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250/20
Dußeldorf den 2
ten
Febr 1786
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Vermerk von Hamann (nachträgliche Nummerierung mit roter Tinte):
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Erh. den 15 Feb. Geantw.
eod.
N
o
26.
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lieber HerzensFreund
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An dem Tage da ich Ihnen meinen jüngsten Brief schrieb, hatte ich
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ziemlich starkes Halsweh. Den Abend stellte sich ein Fieber ein, mit Kopf- u
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Glieder-Schmerzen, u ich konnte am folgenden Morgen nicht aufstehen. Mein
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größter Kummer dabey war die Stöhrung meiner Geburtstags Feyer. Ich
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hatte aus verschiedenen Merkmahlen abnehmen können, daß sie
ganz
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außerordentlich
hatte
seyn soll
en
te, da die vier Mädchen aus Vaels u meine
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Schwestern, sich in Anschlägen u Anordnungen
hatten
gegenseitig
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unterstütz
en
ten.
können.
Nun machte ich mich zwar so stark als ich konnte, u
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stand auch gegen Mittag auf. Kaum aber war der Auftritt der mich beym
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Frühstück erwartete nachgeholt, so mußt ich mich schon wieder legen. Das
S. 251
Fieber wurde heftiger u dauerte bis zum folgenden Morgen. Vermuthlich
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wäre nun alles gut gegangen, wenn ich mich geschont hätte. Nun aber gieng
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ich schon am Freytag wieder aus, u gab Abends einen AusternSchmauß,
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wobey es sehr fröhlich hergieng, u tief in die Nacht hinein gewacht wurde.
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Den folgenden Morgen war ich nicht ganz wohl. Ich schrieb es dem
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Champaigner
zu, der mir zuweilen nicht bekommt. Den Sonnabend klärte sich
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das Ding schon beßer auf; ich fühlte einen entsetzlichen Schnupfen im
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Anmarsch, mit den dazu gehörigen Kopfschmerzen; auch hatte sich das Halsweh
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wieder eingestellt. Ich wurde gegen Abend sehr übel; befand mich aber den
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folgenden Tag schon etwas beßer, u glaubte Nachmittags, es würde alles so
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vorüber gehen. Ihr erfreulicher Brief v 18
ten
nebst Beylagen war
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angekommen. Ich las das alles noch vormittags, mit unaussprechlicher
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Herzenslust, u genoß dieselbe Freude an eben dem Tage noch zweymahl; schrieb
auf
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auch noch mit Leichtigkeit, einen nicht ganz unerheblichen Brief. In
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derselben Nacht aber brach das Recidiv mit voller Stärke aus, u ich bin 3 Tage
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recht von Herzen krank gewesen. Daß ich Ihnen am Dienstag nicht
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schreiben konnte, war mir höchst empfindlich. Ich hoffte bis zu Abgang der Post
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auf eine erträgliche halbe Stunde, die aber nicht kommen wollte. Nun haben
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die Schmerzen überall, auch das Fieber sehr nachgelaßen: Die Gesundheit
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wird sich also auch wohl wieder einstellen.
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Ehe ich auf die Fortsetzung Ihres fliegende
s
n Briefes komme, auf die
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ich mich wegen meines sehr trüben, schwindlichen u schmerzhaften Kopfes,
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vor Morgen, da es hoffentlich etwas beßer damit seyn wird, nicht
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einzulaßen gedenke: laßen Sie uns ein Wort von der langen, aus der Voßischen
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Zeitung abgeschriebenen
Mordgeschichte
im Hamburger
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Correspondenten sprechen. Daß Mendelssohn um meinetwillen sich so sehr erhitzt u
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wieder
v
erkältet hat, daß er davon gestorben ist, thut mir herzlich leid:
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aber die lange Predigt davon, u der
heilige
Eifer des seligen Mannes
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selbst, hat mich lachen machen. Mich verlangt seinen ungläubigen Glauben
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im original zu sehen, u wie ich dort mit Lavatern in Eine Pfanne gehauen u
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mit Einer Brühe angerichtet seyn werde.
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den 3
ten
–
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Ich wurde gestern durch ein paar Besuche unterbrochen, u hernach war
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das Kopfweh so stark, daß weiter an kein Schreiben zu denken war. Das
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Fieber fährt fort geringer zu werden, u mit ihm die Schmerzen. Unmöglich
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aber kann ich heute daran gehen, Ihre Fortsetzung zu recensieren.
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Mendelssohns Tod haben sie trefflich eingeführt, u die Gegeneinanderstellung des
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Atheistischen mit dem nur tonsurierten Prediger ist meisterhaft. Vieles ist
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sehr – u das mehrste wenigstens nothdürftig deutlich. – Die Stelle aber in
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Ihrem Briefe an mich v 15
ten
–, an deren Schluß Sie sagen: „Zweifeln Sie
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noch an meiner Gabe der Deutlichkeit?“ habe ich nur schwer enträthseln
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können, u bin ungewiß bis auf die Stunde, ob ich
Ihr
ihren Sinn
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getroffen habe. –
7
Ich muß es für heute hiemit gut seyn laßen. Künftigen Dienstag mehr.
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Ich werde dann auch wegen Pater Wiener nach Münster schreiben, welches
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meine Krankheit mich vergangenen Posttag u auch heute zu thun verhindert
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hat. Von ganzem Herzen
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Ihr F H Jacobi
Auf der dritten Seite des Briefes folgt ein Auszug aus einem Schreiben aus Duisburg, in der Abschrift Schenks:
558/31
Aus einem so eben eingelaufenen Schreiben aus Duisburg.
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… Wißen Sie, daß
HE.
Moritz in Berlin, der das Magazin
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Erfahrungs und Seelenkunde herausgiebt, Mendelss. Tod den
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Briefen über Sp. zur Last legt? Wie
HE.
Muzel sagt, hat er es
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drucken laßen. Beym Empfang jener Briefe soll er in Hitze
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gerathen seyn, gleich eine Vertheidigung unter dem Titul an
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Leßings Freunde geschrieben haben, welche er selbst, sobald sie
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vollendet gewesen, auf die Druckerey gebracht hätte, wäre von da
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zurückgekommen, gleich zu Bette gegangen, und ohne viele
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Umstände hätte er sich davon gemacht. Wenns wahr ist, so ist’s doch
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derbe gefochten und ehrlich geflohen. Mich verlangt seinen
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Todesschweiß zu sehen. Es sollen nur einige Bogen seyn.
Provenienz
Universitätsbibliothek Erlangen, Ms. 2035.
Bisherige Drucke
Heinrich Weber: Neue Hamanniana. München 1905, 144.
Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel, I 5: 1786. Hg. von Walter Jaeschke und Rebecca Paimann, unter Mitarbeit von Albert Mues, Gudrun Schury und Jutta Torbi. Stuttgart-Bad Cannstadt 2005, 42–44.
ZH VI 250–252, Nr. 925.
Zusätze fremder Hand
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250/22 |
Johann Georg Hamann |
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
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250/22 |
N o 26. ]
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Hinzugefügt nach der Handschrift. |
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250/28 |
ganz ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: gantz |
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250/31 |
unterstützenten. […] können.] |
Geändert nach der Handschrift; ZH: unterstütz en ten |
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251/21 –31
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Ehe […] werde.] |
Vmtl. von fremder Hand am Rand markiert. |
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558/32 |
HE. ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: HE |
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558/34 |
HE. ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: HE |