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234/28
Königsberg den 18 Jänner 86.
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Ich halte Sie recht im Schweiß, liebster J. oder steke Sie mit meinem an.
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Unsere Albertine feyert heute das
Krönungsfest
, und ich zwischen
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meinen vier Wänden. Da haben Sie meine erste Fortsetzung, wo mir die
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Einführung des TodesEngels sauer gnug geworden, ohne daß Sie es der Stelle
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selbst und dem, was da ist, werden ansehen können, wie viel Gedanken und
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Wendungen ich ausstreichen und was mir das Zusammenschmeltzen für
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Arbeit u Mühe gemacht hat.
Wenn Sie unter
Deutlichkeit
eine gehörige
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Vertheilung des Lichts und Schattens verstehen:
so hoffe ich diesen Wunsch
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zu erreichen. Es ist noch alles
roh
– allso setzen Sie
Ihrer Kritik weder
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Maaß noch Gränzen
, im Fall Sie meynen, daß die Idee der
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Darstellung werth ist. Meine und meines Vaterlands Geschichte – Mein Haß gegen
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Babel – das ist der wahre Schlüßel meiner Autorschaft, den ich jetzt selbst
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überreichen will, und ohne die eine Auflage meiner Saalbadereyen nicht lohnt
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weder für meinen Verleger, den ich Jahrlang bey der Nase herumgeführt,
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noch für den Autor. Es war dem Herzogtum keine solche Schande von
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Pohlen abzuhängen, als es dem Königreich ein Unglück ist von der Politik
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der Chaldäer im deutschen römischen Reich. Mit welcher Art dergl.
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Materien behandelt werden müßen, und die
skandaleuse Geschichte der
Pfuy!
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Pfui!
und der welschen Wirthschaft. Ein Staat der alle seine Unterthanen
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für unfähig erklärt seinem Finanzwesen vorzustehen, und dafür einer Bande
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unwißender Spitzbuben sein Hertz, den Beutel seiner Unterthanen
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anvertraut. Das tolle Geschrey über Pa
s
bstum – kurz alle
loci communes
des
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Berlinschen Wahnsinns in der Litteratur u Religion – kurz alles was ich
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nur mit meinen Krallen erreichen kann. Wir erwarten hier alle Tage einen
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Regierungsrath u Liebling des Großkanzler aus Memel, der die
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abscheulichste Ausschweifungen u Boßheiten angegeben. Er heist
Glawe
. Er
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wurde hier wie der leibhafte Teufel
gefürchtet u angebetet
; in den grösten
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Häusern oben drauf, und eben so bald drunter. Einmal in meinem Leben
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habe mit dem Schurken gefreßen, wie der Sophienschreiber hier war, bey
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meinem Gevatter
und
alten Freunde,
Lotterie Director Kanter
.
Wenn
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mein letzter Brief auf Ihren Geburtstag eintrifft, so bitte meinen
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Glückwunsch als P.S. anzuhängen, und selbigen zu ergänzen, wozu damals kein
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Raum übrig war. Ich vermuthete mir heute Etwas von Ihnen; noch ist
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nichts da. Allso schreibe ich selbst; damit Sie nicht argwohnen, daß alles auf
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eine Windkolik hinausgelaufen ist. Die eckelste Arbeit für mich ist aus dem
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Buchstaben F. Grütze zu
machen
.
So eine Bewegung mit der Mörserkeule
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greift meine Knochen zu sehr an. Ich muß aber seine eigene Weißagung über
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mich wahr zu machen suchen, auf seine und meine Kosten, daß ich
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gefährlich
bin. Nun liebster J. ich wünsche Ihnen so viel Kälte und Gedult zum
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Lesen
als ich Hitze und Gedult vereinigen muß, zum Schreiben. So bald
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ich diesen
Hügel
überstiegen habe, will ich mich ein wenig ausruhen u nach
S. 236
Weimar schreiben. Er hat Oel und Wein in meine Lampe und Kelch – oder
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soll ich lieber sagen, in meine Wunden gegoßen, und mich gestärkt, da mir
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aller Muth zu vergehen anfieng, und ich an meinen innern und äußern
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Sinnen verzagte.
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Der bittere
Geschmak
, mehr im Magenschlunde als in der Gurgel, mehr
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bey Feuchtigkeit als Speisen will noch nicht verschwinden, und verekelt mir
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den herrlichsten
Caviar,
den mir Hartknoch je geschickt, und den ich nicht
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einmal meinen Kindern u ihrer Lüsternheit Preiß geben mag, ohne
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wenigstens noch einmal den Versuch zu machen mich daran zu erqvicken.
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Wir haben bisher nichts als Regen und Thauwetter gehabt, ohngeachtet
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des Ostwindes; heute ist ein heiterer Himmel und neigt es sich zum Frost mit
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Südwind. Die Witterung und mein Magen wirkt in mein Organon stärker
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wie je. Gestern war bey Ihrem Namensvetter eingeladen, wo eine große
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Gesellschaft gewesen. Ich nahm
Rhabarber
ein, die erst diesen Morgen zu
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wirken anfieng. Meine willige Natur wurde durch einen römischen Camillen
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The
irre gemacht. Der Versuch ist mit dem
Caviar
zum Frühstück gemacht.
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Ich habe aber mit dem vierten Schnittchen aufhören müßen, er schmeckt nach
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lauter Coloqvinten.
Abeat cum ceteris erroribus!
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Des
de Marées
Gottesvertheidigung über die Zulaßung des Bösen ist
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hier nicht aufzutreiben, habe selbige also allenfalls verschreiben laßen, um
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dem guten Häfeli antworten zu können.
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Als meinen Kunstrichter kann ich Sie kaum davon dispensiren den Text der
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A. D. Bibl. zur Seite zu legen oder bey der Hand zu haben. Die Wahrheit zu
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sagen, gehört es mit zu meiner Absicht Sie in Ihren eigenen Circuln ein wenig
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zu stören – und ob ich diese Absicht erreiche, werde aus der Individualität u
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Genauigkeit Ihres
Details
und Ihrer
Severitate
über Sachen und Wörter
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absehen können. Denn wenn Sie nicht
coll’ amore
dabey zu Werk gehen,
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krieche ich mit allen meinen Hörnern wie eine Schnecke in
ihr
mein
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Häuschen zurück.
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Daß man in M.
S
so mausestill ist, thut mir wohl und weh. Meine
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Luft und WaßerDiät ist doch nicht übel aufgenommen worden. Es geht mir
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aber wie jedem Artzt für andere und nicht für sich selbst. Ich mag nicht
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schreiben, nicht lesen – als gute Nachrichten in Ihren Briefen und ich
hoffe
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daß diese
Mediation
dort auch die gefälligste seyn wird. Alles übrige gehört
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zu den
göttl. Geheimnißen
der
Zeit
und ihrer Entwickelung – und
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diese
reine Natur
übertrifft alle menschl. Kunst.
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Also wünsche V.R.W. Ihren Geburtstag gesund und vergnügt ohne
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Kopfschmerzen noch
curas secandas p.
Er folgt auf unsers
Davids
seinen,
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der sich um
beyde
so verdient macht,
quod bene notandum.
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Hier hält sich ein verlaufener Mönch
auf seit 14 Tagen,
der sich Prof.
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der orientalischen Sprachen und
Wiener
nennt. Der Abgang unsers Pr.
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Köhlers machte auf diesen Mann aufmerksam unsere Policey. Man erfuhr, daß
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er sehr kümmerl. in einem schlechten Wirthshause lebte. Meine Neugierde
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hat sich schon ziemlich abgekühlt, und jetzt mag ich vollends mich um nichts
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bekümmern. Hill that ich vor ein paar Tagen
ein
den Auftrag, nähere
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Nachricht einzuziehen. Kant u Kraus haben gestern so nachtheilig von
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diesem Umtreiber gesprochen, daß er auch wenig Lust dazu hatte. Zu Mittag
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bringt mir mein Sohn die Nachricht, daß er aus Münster seyn soll. Können
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Sie etwas, liebster J. von diesem Menschen erfahren: so könnte es auf allen
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Fall dienen mich darnach zu richten. Er soll aus Polen gebürtig, im
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Osterreichschen gewesen seyn, und giebt vor eine
Professur orient L L.
zu
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Münster wirkl. gehabt zu haben die er wegen geschmälerten Gehalts aufgeben
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müßen. Schon dieser Umstand ist mir verdächtig, und es liegt mir eben so viel
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daran unnützes verlogenes Gesindel fortzuschaffen, als für unglückl.
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Mitleiden zu befördern. Erkundigen Sie Sich also nach einem dort
eclipsi
rten
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Pater
oder Prof.
Wiener,
und Hill soll noch heute seine Herberge oder
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Praesepium
ausfragen. Hat er was in seinem Fach gethan, so soll
Hill
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Stunden bey ihm nehmen. Man hat an ihn gedacht bey bevorstehender
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Vacantz;
Kraus hat weniger Vertrauen zu ihm als Kant, und ich kann beyden
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nicht widersprechen. Ihr Namensvetter hat an diesem jungen Menschen
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einen Schatz für seine Kinder – – wenn er ihn nur dafür erkennt – – – –
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So bald ich was habe, schreibe wieder. Erwarten Sie aber keine zweite
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Fortsetzung vor einer Antwort oder Bescheinigung über Empfang de
s
r
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ersten. Leben Sie recht
wohl
mit Ihrem ganzen Hause unter den besten
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Grüßen u Empfehlungen von mir u den Meinigen.
Much good may you
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do!
Der garstige Klecks ist kein gutes
Omen
– Sey’s was es wolle: so bin
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und bleibe unverändert
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Ihr alter Freund Johann Georg H.
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Adresse:
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An / HErrn Geheimen Rath
Jacobi
/ zu /
Düßeldorf
. /
Fco Wesel
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Vermerk von Jacobi:
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Koenigsberg den 18
ten
Jan. 1786.
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J. G. Hamann
37
empf. den 29
ten
–
38
beantw den 3
ten
Febr.
Provenienz
Universitätsbibliothek Erlangen, Ms. 2035.
Bisherige Drucke
Friedrich Heinrich Jacobi’s Werke. Hg. von Friedrich Roth. 6 Bde. Leipzig 1812–1825, IV 3: J. G. Hamanns Briefwechsel mit F. H. Jacobi, 145–147.
Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, V 199–202.
Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel, I 5: 1786. Hg. von Walter Jaeschke und Rebecca Paimann, unter Mitarbeit von Albert Mues, Gudrun Schury und Jutta Torbi. Stuttgart-Bad Cannstadt 2005, 28–31.
ZH VI 234–237, Nr. 921.
Zusätze fremder Hand
|
237/35 –38
|
Friedrich Heinrich Jacobi |
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
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235/1 –2
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Wenn […] verstehen:] |
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen. |
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235/2 –24
|
so […] Kanter.] |
Die Passage ist in der Handschrift von Jacobi am Rand markiert. |
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235/20 |
Glawe |
Über dem Wort in der Handschrift, vmtl. zur Verbesserung der Lesbarkeit: Glawe |
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235/21 |
gefürchtet […] angebetet] |
Geändert nach der Handschrift; ZH: gefürchtet u angebetet |
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235/24 |
und ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: u |
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235/30 |
machen . |
Geändert nach der Handschrift; ZH: machen. |
|
235/34 |
Lesen ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Lesen, |
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236/5 |
Geschmak ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Geschmack |
|
236/33 |
hoffe ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: hoffe, |
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237/3 |
auf seit 14 Tagen, ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: seit 14 Tagen auf |
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237/27 |
wohl |
Das Wort ist von einem Tintenfleck unkenntlich gemacht. |
|
237/33 |
Jacobi |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Jacobi |