935
279/9
Dußeldorf den 21
ten
Febr 1786.
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Vermerk von Hamann (nachträgliche Nummerierung mit roter Tinte):
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Erhalten den 4
Mart.
Geantw.
eod
– 6 –
No
29.
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Ihren Brief vom 4
ten
u 5
ten
, lieber HerzensFreund, erhielt ich am
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Donnerstag Nachmittag, u labte mich daran; hatte aber keine Lust zu
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antworten, weil mir noch immer Mendelssohns letzter Wille fehlte. Am Sontag
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Abend kam er endlich an. Ich speiste, gegen meine Gewohnheit aus, bey einer
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Gräfinn v Horion, die sich einbildet, sie hätte ein außerordentliches Gefallen
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an mir, u kam erst um Mitternacht zu Hause. Ich las diesen sonderbaren
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Roman, den man mit allem Recht eine Schmähschrift nennen kann, noch
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vor Schlafengehen, u ruhte recht sanft darauf. So ganz ohne die mindeste
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Bewegung, hätte ich gewiß nicht das Ding gelesen; wenn es mich selbst nicht
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so nahe angegangen hätte. Nun aber fühlte ich die große Sicherheit meiner
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Lage, u die mißliche meiner Gegner, u die Freude darüber ließ meinen
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Unwillen nicht aufkommen. Ich konnte unmöglich böse werden über einen
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Mann, den ich so schrecklich böse gemacht hatte, u der wahrscheinlich vor
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Gift gestorben
ist.
war. Sie wißen nicht, u können sich nicht vorstellen, wie
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unverschämt der Mensch gelogen hat. Sie sollen es sehen. Er sagt S 57:
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Der Richter müße alles in Händen haben was zur Streitsache gehört. Das
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soll er dann. Ich verspreche Ihnen, daß Sie sich über meine Gelaßenheit u
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Kaltblütigkeit wundern sollen.
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Lavatern war ich schon
Willens
in Schutz zu nehmen. Wenn er nur nicht
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meinen guten Willen durch irgend eine zuvor kommende
demarche
vereitelt.
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Ihr Brief an die Churländische Elise hat mir große Freude gemacht, u ich
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habe heute Claudius eine Abschrift davon geschickt. Unser wackerer Claudius
S. 280
hat eine ausführliche Beurtheilung der Mendelssohnschen Schrift drucken
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laßen, die ein wahres Meisterstück ist, u alles übertrifft, was er je geschrieben
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hat. Ich habe ihn gebeten gleich ein
Exemplar
an Sie, unter Fischers adreße
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mit der reitenden Post abzuschicken.
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Mit meiner Gesundheit kann ich noch nicht wieder ganz zurecht kommen.
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Aber wenn es nur mit der Ihrigen einmahl wieder ein ordentliches Ansehn
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gewinnen wollte. Ein paar Stellen darüber in Ihrem jüngsten Briefe haben
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mich sehr beunruhigt. Lieber Hamann, ich bitte – ahnden Sie,
wie
ich Sie
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bitte, Ihrer zu schonen! Wenn jede Anstrengung Ihnen Uebelkeiten
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verursacht, so bringen Sie sich ja, nach den Anzeigen die Ihr neulicher Zufall
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giebt, sich durch GeistesArbeiten offenbar ums Leben.
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Es macht mich bekümmert, HerzensMann, daß ich heute wieder nur ein
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so kahles Blatt an Sie abschicken
kann
. Aber es war unmöglich vormittag
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eine Minute auszugewinnen. Einige Nachricht ist doch beßer als gar keine. –
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Da kommt meine Lene, u sagt, ich müßte siegeln. Gott sey mit Ihnen, lieber
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theurer Hamann. Wie wollt ich jubeln, wenn ich bald Nachricht bekäme,
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Sie wären wieder. – Künftigen Freytag. Dieser Wisch soll gar nicht gelten.
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Von ganzem Herzen
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Ihr Fritz J
Provenienz
Universitätsbibliothek Erlangen, Ms. 2035.
Bisherige Drucke
Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel, I 5: 1786. Hg. von Walter Jaeschke und Rebecca Paimann, unter Mitarbeit von Albert Mues, Gudrun Schury und Jutta Torbi. Stuttgart-Bad Cannstadt 2005, 72 f.
ZH VI 279 f., Nr. 935.
Zusätze fremder Hand
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Johann Georg Hamann |
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
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279/11 |
No 29. ]
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Hinzugefügt nach der Handschrift. |
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279/30 |
Willens ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: willens |
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280/3 |
Exemplar ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: Exempl. |