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Kgsberg den 2 Apr.
Dom. Judica
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Ach! mein auserwählter! ach mein erwünschter Sohn! Gottlob! wir
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stehen also noch auf dem alten Fuß. Ihr Stillschweigen war mir Anfangs
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wohlthätig; aber in die Länge wurde es mir ein wenig verdächtig und
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peinlich. Ich glaubte mir wirklich Ihren Unwillen zugezogen zu haben, und war
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entschloßen selbigen mit eben dem Herzen wie Ihre unverdiente Güte zu
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ertragen. Dies sind nicht leere Worte, sondern Ausdrücke wahrer
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Gesinnungen – Es freut mich herzlich, daß alles gut geht und steht. – Ich war
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wirklich so tief versunken, und Muthlos, daß ich einen Engel nöthig hatte, der
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mich stärkte – und Ihr Brief war der Kelch, den ich erst heute gegen Abend
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erhielt, wie ich eben an Herder schrieb, und den beruhigen wollte, weil seine
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Weißagung
erfüllt
worden
die er unserm Jonathan in Pempelfort
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anvertraut, an deßen Autorschaft ich beynahe zu viel Antheil genommen und
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besorgen muste ihn dadurch eben so sehr wie mich selbst verwirrt zu haben.
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Ich werde Ihnen nicht viel schreiben, und traue mir kaum zu, Ihren Brief
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beantworten zu können – –
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Bey dem Abschluß meiner Schriftstellerey hab ich die Ausführung meiner
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Reise vornehmlich im Schilde geführt und mir die Hofnung gemacht meinen
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Urlaub dadurch befördern zu können. Also rühren Sie sich nicht von der
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Seite Ihrer
Marianne
– – denn wie wär ich nach Weimar gekommen,
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ohne Ihren Vorspann? Also ist nicht Weimar, sondern
Münster
und
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Ihr Haus der eigentliche
Focus
und Heerd, bey dem ich mich zu erwärmen
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und zu verjüngen hoffe – Meine Gesundheit erfordert schlechterdings eine
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Ausflucht und Reise – und ich dächte Sie hätten mir Ursache gegeben mein
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Leben mehr zu lieben, als zu haßen, worinn ich beynahe weiter gekommen
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wäre, als es recht und gut ist. Der das Wollen gegeben hat, wird auch nach
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Seiner
Treue,
Kräfte und
Bewegungsgründe
zum Vollbringen geben,
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und ich hoffe und bin entschloßen das Meinige nach Vermögen (das Er
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darreicht und darreichen wird) zu thun. Ich danke Ihnen herzlich für die
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dreyfache Beylage, deren ich eins der Baroneße oder meiner Freundin
Courtan
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geben will
– das zweite vielleicht Hippel. Sie wißen wie ich an dem
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einzigen Worte:
Seine Zeiten sind seine Geheimniße
mich gestärkt;
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weil ich diese Wahrheit täglich erfahre. Mein
en
Freund Kraus bring ich
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auch Ihrem ehrl. Schwaben mit wenn alles nach menschl. Entwürfen geht,
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denen sich Gott mehr
accomodi
rt als wir den Seinigen zu thun im stande
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sind und Lust dazu haben. Also Ihre Marianne ist eben so ängstlich im Fahren
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wie der alte
großer Papa
, der immer das Gleichgewicht halten will, wenn es
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ein wenig schief geht, und wenn es vorbey ist, über sich selbst lacht,
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ohngeachtet ich die kursche Wege kenne, jetzt aber beynahe des Fahrens entwöhnt
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bin. Nun hab ich Ihnen vom Reisen mehr als zuviel geschrieben. Am
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liebsten möchte ich
unterwegs
an Sie schreiben wie Sie gethan haben. Gott
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laße diesen Sommer so gerathen, wie die Erstlinge, die wir einige Tage so
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frühzeitig genoßen. Keine weitere Vor- und Nachrede ist unter uns nöthig.
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Mich wundert, daß J mir von Ihrem Unglück bey
Dudlingen
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nichts gemeldt. Gott laße Ihre und Mariannes
Freude vollkommen
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werden durch Leben und Seegen. Dies ist mein täglicher Wunsch
in petto.
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Dich glücklicher Leichtsinn! find ich nicht mehr, und klügle mich elend. Ein
3
j
fürstlicher Greis – – war mein jugendliches Motto, will mich auf meine
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alten Tage ein beßeres wählen, nicht mehr aus Gemmingen sondern
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Maleachi
IV.
2. Der Belial
Roterodamus
ist Bayle, deßen Logick u Metaphysik
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zu seiner Schande u unsers Jahrhunderts vom
Salomon du Nord
u auf
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seine Kosten herausgekommen ist. Matth.
XII.
42. ist der Schreibfehler.
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Tausend Liebes und Seegenswinke für die liebenswürdige Fußgängerin.
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Unterweges wird sich beßer und gemächliger schreiben laßen. Für die blinden
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und leichtgläubigen giebt es nur Fallen und Gruben. Der beste
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Magnetismus
und
schwerste
für mich, wie ich noch jüngst an J
acobi
schrieb, ist
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1 Cor.
XIII.
Ihre und Mariannens
opera
werden Ihnen beßere
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Commentarii
als Joh. Casp. und Joh. Georgs gedruckte
Randgloßen seyn.
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Giebt es einen
Magnetismum;
so laß er sein Daseyn durch Werke beweisen,
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gegen die kein Zweifel statt finden kann, und durch Früchte, die edler sind als
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Zeichen und Wunderkräfte. Alle Menschen sind Lügner – aber die
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Wahrheit ist einfach und braucht nicht viele Künste. Wir wollen darüber
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mündlich mehr reden, lieber muthwillig als ernsthaft. Ich weiß wenig selbst
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davon; es hat mir aber immer geahnt. Ich umarme Sie und Ihre
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fruchtbringende Hälfte im Geist und Wahrheit eines von Grund des Herzens
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erkenntlichen und zufriedenen Vaters und schon in Gedanken reisenden und
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kommenden Theilnehmers u. Zeugen.
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Joh. Georg H.
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Adresse:
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Herrn Franz Bucholz / Herrn von Welbergen / zu
Münster
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22. Apr. 86.
Provenienz
Staatsbibliothek zu Berlin, Lessing-Sammlung Nr. 1841 o.
Bisherige Drucke
Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, VII 309 f.
Ludwig Schmitz-Kallenberg (Hg.): Aus dem Briefwechsel des Magus im Norden. Johann Georg Hamann an Franz Kaspar Bucholtz 1784–1788. Münster 1917, 86–88.
Siegfried Sudhof (Hg.): Der Kreis von Münster, 1. Teil, 1. Hälfte. Münster 1962, 267.
ZH VI 333–335, Nr. 949.
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
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334/4 |
worden ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: worden, |
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334/19 |
Treue, ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: Treue |
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334/29 |
großer Papa ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: Großpapa |
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335/13 |
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Geändert nach der Handschrift; ZH: ? |
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335/25 –26
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Herrn […] 86.] |
Hinzugefügt nach der Handschrift. |