
mir. Er hat immer große Lust zu Sprachen gehabt, u brachte es nun bald im

10
Latent
latein so weit, daß er mich weit hinter sich zurück ließ. Eben so in

11
den lebendigen Sprachen. Es hätte ein großer Philolog aus ihm werden

12
können. E
s
r ist glaube ich 5 oder 6 Jahre jünger als ich. – Die schönsten

13
Abschriften die Sie von mir erhalten haben sind von ihm. Ich brauche aber

14
gewöhnlich einen andern Copisten, deßen Hand Schenks Hand zum

15
verwechslen ähnlich ist, aber lange nicht so fest u regelmäßig. – aus

16
gewißenhafter Treue habe ich ihm Ihre beylage nicht sehen laßen; ich hoffe aber, Sie

17
machen mir das Herz hierüber künftig leichter.

18
Gestern erhielt ich das 12
te
Stück der B Monatschrift; habe Garvens

19
Brief angefangen zu lesen, der mir aber schlecht gefallen will.

20
Ihrem fliegenden Briefe will ich ein gutes 4 Format besorgen. – Ich muß

21
schließen, die Post geht ab.

22
Von ganzem Herzen

23
Ihr Fritz

24
Seyn Sie mir immer, Lieber, auf
Lucem
dare
bedacht!


* 2 Konig
XVIII.
4.

Provenienz

Universitätsbibliothek Erlangen, Ms. 2035.

Bisherige Drucke

Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel, I 5: 1786. Hg. von Walter Jaeschke und Rebecca Paimann, unter Mitarbeit von Albert Mues, Gudrun Schury und Jutta Torbi. Stuttgart-Bad Cannstadt 2005, 17–19.

ZH VI 224–226, Nr. 918.

Zusätze fremder Hand

224/22
–23
Johann Georg Hamann

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
224/23
N
o
23.
]
Hinzugefügt nach der Handschrift.
224/30
–225/9
Mein […] Jahre]
In der Handschrift fast bis zur Unkenntlichkeit gestrichen, aber vmtl. erst nachträglich.
225/15
viermahl
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
viermal
225/24
u.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
u
226/2
erkante
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
erkannte
226/8
seinen
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
einen
226/24
Lucem
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Lucem