938
293/2
Kgsb. den 1 März Aschermittw. 86
3
Mein liebster Freund J. Auch Gevatter
Claudius
hat seine Recensionen
4
drucken laßen. Ich bin ihm noch eine Antwort schuldig auf einen schönen
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langen Brief, an dem er freylich vom heil. 3 Königstage bis gegen das Ende
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des Jänners geschrieben, aber mit recht guter Laune. Erinnern Sie ihn doch
7
mir
seine Machwerke
zu überschicken; denn der faule
Socius
wird es kaum von
8
selbst thun. Wenn er auch meines alten Landsmanns
D.
Moldenhawers
9
Homilie beylegen möchte, will ich das
Porto
gern bezahlen.
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Diesen Morgen umsonst dem versprochenen Briefe entgegengesehen.
11
Gestern ist der Anfang meiner Handschrift abgegangen, und ich habe es selbst
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dem CR.Fischer eingehändigt mit Bitte um mein
Cito Couvert
noch einen
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Umschlag durch seine Leute machen zu laßen. Die drey ersten Blätter bleiben;
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ich erwarte Ihre Erinnerungen, wenn Sie mit dem Anfange zufrieden
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sind, über die Fortsetzung. Eine Abschrift habe ich selbst nicht
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zurückbehalten. Ich war so ungedultig Sonntags Abends das Pack zuzumachen,
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daß ich mich zu spät besann die Veränderungen mir anzumerken. Daher ist
18
meine Bitte desto dringender Freund
Tiro
damit zu belästigen. Was ich
19
geschrieben von seiner Hand zu sehen, wird eine Vorbereitung zum Abdruck
20
seyn. Ich hoffe, daß sich der Buchdrucker gefallen laßen wird, so lange zu
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warten mit dem Abdruck, biß der
Correctur
bogen von hier wider zurück
22
kommt. Wenigstens der erste, mit deßen Erscheinung ich mir vorgenommen,
23
an die
Administration
zu schreiben u bey ihr selbst, aber deutsch, um Urlaub
24
anzuhalten. Die Lücke zu Note 17 wo ich nicht irre ist in meinem
Mst
offen
25
geblieben, weil ich den rechten Titel der
Devisen
nicht weiß. Vielleicht
26
haben Sie selbst diese Kleinigkeit, die man einem gewißen Unzer zuschrieb;
27
oder vielleicht steht sie im Meusel, den ich auch nicht habe.
28
Gegen das Ende kommt noch eine Stelle, die
Crispus
so geändert haben
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will: Warum nicht gar „Beurtheilung“? Von Abc Schützen, die noch
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nöthig haben, lesen und verstehen zu lernen, was sie selbst schreiben, und
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denen ihre erworbene Imbecillität, natürlicher Weise, das Lesen und
32
Nachdenken fremder Gedanken mehr erschwert, als die
Unhinlänglichkeit
33
Unvollständigkeit ihre
r
s eigenen Bewustseyns zu beweisen.
34
Kraus verwirft den letzten Gedanken auch, als unrichtig und dunkel. Ich
35
bin heute nicht im stande was Kluges zu denken und zu urtheilen. Schreiben
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Sie doch – Erhalte ich Sonnabends keinen Brief; so werde ich noch unruhiger
S. 294
werden um zu wißen Ihren Empfang der
Epistolae posthumae.
Vorbereitet
2
sind Sie schon gnug, auch das Ärgste zu lesen. Ich denke, Sie können mit dem
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Aufsehen Ihres Büchleins zufrieden seyn; und ich glaube kaum, daß es dabey
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bleiben wird. Desto mehr haben Sie Ursache, sich Zeit zu laßen. Auch
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beyliegende Fortsetzung gefällt mir nicht – und ich werde jetzt nicht eher mehr
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schicken, biß ich das Ende erreicht habe.
7
Gestern fand ich bey einem Besuche Roustans Briefe zur Vertheidigung
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der christl. Religion von dem unglückl.
D. Danovius
übersetzt mit seiner
9
merkwürdigen Lebensbeschreibung von seinem Schwager Schütz in Jena. Wie
10
ich zu Hause kam, fand ich
de Marées
Gottesvertheidigung, die ich mir aus
11
Berlin hatte kommen laßen, welche ich auf der Stelle durchlesen muste. Sie
12
ist gegen die Allgemeine Bibl. meine verpestete Freundin gerichtet, und
13
vorzügl. gegen Jerusalem, deßen Anruffung an die Götter der Erde zu
14
Heilanden des menschl. Elends ich noch nicht verdauen kann. Sie können nicht
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glauben, wie sehr ich mit dem alten Greis sympathisire, und so ungern ich Bücher
16
kaufe, thut mir das Geld nicht
leicht
. Es ist nur der erste Theil, und betrifft die
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Geschichte des Sündenfalls
, die so albern jetzt in Gedicht und
18
Allegorie verwandelt
wird
.
Der dritte Theil von Lienhard u Gertrud liegt auch
19
hier; ich habe ihn aber noch nicht ansehen können. Unser Patroclus liegt noch
20
in Hamburg und wird vermuthl. Ihnen nähere Nachrichten mittheilen oder
21
vielleicht selbst überbringen.
22
den 2 –
23
Ich denke, daß wenn ich bald eine Abschrift erhalte und Sie nichts
24
einzuwenden haben, der erste Bogen füglich ohne einen Probebogen abgedruckt
25
werden kann, und daß die
Abschrift
eben die Dienste thun wird und ich
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nach selbiger Ihnen lieber J. noch das Nöthige und auf Ihre Erinnerungen
27
zugl. antworten kann. Ich bin jetzt wider in einer
crisi,
die ich abwarten muß
28
und in welcher ich nichts thun kann.
29
Mit dem Ende dieses Monats kann ich erst Ihre Antwort auf meinen
30
letzten Brief abwarten – und Alcibiades Gutachten, auf das ich desto mehr
31
Vertrauen haben muß, weil er unparteyischer in dieser Sache ist, als wir
32
beyde. Wenn ich nur Sonnabends einen Brief von Ihnen erhalte und – – so
33
würde ich vielleicht im stande seyn den Sonntag
Inuocauit
zu nutzen.
34
Schreiben Sie ja an Claudius, und melden Sie auch nach Weimar, daß ich noch
35
immer
Hofnung
habe meinen Plan auszuführen, er mag nun gerathen
36
und ausschlagen wie er wolle. Die Erklärung meines
Titels
hat mich auf das
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Modegeschrey über
Pabstum
geführt, und ich wünschte gern diese
S. 295
Materie in einem andern Ton auszuführen, als den ich gegen den blasenden
2
Mitlauter führen müßen, der mir eckel geworden.
In meinem Golgatha
3
selbst sind nur die beyde Stellen
s
S. 71. über die Beschuldigung des
4
heidnischen naturalistischen atheistischen Fanatismus, den Mendelssohn durch
5
seine Vorlesungen bewiesen anstatt widerlegt zu haben
und S. 25 über die
6
Pfuy, Pfuy armer Sünder oder die
Fooi-
u Biergelder der armen Zöllner.
7
Hier liegt eigentlich die Hauptsache der
Entkleidung u Verklärung
8
– –
Hic Rhodus, hic salta.
Die Wendung dazu hängt noch von Umständen
9
ab, und von der Antwort auf mein Gesuch um Urlaub – und andern
10
Begebenheiten, deren Vorfall wahrscheinlich ist und allein von der Vorsehung
11
abhängt, die sich um Sperlinge u ihre Nahrung wie um die
Galla
kleider der
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Salomone und ihre Herrlichkeit bekümmert. Dies ist ein
entre chien et loup,
13
das wie ein Bubenstück oder wie ein Heroismus oder
Don Quixotterie
14
ausgelegt werden kann. Lieber ausgelacht als beklagt zu werden! Auch beydes,
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wenn man etwas Gutes, wäre es auch blos für unsern Nächsten dadurch
16
bewürkt werden kann. Wer nicht die Kunst zu verspielen versteht, muß sich
17
in kein Glücksspiel wagen – und mit der
Autorschaft
geht es eben so.
18
Wer nicht ungleiche Urtheile verschmertzen kann, laß das Schreiben gar
19
bleiben.
Ich verzweifele oft
durch
auf diesem Weg Gutes zu thun; weil
20
alles schon gesagt u gethan und erfüllt und nichts Neues mehr unter der
21
Sonne
ist
zu erwarten ist.
Das Eins wurd All; das Wort wurde Fleisch;
22
der Geist wurde Buchstab
–
den Juden Ein Ärgernis, den Griechen Eine
23
Thorheit; nur denen, die beruffen sind, wird Göttliche Kraft und göttliche
24
Weisheit offenbar, und dieser Beruff hängt von keinem Willen des Fleisches,
25
noch eines Mannes, noch von Geblüte ab – weder von Materie noch Form
26
und Lehrart.
27
Ich habe Ihnen schon mehr wie ein mal geklagt, wie ich mich alle
28
Augenblicke verlaufe und Irrlichtern nachjage, daß ich in Sümpfe bis über die
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Ohren einfalle, und Mühe habe mich heraus zu helfen und den rechten Weg
30
wider zu finden.
Die Charactere des Pabstums sind
1. Despotismus 2.
31
Infallibilität
3. Verachtung oder Unterdrückung der Schrift;
wo ich eine
32
merkwürdige Stelle aus
Müllers Dorfschule
rügen muß, der eine
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lange
Tirade
über die Schädlichkeit dieses Buchs macht, und den giftigen Geist
34
unsers Jahrhunderts und der berl. Reformationssucht verrath.
4.
35
Werkheiligkeit
5 u 6.
Werkheiligkeit, Aberglauben u Unglauben u
36
Gottlosigkeit
des Atheismi.
Hier ist der Uebergang zu
r
den
Vorlesungen
u
37
Morgenstunden
;
dem Spinozismo Pantheismo und dem gantzen
S. 296
philosophischen VernunftSchleichhandel – deßen Betrug ich gern
2
augenscheinlich
machen möchte, und daß diejenigen nicht Unrecht haben uns vor
3
der
Vernunft
zu warnen und keiner Gotteslästerung sich durch eine so
4
nöthige
Warnung schuldig machen, weil die Philosophen den Anfang mit
5
m
der
Sprachverwirrung
gemacht und aus der menschl. Erkenntnis
6
ein wahres Babel.
Vernunft
und
Schrift
sind
im Grunde
7
Einerley
= Sprache Gottes. Dies Thema in eine
Nuß
zu bringen ist mein
8
Wunsch und das
punctum saliens
meiner kleinen Autorschaft, die ich
9
vergraben u beerdigen
will durch Entkleidung u Verklärung. Die Idee
10
ist aus eben dem Propheten, aus dem ich die Anspielung des Epha
11
hergenommen im Golgatha S. 32 wo die Stelle so heißen muß – der zwischen
12
Himmel u Erde schwebende Epha der Theorie im Lande Sinear, und
13
Jerusalem nicht förder bleibt an ihrem Ort zu Jerusalem, sondern unter dem
14
Meridian Babels (Berlins) zu liegen kommt. Zach.
X.
10, 11
XII.
6.
Ich
15
denke noch heute nach Wörlitz zu schreiben und mich für die Bekanntschaft
16
des
lieben
alten
de Marées
zu bedanken, u einige nähere Nachrichten von
17
diesem Manne einzuziehen. Leben Sie also recht wol, und laßen Sie mich
18
nicht auf verheißene Briefe vergebens warten. Auch melden Sie mir wie Sie
19
meinen guten Rath in Ansehung Ihres G. aufgenommen haben und zu
20
befolgen im stande sind. Ihm herzlich zu vergeben zaudern Sie nicht, und laßen
21
Sie ihm solange seinen eignen Willen über, bis Umstände den Ihrigen
22
entscheiden. Ich umarme Sie und ersterbe Ihr alter Joh. Georg Hamann.
23
Ich hatte schon meinen Brief zusammengelegt, um ihn des Abends zu
24
versiegeln u Hill zur Bestellung mitzugeben, wie ich Moritz Verantwortung
25
gegen Engel erhalte. Ewalds Uebersetzung von den Fragmenten Spinoza
26
mit Bitte sie mit dem Original zu vergleichen. Des Bayle Logick u
27
Metaphysik scheint ein elendes Schulbuch zu seyn – ohn
Avis
noch Nachricht von
28
seinem Ursprung. Eben werde ich lüstern Milton’s Paradise zu lesen zur
29
Vorbereitung
aufs
das nächste Sonntagsevangel. Der Kopf ist mir so voll
30
und die Kälte so empfindl. ohngeachtet das Wetterglas stark gefallen, daß
31
ich diesen Nachmittag mich nicht vom Ofen rühren werde. Leben Sie wohl, –
32
und wenn ich nicht diese Woche einen Brief von Ihnen erhalte, und Ihr
33
ganzes Herz drinn: so versprech ich Ihnen eine
Epist. posthum.
die ärger
34
seyn soll als alles was Sie noch gelesen haben von Ihrem
vt supra.
35
Grüßen Sie Ihren
Tiro
u entschuldigen Sie die
extraord.
Arbeit die ich
36
ihm mache um ihn der
ord.
zu überheben, der
aliter
für Sie zu schreiben. Sie
S. 297
sollen schlechterdings warten und schweigen lernen. Das ist
φφ
ie und nicht
2
gackeln nach gelegten Eyern.
Litteras has scripsit Gallina.
3
Adresse:
4
An / HErrn Geheimen Rath
Jacobi
/ zu /
Düßeldorf
. /
F
co
Wesel
.
5
Vermerk von Jacobi:
6
Koenigsberg den 1
sten
Marz 1786
7
J. G. Hamann
8
empf den 1
4
2
ten
–
9
beantw. den
14
ten
–.
Provenienz
Universitätsbibliothek Erlangen, Ms. 2035.
Bisherige Drucke
Friedrich Heinrich Jacobi’s Werke. Hg. von Friedrich Roth. 6 Bde. Leipzig 1812–1825, IV 3: J. G. Hamanns Briefwechsel mit F. H. Jacobi, 166–170.
Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, V 243–248.
Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel, I 5: 1786. Hg. von Walter Jaeschke und Rebecca Paimann, unter Mitarbeit von Albert Mues, Gudrun Schury und Jutta Torbi. Stuttgart-Bad Cannstadt 2005, 86–90.
ZH VI 293–297, Nr. 938.
Zusätze fremder Hand
|
297/6 –9
|
Friedrich Heinrich Jacobi |
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
|
293/7 |
seine Machwerke ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: sein Machwerk |
|
294/7 –28
|
Gestern […] kann.] |
Die Passage ist in der Handschrift von Jacobi am Rand markiert. |
|
294/16 |
leicht ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: leid |
|
294/18 |
wird . |
Geändert nach der Handschrift; ZH: wird. |
|
295/2 –5
|
In […] haben] |
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen. |
|
295/19 –21
|
Ich […] ist.] |
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen. |
|
295/19 –26
|
Ich […] Lehrart.] |
Die Passage ist in der Handschrift von Jacobi dreifach am Rand markiert. |
|
295/21 –22
|
Das […] Buchstab] |
In der Handschrift von Jacobi doppelt unterstrichen. |
|
295/22 –26
|
den […] Lehrart.] |
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen. |
|
295/30 –31
|
1. […] Schrift;] |
In der Handschrift von Jacobi doppelt unterstrichen. |
|
295/30 |
Die […] sind] |
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen. |
|
295/31 –34
|
wo […] verrath.] |
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen. |
|
295/34 –35
|
4. Werkheiligkeit […] 4. Werkheiligkeit] |
In der Handschrift von Jacobi doppelt unterstrichen. |
|
295/35 –36
|
Werkheiligkeit, […] Atheismi.] |
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen. |
|
295/36 –296/14
|
Hier […] 6.] |
Die Passage ist in der Handschrift von Jacobi doppelt am Rand markiert. |
|
295/37 |
Morgenstunden ; ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Morgenstunden , |
|
296/6 |
sind |
Geändert nach der Handschrift; ZH: sind |
|
296/16 |
lieben ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: lieben, |
|
296/29 |
aufs ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: auf |
|
297/4 |
Düßeldorf |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Düßeldorf |
|
297/4 |
F co Wesel . |
Hinzugefügt nach der Handschrift. |
|
297/4 |
Jacobi |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Jacobi |
|
297/9 |
14 ten –. ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: 14 ten – |