948
325/26
Kgsb. den 25 März Heimsuchu 86

27
Ich fange diesen Brief an, in
guter Erwartung
des Ihrigen,

28
liebster J.J. Vorigen Mittwoch war Mitfasten; ich blieb den ganzen Tag zu

29
Hause, mit der Absicht etwas zu thun. Aber alles umsonst. Auch selbst Ihre

30
Nachricht vom Empfang beunruhigte mich mehr, als sie mich aufmuntern

31
konnte. Ich überlaße alles der Göttlichen Führung, welche Umstände und

32
Gesinnungen entwickeln wird. B.
Videtur
wird erst die Sache selbst im

33
Gange bringen. Nur nicht durch unnöthige Kosten,
Estafetten,
und

34
übertriebene Freundschaft sich selbst und mich in Verlegenheit und Unruhe

S. 326
gesetzt. Was ich jetzt am nöthigsten brauche, ist eine Abschrift – weil ich aus

2
meinem eigenen Geschmiere nicht klug werden kann, und ich lauter

3
Bruchstücke hier habe, alles beynahe in meinem Kopfe schon verlöscht ist, und ich

4
den
Schlüßel
und
Ton
gänzlich verloren habe, auch ohngeachtet alles

5
Suchens nicht widerzufinden im stande bin. Der
erste Bogen
ist für mich

6
eine Grundlage für die übrigen, und das Muster oder
Specimen,
nach dem

7
ich meinen Gang fortsetzen und einrichten muß. Gedruckt oder geschrieben soll

8
mir also ziemlich gleichgültig seyn, und ich werde davon immer
Gebrauch

9
machen können. Unser Salomon soll sich sehr erholen – desto beßer für mich.

10
Den Zusammenhang oder die
Harmoniam praestabilitam
dieses Windes

11
mit meiner Muse weiß ich mir selbst nicht zu erklären. Erhalt ich den ersten

12
Probebogen oder wenigstens B. Gutachten: so werd ich mehr Luft

13
bekommen. Herder melden Sie nichts, sondern überschicken ihm, wie
mir,
sub rosa.

14
Gegen unsern Johannes entschuldigen Sie blos mein fast unverantwortliches

15
Stillschweigen.

16
Ich glaube kaum, daß Sie Selbst unsers Cl. Büchlein mit so viel Antheil

17
können gelesen haben als ich; wenigstens hat es hier nicht eine gleiche

18
Wirkung gethan. Wenn der liebe gute Mann nicht sein Urtheil durch die

19
Uebersetzung des
schändlichsten
Buchs verdächtig gemacht: so wäre nichts

20
dagegen einzuwenden.
Vorgestern erhielte auch Moldenhawers Bogen, der

21
nicht so schlecht ist, wie er aussieht.
Ansehen
aber ist leider!
Urtheil
.

22
Gestern habe das 2 St. des 66. Bandes der A. D. B. auch durchgelaufen und

23
das Nicolaitische Etwas zweymal gelesen, worinn Sie auch das Ihrige

24
erhalten. Nun fehlen mir noch die
Annalen
von Crantz, und denn hoff ich

25
die Acten ziemlich complet zu haben.
Gestern setzte noch einmal an die

26
Morgenstunden
zu lesen. Es sind nichts wie
Waßerblasen
, und wenn

27
es mir glückt, wie ich noch immer
hoffe
und
glaube
: so soll es an einem

28
schreyenden
Beweise von der Blindheit der berlinschen Bewunderung und

29
blinden
Schwärmerey nicht fehlen. Sagen Sie mir doch, denn Vetter

30
Nabal scheint alles wie im Schlaff u Traum geschrieben zu haben, waren

31
die
Gespräche
nicht M.
erste
Schrift? Ich möchte viel darum wetten –

32
und erinnere mich gar zu deutlich mit dem Verf. darüber gestritten zu haben,

33
daß er die Briefe welche später herauskamen, jenen vorzog.

34
Wer, wie ich gethan, des
Ernesti Clavem
zu rathe zieht über das

35
Tribunal
wird gegen die
Wahl des Motto
nicht das geringste auszusetzen

36
haben. Brauchen Sie es daher ohne alle H… Verstümmelung und

37
Beschneidung. Mein Sohn hat Ihren Gruß an Kraus bestellt.
Er hat vor

S. 327
Freuden gehüpft, daß Sie den Berlinern nicht antworten würden, weil er

2
meynt, daß Sie den Schreyhalsen keinen ärgern Streich spielen könnten, als

3
auf ihr Lärm nicht einen Laut von sich zu geben.
Ich halte es im Grunde

4
auch mit dieser Politik.
Wenigstens beschwöre ich Sie und bitte darum, die

5
Recension
der Bibliothek abzuwarten. M. gesteht selbst daß es ihm um ein

6
point d’honneur
zu thun war. Gegen diese unphilosophische Grille

7
verlieren Sie kein einziges Wort, und trauen Sie keinem Freunde, der es

8
für nöthig findt sich gegen den Unfug ungebe
t
ner Mittler zu retten.
Mit

9
Leuten, die gegen die Wahrheit streiten, verliert man immer durch
Worte

10
und je mehr man dergl. glaubt nöthig zu haben, desto mehr giebt man ihrer

11
Geschicklichkeit, selbige zu verdrehen, Handhaben. Also um der
Wahrheit

12
willen, die doch Ihre einzige Sache ist, leiden Sie, und überlaßen ihr selbst

13
die Rache.
Je länger Sie warten und die Schwätzer ausgeifern laßen; desto

14
treffender
wird Ihr Motto werden, desto nachdrücklicher für Sie reden.

15
Ich habe beynahe gewünscht Ihnen mit meiner Autorschaft so viel zu

16
schaffen zu machen, daß Sie kaum Zeit übrig haben sollten an Ihre eigene zu

17
denken. Geräth selbige – nun gut für Sie u mich. Wird nichts draus; so

18
machen Sie was Sie können, und meine Sache zur Ihrigen, wie ich die

19
Ihrige zu meiner. In beyden Fällen setze ich keine Feder mehr an und

20
bekümmere mich eben so wenig um das, was ich geschrieben habe, als was ich

21
nicht s
chreiben kann
.

22
Hill komt noch mit keinem Briefe. Es ist aber noch nicht 10. Dafür erhalte

23
die 3 ersten Monate eines
Journals aller Journale.
Laßen Sie mich ein

24
wenig blättern. Ich habe mir heute einen Feyertag gemacht. – Kaum den

25
Wisch des ersten Monats durchgegangen; so kommt der Götterbote Hill.

26
Alles gut, alles gut, nach Herzenswunsch. Ich muß also den
gedruckten

27
Anfang
abwarten, weil dieser das
Exemplar
meines Ideals

28
entwickeln helfen muß. Alcibiades mag Ihnen oder mir antworten: so bitte im

29
ersten Fall mir alles
lauter
mitzutheilen.

30
Auch es
schneidt
Ihr altes deutsches Sprichwort im
P.S.
Ich fühl die

31
Wahrheit von dem was Sie sagen, und mein
Affect
geräth zu oft in

32
Dunst u Galimathias.
Das
XIII.
Kap. des
I.
Cor. ist eins der grösten

33
Räthsel und schwersten Schriftstellen für mich; besonders die ersten 7 Verse.

34
Was Sie mir zurückschicken, ist noch nicht ausgearbeitet – Nur der
erste

35
Bogen
hielte
damals
die Probe, der
Druck
muß das erst ausweisen.

36
Der 2te Bogen ist noch voller Schlacken u daran wird von mir noch nicht

37
gedacht.

S. 328
Bitten Sie Ihre Mamsell Schwester 1000 mal um Vergebung. So war

2
es gar nicht gemeint; hat mir auch nicht einfallen können. Es betrifft
nicht

3
meine Handschrift oder
Mst
sondern blos die Züge meiner Schreiberey.

4
Wenn Ihnen ein
Wort
etwa unleserlich wäre;
ein Umstand der eben

5
damals im frischen Andenken war, wo ein gantz unbefangener den ärgsten Zug

6
einer gelehrten Feder beßer zu errathen im stande ist, als ein gelehrtes

7
ungedultiges Auge, das vor der Menge von Hypothesen, durch die man den Sinn

8
eines chinesischen Pinsels erzwingen will, geblendet wird und die nächst

9
liegende Ähnligkeit übersieht.

10
Daß der gedruckte Bogen so weit in der Handschrift reichen sollte, kann

11
ich mir kaum vorstellen, und
hätte
es nicht geglaubt;
es fehlt mir aber in

12
allen Dingen an Augenmaaß – und ich sehe alles bald durch ein
Micro-

13
bald
Telescop.

14
Die Abschrift fängt sich mit dem Abschnitt an: Zwar hat die deutsche

15
Sprache – – – Sollte der Druck nicht so weit gereicht haben: so bitte mir

16
das
Mittelstück
zu ergänzen. In dem letzten Period fehlt überhaupt das

17
Zeitwort.

18
Noch einen
kleinen Abschnitt
hab ich meines Wißens nachgeschickt;

19
denn das ausgestrichene auf dem Blatt gilt nicht. Ich will also gedultig auf

20
den
abgedruckten Anfang
warten, nemlich auf den Probebogen, zu

21
dem Sie auch wohl, liebster Fritz, sich Herders Erinnerungen ausbitten

22
könnten, wenn er welche hat. Ich habe mittlerweile das Journal aller Journale

23
durchgelaufen. Der Herausgeber nennte sich am Ende dieses Monats oder

24
des ersten Vierteljahrs von Heß und lebt zu Hamburg. Die elenden

25
Uebersetzungen aus dem Seneka schreckten mich beynahe ab; unterdeßen hab ich

26
doch allerhand gefunden. Eine Ankündigung von Mendelssohns Tode, wo

27
Sie auch gerechtfertigt werden auf eine lächerliche Art. Ein Gespräch

28
zwischen Leßing Klotz u einem Dorfprediger im Reich der Todten ist auch

29
eingerückt u wo ich nicht irre besonders herausgekommen.

30
Daß der Buchdrucker in Mühlheim
Eyrich
heißt, ist mir gnug. Aber

31
wenn es ein Probebogen seyn soll, so muß der Satz des Buchdruckers, denk

32
ich, so lange stehen bleiben, bis ich antworte. Ist dieses wohl für ihn

33
möglich? und wird er sich dazu beqvemen, wenigstens bey dem ersten Bogen –

34
denn bey der Fortsetzung will ich all was ich kann thun, die Sache ins Reine

35
zu
bringen

36
Die Stellen, welche in der Abschrift vorkommen, müßen noch

37
umgearbeitet werden, und ich behalte mir vor Ihre Erinnerungen zu nutzen – Was die

S. 329
3 vorhergehenden betrifft, so fehlt mir die Ansicht derselben, und ich wünschte

2
nicht, daß der Abdruck so weit gienge, als Sie dort dem Buchdrucker gelaßen

3
haben. Es sind doch nur wegen des zum Titel bestimmten Blatts 3

4
Qvartblätter übrig, und ich wünschte gern einen etwas gedehnten Raum der

5
Zeilen,
ungefehr
wie Herders Ideen, nicht völlig so geraum. Von diesen drey

6
Stellen kann ich daher nur die erste beantworten, und der Sinn bezieht sich

7
gantz auf dasjenige was ich in der Dedication der Sokr. Denkw. über

8
Niemanden den Kundbaren zum voraus
gesetzt

9
Jeder Schriftsteller hat sein eigen Publicum; dies
Idol
ist sein eigen

10
Ideal
. Als
Idol
ist ihm dem
Publico
an einem
Opfer
so viel gelegen, als

11
dem Opferer an seinem Ideal. Das gegenseitige Intereße zwischen Leser und

12
Autor ist durch eine
Kantsche Idee
ausgedruckt, die jetzt ziemlich

13
geläufig seyn muß, und worüber ich mehr zu sagen willens bin. Wenn das

14
Publicum an jedem Maulaffen und Bauchpfaffen Antheil nimmt; sollte es nicht

15
einem
s.v.
Schmierhans Antheil nehmen, der Lust hat ins Feuer zu springen,

16
wie ich
in petto
habe
ein
groß Opfer
der allgemeinen deutschen Baal zu

17
thun.
2.
Reg. X.
18–28. Diese Stelle kann also ihre Dunkelheit behalten,

18
weil sie nothwendig aufgeklärt werden wird. Wegen der andern beyden

19
Stellen, die dort stehen, muß ich selbige im Zusammenhange lesen.

20
Ich muß von dem
Eingange
wider
impraegni
rt werden, ehe ich weiter

21
gehen kann, und habe
Schlüßel
und Ton, wie ich bereits gesagt, gantz

22
verloren. Es geht mir wie einer Frau in Kindesnöthen, die zappelt und in

23
Ängsten und Schmerzen ist.
Jerem. XLIX.
24. oder wie ich Ihnen, glaub

24
ich, schon ein ander eben so wahres Gemälde meines Seelenzustandes aus

25
Jes.
XXXVII.
3. – es ist
keine Kraft da zu gebären
.

26
Ich weiß lieber Freund Fritz; daß ich in Ansehung Ihres Hauskreutzes

27
ins Gelag hereingeredt. Ihre jetzige Erklärung beruhigt mich völlig, daß Sie

28
mit der ganzen
Begebenheit vollkommen zufrieden
sind
.
Auch

29
die Abtrünnigen nehmen an Seinen Gaben Antheil, und Er redt auch durch

30
sie
zu
uns, und wirkt auch durch sie
für
uns. Der Wink der Vorsehung

31
zu neuen Hofnungen wird zu seiner Zeit nicht unerfüllt bleiben.

32
Da kam Freund Crispus, noch gantz begeistert von der Wirkung Ihres

33
Stillschweigens. Die Berliner schämten sich schon selbst ihrer dummen

34
Aeußerung, und suchten jetzt einer die Schuld auf den andern zu wälzen.
Ich war

35
gantz außer meiner Laune, und ein anderer Besuch, der ihm nicht angenehm

36
war, störte
ihn
uns vollends. Es ist heut bey mir Rüsttag, und morgen

37
speise ich bey Ihrem Namensvetter, übermorgen
praenumeri
re ich auf das

S. 330
6te Vierteljahr für meine
Lisette Reinette,
die ich lange nicht besucht. Kant

2
wird zum ersten mal
Rector Magnificus,
und der
Actus
geschieht am

3
Sonntage
Quasimodogeniti,
den Tag nach seinem Geburtstage. Bey seiner Wahl

4
sind viele Schwierigkeiten gewesen, die Kraus durch eine meisterhafte

5
Deduction
erläutert und gehoben, welche ich ohne sein Wißen zu lesen

6
bekommen.
Kant hat sich auf eine sehr edle philosophische Art dabey betragen, die

7
seinem guten Character, den ihm niemand absprechen kann, Ehren macht.

8
Er arbeitet jetzt an einer neuen Auflage seiner Kritik, und hat den Verdruß

9
gehabt von einem jüdischen Maler
Löwe
auf eine gantz abscheulige Art

10
in Kupfer gestochen zu werden, nach dem er wie ein wahres
Monstrum

11
aussieht, und der beste Physiognomist ein
air de reprouvé
ihm zusprechen

12
würde. Ich vermuthe doch, daß einige Abdrücke davon nach Berlin

13
gekommen seyn mögen, ohngeachtet der
Debit
eines solchen
Pasquils
verhindert

14
worden und der Geck
ad vivum pinxit
die Unverschämtheit gehabt drauf

15
zu setzen.


16
26. März 1786

17
Freuden-Brodt- u Rosen-Sonntag.

18
Wird es kaum für mich seyn! Da Sie meinen garstigen Briefwechsel

19
aushalten können, so wird Ihre Gedult, liebster J. nicht über noch meinen

20
elenderen Umgang ausreißen. Jener ist allso Ihnen wenigstens eine

21
Vorbereitung und Prüfung zum letztern, wenn es wie ich hoffe, dazu kommen sollte,

22
uns einander zu sehen und Aug ins Auge kennen zu lernen. Ich bin fest

23
entschloßen erst den Abdruck abzuwarten, ehe ich weiter zu arbeiten fortfahre.

24
B. Antwort oder Erklärung und der Anblick des gedruckten Anfangs werden

25
mich vielleicht wider in den Gleis bringen, aus der eccentrischen Lage, worinn

26
ich mich gegenwärtig befinde.

27
Ich weiß nicht, ob ich mich schämen oder lachen soll über das

28
Misverständnis wegen meiner Hand und
Msts.
Sie sollten mein altes, verbogenes,

29
bestaubtes, gelbes H
e
arz ausschwitzendes zinnernes Dintenfaß ansehn; so

30
würden Sie aus dem Eckel, den dieser Anblick giebt, alles was daraus

31
her
fließen kann, beurtheilen können, und wie wenig ich Lust zum Schreiben

32
habe. Ueberstehe ich meine gegenwärtige
Crisin,
die unmöglich eine blinde

33
Windkolick seyn kann: so will ich es mit diesem Geräth machen wie ein vom

34
Schiffbruch Geretteter der seine
u
vuida vestimenta
dem mächtigen

35
Meeresgotte zu Ehren aufhängt. –

36
Zu
scharf schneidt nicht
– Ist es nicht mit dem Denkspruch

37
einerley:
Allzuklug ist dumm
. Der auch an meiner Wand hängt von der

S. 331
Hand eines Schreibemeisters, der
la Roche-Noblot
hieß, und im Meer

2
ertrunk mit einem Schiffe, das ihn nach Riga bringen sollte. Ich werde mir

3
Ihr
Postscript
und das alte deutsche Sprichwort einzuprägen suchen; denn

4
eben die
affectirte
übertriebene Schärfe hat mich stumpf gemacht.
Natura

5
und
altera Natura,
ein falscher erworbener Geschmack sind Schuld daran.

6
Diese
Entkleidung
thut so wehe, wie
Haut
um
Haut
. Nur ein so

7
wilder
Schriftsteller, wie ich mich beynahe fühle, kann sich an das

8
Escalpi
ren wagen und sein Selbstgefühl abhärten.

9
Meine Antwort auf Ihren Brief vom 21
pr.
ist den 4 d. abgegangen.

10
Gott gebe daß Sie mit Ihrer Erklärung von M. Unbesonnenheit weiter

11
kommen, als er mit seiner Hypothese. Die
Unvollständigkeit

12
unserer Selbsterkenntnis
ist freylich an allen Beweisen schuld. Was

13
brauchen Sie sich erst einen
Schlüßel
zu machen, wenn Ihnen schon einer

14
gegeben
ist von unserm
Freund Reichard
, der wegen des einen

15
verrathenen
Worts
allen unsern Dank verdient. In dem einzigen Worte liegt

16
alles, was M. zu beichten im stande war, und der engl. Commentar hängt

17
nicht umsonst wie ein
großes Schild
. Welcher Mensch weiß, was im

18
Menschen ist, ohne den Geist des Menschen, der in ihm ist; und dieser

19
verräth sich durch einen einzigen
Zug
oder
Laut
, den man erhaschen muß, und

20
da muß man seine
äußerliche
Sinnen zu Hülfe nehmen, aufmerksam seyn

21
auf den
gegebenen Buchstaben
, als das einzige
vehiculum
des zu

22
erhaschenden Geistes
. Wenn man
data
hat, wozu braucht man

23
ficta?

24
Mendelssohn war gewohnt mit Leidenschaften und ihren Masken

25
umzugehen
.
,
beßer wie wir beyde.

26
Quid rides? mutato nomine de te Fabula narratur.

27
Er war selbst der Afrikaner, der sich an Johannes wie an Fritz irrte. In

28
meinem Golgotha war es mir darum zu thun, die Philosophische Maske den

29
Berlinern abzureißen. Daß es ihnen an Instinct nicht gefehlt diese Absicht

30
zu errathen, davon habe ich
indicia
genug erhalten. Nun liegt mir noch der

31
Beweiß auf, daß die
Vorlesungen
anstatt den Verdacht des atheistischen,

32
heidnischen, naturalistischen Fanatismus zu widerlegen, lauter apodictische

33
Beweise deßelben sind.
Kant hat nicht Unrecht, wenn er diese Metten für

34
ein reines
System der Täuschung
ausgiebt.
Die ganze Fabel meiner

35
Autorschaft ist auch eine Maske, und ihre silberne Hochzeit wie Simsons

S. 332
seine um den Philistern ihre eigene Blöße zu zeigen, sie zu
entkleiden

2
und sie zu
verklären
daß man ihre
naturalia
nicht länger verkennen soll,

3
sie zu malen, wie der verwünschte Jude den Kritiker der reinen Vernunft

4
in Kupfer gestochen hat, daß Kinder u alte Weiber sich kreutzigen u seegnen

5
sollen vor der
mala bestia,
ihrem Bild und seiner Uberschrift – Was der

6
Leser thun sollte, muß ich nicht selbst thun, sondern
ihm
überlaßen.


7
den 27

8
Der gestrige Morgen fieng sich mit ein paar Sonnenblicken an, auf die

9
ein Nebel folgte, und den ganzen Vormittag ein Regenguß, auf den es zu

10
schneyen anfieng. Alle meine Gänge sind auf heute verlegt, weil ich mitten

11
im Regen nur einen einzigen zu meinem ältesten Freunde Kriegsrath

12
Hennings bestreiten konnte, der dem Grabe auch nahe zu seyn scheint. Ich aß

13
also zu Hause und ein Zufall spielte mir die
Familie Frick
in die Hände,

14
welche ich mich erinnerte schon einmal mit Vergnügen gelesen zu haben, und

15
mit der grösten Zufriedenheit erneuerte, daß ich Wetter u alle
s
Unlust an

16
mir selbst vergaß.
Da überraschte mich gegen Abend Freund Crispus, und

17
wir ersetzten den Mangel des vorgestrigen Abends durch das vertraulichste

18
Geschwätz über den Contrast unserer Lagen, und Angelegenheiten und

19
Urtheile auch in Ihrer Sache, über M.
Maske
, worunter er allein seine

20
Leidenschaften
befriedigen
konnte,
und die ihm unentbehrlich war – über

21
den von Ihnen angeführten Spruch des
Pascals
, für den er und ich wider

22
ihn an. Wir streuten uns
Funken
und
Saamenkörner
einander in

23
die Seele, die nicht gantz ohne Wirkung und Frucht bleiben werden.
Natur

24
und
Vernunft
widerlegen eben so stark den Dogmatismum als

25
Scepticismum. Unser Wißen ist
Stückwerk
; aber noch mehr zweifeln,
– – Ich

26
brachte den unvollendeten schönen Roman zu Ende. Sollte nicht selbiger von

27
Sturz seyn? Wollte noch schreiben, muste aber aufhören und diesen Morgen

28
das abschneiden, was ich gestern geschrieben hatte. Hätte bald diesen ganzen

29
Brief
cassi
rt, wenn ich Zeit zu einem andern, und die geringste zu einem

30
klügern hätte. Gesundheit, gut Wetter, Ruhe und Freude zu Ihrem

31
Aufenthalt in P.
Wenn es auf
Crispi suspiria
und meine
lacrumas
ankäme: so

32
würden Sie diesen Sommer so glücklich als August seyn.
Ihr George und

33
mein Michael würde
n
auch ihre Rechnung dabey finden. Bey Ihrer

34
liebsten würdigen
S
gefälligen Schwester werden Sie alles gut zu machen

35
wissen; wenn dies
inter bonos
nicht überflüßig wäre.
Vale et sustine.

S. 333
N.S.

2
Eben wie ich zumachen wollte, erhalte von Hippel das
XII.
Stück der

3
Büschingschen Nachrichten vom 20
d.
worinn der März der Berl.

4
Monatsschrift recensirt wird mit vieler Unparteylichkeit. Mendelssohn mehr als

5
Maimonssohn für sein Volk, aber das übertriebene Lob der
berl.

6
Nichtjuden ist den verständigen Berlinern so wohl als Auswärtigen eckelhaft

7
und anstößig. Der Schluß in seinem letzten Briefe an Sie kommt ihm auch

8
als ein gantz unverdienter, unverantwortlicher und unvergeblicher Spott

9
über unsere Religion und ihren
φφ
en vor – Das Berlinsche
Tolerantz

10
Monument
mehr ein
Denkmal für die letzten berlinschen

11
Wolfianer
. Komt es zu Stande, so wird er so lange er lebt hingehen um

12
beym Anblick deßelben sich mit Lebhaftigkeit u Vergnügen zu erinnern, daß

13
es einmal
Wolfianer
in Berlin gegeben habe.

14
Ich erhalte eben Sturzens Schriften, um mich wegen meiner Vermuthung

15
zu widerlegen. Ist Ihnen der Verfaßer
der Frickschen Familie

16
bekannt; so wünscht ich ihn auch zu wißen. Wenn ich doch nur wüßte, was in

17
meinem Kopf u Eingeweiden – Muß mir die Erlaubnis nehmen mich den

18
ganzen Tag umzutreiben durch dick und dünne. Vielleicht werd ich durch

19
Bewegung ein wenig erleichtert.


20
Vermerk von Jacobi:

21
Koenigsberg den 25
ten
März 1786.

22
J. G. Hamann

23
empf den 6
ten
Apr.

24
beantw den 7 u 14
ten

Provenienz

Universitätsbibliothek Erlangen, Ms. 2035.

Bisherige Drucke

Friedrich Heinrich Jacobi’s Werke. Hg. von Friedrich Roth. 6 Bde. Leipzig 1812–1825, IV 3: J. G. Hamanns Briefwechsel mit F. H. Jacobi, 186–192.

Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, V 266–275.

Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel, I 5: 1786. Hg. von Walter Jaeschke und Rebecca Paimann, unter Mitarbeit von Albert Mues, Gudrun Schury und Jutta Torbi. Stuttgart-Bad Cannstadt 2005, 123–130.

ZH VI 325–333, Nr. 948.

Zusätze fremder Hand

333/21
–24
Friedrich Heinrich Jacobi

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
326/13
mir,
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
mir
326/16
–20
Ich […] einzuwenden.]
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen.
326/21
Ansehen […] Urtheil.]
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen.
326/25
–33
Gestern […] vorzog.]
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen.
326/34
–327/4
Wer, […] Politik.]
Die Passage ist in der Handschrift von Jacobi am Rand markiert.
326/37
–327/3
Er […] geben.]
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen.
327/8
–13
Mit Leuten, […] Rache.]
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen.
327/9
Worte
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Worte,
327/13
–21
Je […] kann.]
Die Passage ist in der Handschrift von Jacobi am Rand markiert.
327/30
–33
Auch […] Verse.]
Die Passage ist in der Handschrift von Jacobi am Rand markiert.
327/32
–33
Das […] Verse.]
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen.
328/4
–9
ein […] übersieht.]
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen.
328/11
–13
es […] Telescop.]
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen.
328/11
hätte
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
hatte
328/35
bringen
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
bringen.
329/8
gesetzt
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
gesetzt.
329/9
–19
Jeder […] lesen.]
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen.
329/16
habe
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
habe,
329/17
thun.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
thun
329/28
sind
.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
sind
.
329/32
–34
Da […] wälzen.]
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen.
330/6
–7
Kant […] macht.]
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen.
330/36
–331/8
Zu […] abhärten.]
Die Passage ist in der Handschrift von Jacobi am Rand markiert.
331/4
affectirte
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
affectirte,
331/9
–332/6
Meine […] überlaßen.]
Die Passage ist in der Handschrift von Jacobi am Rand markiert.
331/25
umzugehen
.
,
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
umzugehen,
331/33
–34
Kant […] ausgiebt.]
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen.
332/16
–25
Da […] zweifeln,]
Die Passage ist in der Handschrift von Jacobi am Rand markiert.
332/20
konnte,
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
konnte
332/31
–32
Wenn […] seyn.]
In der Handschrift von Jacobi unterstrichen.
333/3
d.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
d