925
250/20
Dußeldorf den 2
ten
Febr 1786


21
Vermerk von Hamann (nachträgliche Nummerierung mit roter Tinte):

22
Erh. den 15 Feb. Geantw.
eod.
N
o
26.


23
lieber HerzensFreund

24
An dem Tage da ich Ihnen meinen jüngsten Brief schrieb, hatte ich

25
ziemlich starkes Halsweh. Den Abend stellte sich ein Fieber ein, mit Kopf- u

26
Glieder-Schmerzen, u ich konnte am folgenden Morgen nicht aufstehen. Mein

27
größter Kummer dabey war die Stöhrung meiner Geburtstags Feyer. Ich

28
hatte aus verschiedenen Merkmahlen abnehmen können, daß sie
ganz

29
außerordentlich
hatte
seyn soll
en
te, da die vier Mädchen aus Vaels u meine

30
Schwestern, sich in Anschlägen u Anordnungen
hatten
gegenseitig

31
unterstütz
en
ten.
können.
Nun machte ich mich zwar so stark als ich konnte, u

32
stand auch gegen Mittag auf. Kaum aber war der Auftritt der mich beym

33
Frühstück erwartete nachgeholt, so mußt ich mich schon wieder legen. Das

S. 251
Fieber wurde heftiger u dauerte bis zum folgenden Morgen. Vermuthlich

2
wäre nun alles gut gegangen, wenn ich mich geschont hätte. Nun aber gieng

3
ich schon am Freytag wieder aus, u gab Abends einen AusternSchmauß,

4
wobey es sehr fröhlich hergieng, u tief in die Nacht hinein gewacht wurde.

5
Den folgenden Morgen war ich nicht ganz wohl. Ich schrieb es dem

6
Champaigner
zu, der mir zuweilen nicht bekommt. Den Sonnabend klärte sich

7
das Ding schon beßer auf; ich fühlte einen entsetzlichen Schnupfen im

8
Anmarsch, mit den dazu gehörigen Kopfschmerzen; auch hatte sich das Halsweh

9
wieder eingestellt. Ich wurde gegen Abend sehr übel; befand mich aber den

10
folgenden Tag schon etwas beßer, u glaubte Nachmittags, es würde alles so

11
vorüber gehen. Ihr erfreulicher Brief v 18
ten
nebst Beylagen war

12
angekommen. Ich las das alles noch vormittags, mit unaussprechlicher

13
Herzenslust, u genoß dieselbe Freude an eben dem Tage noch zweymahl; schrieb
auf

14
auch noch mit Leichtigkeit, einen nicht ganz unerheblichen Brief. In

15
derselben Nacht aber brach das Recidiv mit voller Stärke aus, u ich bin 3 Tage

16
recht von Herzen krank gewesen. Daß ich Ihnen am Dienstag nicht

17
schreiben konnte, war mir höchst empfindlich. Ich hoffte bis zu Abgang der Post

18
auf eine erträgliche halbe Stunde, die aber nicht kommen wollte. Nun haben

19
die Schmerzen überall, auch das Fieber sehr nachgelaßen: Die Gesundheit

20
wird sich also auch wohl wieder einstellen.

21
Ehe ich auf die Fortsetzung Ihres fliegende
s
n Briefes komme, auf die

22
ich mich wegen meines sehr trüben, schwindlichen u schmerzhaften Kopfes,

23
vor Morgen, da es hoffentlich etwas beßer damit seyn wird, nicht

24
einzulaßen gedenke: laßen Sie uns ein Wort von der langen, aus der Voßischen

25
Zeitung abgeschriebenen
Mordgeschichte
im Hamburger

26
Correspondenten sprechen. Daß Mendelssohn um meinetwillen sich so sehr erhitzt u

27
wieder
v
erkältet hat, daß er davon gestorben ist, thut mir herzlich leid:

28
aber die lange Predigt davon, u der
heilige
Eifer des seligen Mannes

29
selbst, hat mich lachen machen. Mich verlangt seinen ungläubigen Glauben

30
im original zu sehen, u wie ich dort mit Lavatern in Eine Pfanne gehauen u

31
mit Einer Brühe angerichtet seyn werde.


32
den 3
ten

33
Ich wurde gestern durch ein paar Besuche unterbrochen, u hernach war

34
das Kopfweh so stark, daß weiter an kein Schreiben zu denken war. Das

35
Fieber fährt fort geringer zu werden, u mit ihm die Schmerzen. Unmöglich

36
aber kann ich heute daran gehen, Ihre Fortsetzung zu recensieren.

37
Mendelssohns Tod haben sie trefflich eingeführt, u die Gegeneinanderstellung des

S. 252
Atheistischen mit dem nur tonsurierten Prediger ist meisterhaft. Vieles ist

2
sehr – u das mehrste wenigstens nothdürftig deutlich. – Die Stelle aber in

3
Ihrem Briefe an mich v 15
ten
–, an deren Schluß Sie sagen: „Zweifeln Sie

4
noch an meiner Gabe der Deutlichkeit?“ habe ich nur schwer enträthseln

5
können, u bin ungewiß bis auf die Stunde, ob ich
Ihr
ihren Sinn

6
getroffen habe. –

7
Ich muß es für heute hiemit gut seyn laßen. Künftigen Dienstag mehr.

8
Ich werde dann auch wegen Pater Wiener nach Münster schreiben, welches

9
meine Krankheit mich vergangenen Posttag u auch heute zu thun verhindert

10
hat. Von ganzem Herzen

11
Ihr F H Jacobi

Auf der dritten Seite des Briefes folgt ein Auszug aus einem Schreiben aus Duisburg, in der Abschrift Schenks:
558/31
Aus einem so eben eingelaufenen Schreiben aus Duisburg.

32
… Wißen Sie, daß
HE.
Moritz in Berlin, der das Magazin

33
Erfahrungs und Seelenkunde herausgiebt, Mendelss. Tod den

34
Briefen über Sp. zur Last legt? Wie
HE.
Muzel sagt, hat er es

35
drucken laßen. Beym Empfang jener Briefe soll er in Hitze

36
gerathen seyn, gleich eine Vertheidigung unter dem Titul an

37
Leßings Freunde geschrieben haben, welche er selbst, sobald sie

38
vollendet gewesen, auf die Druckerey gebracht hätte, wäre von da

39
zurückgekommen, gleich zu Bette gegangen, und ohne viele

40
Umstände hätte er sich davon gemacht. Wenns wahr ist, so ist’s doch

41
derbe gefochten und ehrlich geflohen. Mich verlangt seinen

42
Todesschweiß zu sehen. Es sollen nur einige Bogen seyn.

Provenienz

Universitätsbibliothek Erlangen, Ms. 2035.

Bisherige Drucke

Heinrich Weber: Neue Hamanniana. München 1905, 144.

Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel, I 5: 1786. Hg. von Walter Jaeschke und Rebecca Paimann, unter Mitarbeit von Albert Mues, Gudrun Schury und Jutta Torbi. Stuttgart-Bad Cannstadt 2005, 42–44.

ZH VI 250–252, Nr. 925.

Zusätze fremder Hand

250/22
Johann Georg Hamann

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
250/22
N
o
26.
]
Hinzugefügt nach der Handschrift.
250/28
ganz
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
gantz
250/31
unterstützenten. […] können.]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
unterstütz
en
ten
251/21
–31
Ehe […] werde.]
Vmtl. von fremder Hand am Rand markiert.
558/32
HE.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
HE
558/34
HE.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
HE