965
385/2
Pempelfort den 12
ten
May 1786.


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Vermerk von Hamann (nachträgliche Nummerierung mit roter Tinte):

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Erhalten den 24 – Geantw den 25 nebst der

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vierten Fortsetzung
No. I. II. III
/ 2.  
N
o
41.


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lieber Herzens Vater,

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Freund u Hamann!

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Daß ich am Dienstag nicht schreiben konnte, war mir ein rechtes

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Herzeleid. Mein Befinden ließ es schlechterdings nicht zu. Mit genauer Noth

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brachte ich einige Zeilen an Buchholtz zu Stande, dem ich die Fortsetzung des

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fliegenden Briefes schickte. Am Montag hoffe ich seine Antwort zu erhalten,

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u dann schicke ich am Dienstag die begehrte Abschrift.

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lieber Vater, laß mich Dir die Hände küßen, für das Herablaßende

14
t
Trauliche Deines Briefes vom 30ten April! Ich weiß daß Du mich liebst.

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Gewiß weißt Du auch daß ich Dich liebe!

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Schon der Brief vom 26
ten
machte mir viel Freude u gute Hoffnung. Ich

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behalte guten Muth, u sehe mit Freude Ihren folgenden Briefen entgegen.

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In dem May der Berliner Monatsschrift ist ein Herr General Major

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v Scholten, als Umsegler des ganzen Ozeans der Metaphysik, mit dem

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Compas der Logik in der Hand, gar komisch aufgetreten. Aber der Ausfall
g

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wider den Glauben, u wie er auch nicht einmahl mehr
genannt
werden

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soll, ist gar zu brav. – Was in aller Welt sagt doch Kant zu dergleichen

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Betisen? – Unmöglich könte er mit dem Gesindel Gemeinschaft haben, wenn

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er ein Mann wäre.

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Ich bin so frappiert u so gerührt v dem Gange unserer Sache, daß ichs

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nicht sagen kann, u nichts darüber sagen möchte. – Hätten Sie nur erst die

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Resultate. Ich hatte Goeschen schon geschrieben daß er Ihnen sechs Exempl

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davon zuschicken sollte, u habe ihm nun aufgetragen, sie Hartknochen mit

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zu geben. Ihre Bestellung an Lavater habe ich auch ausgerichtet. Mein

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Büchlein hat ihn hoch erfreut; aber nichts hat ihm so wohl gethan, als der

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Schnurrbart den ich Ihnen machte. – Ersehen hat er aus meinem Büchlein,

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daß „M M kein Israelite ohne falsch ist, sondern ein kleingeistiger,

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nebenabsichtlicher, ärgerlich bornierter Feinschreiber nach dem Weltgeiste dieser

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Zeit“. Der letzte Zug gefällt mir sehr.

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Mein Befinden taugt heute nicht viel, von der Scheitel bis zur Fußsole;

S. 386
weiß also nicht wie lange ich werde schreiben können, u will darum nur gleich

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das Dringendste, das Capitel v unserer Reise abthun.

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Heute vor 8 Tagen habe ich nach London an die Gräfinn v Reventlow

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geschrieben, um Erkundigungen einzuziehen u Abrede mit ihr zu nehmen. Von

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ihrer Antwort wird es abhangen, ob u wenn ich reise. Wenn etwas aus

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meiner Reise wird, welches höchst wahrscheinlich ist, so würde ich am liebsten

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mich noch vor dem halben Juni auf den Weg machen. länger als 4 Wochen

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bleibe ich nicht in London, u kehre gerades Wegs zurück. Ich wäre also Ende

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Juli wieder zu Hause. So bald ich die Antwort der Gräfinn habe, melde ich

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Ihnen den Augenblick, was geschehen wird. Meinen jüngeren Bruder

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Johann Michel nehme ich herzlich gern mit. Aber es würde mir doch immer

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schwer aufgehen, wenn ich Sie in der Nachbarschaft hätte, eine Reise über

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See zu thun. Sie, von Ihrer Seite, geben mir v Ihren Aussichten die

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schleunigste Nachricht. Ich will lieber in meinem Leben London nicht sehen,

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als die mindeste Gefahr in Absicht der Zusammenkunft mit Ihnen laufen.

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Was ich Ihnen sage, ist die reine Wahrheit. Daß es Ihnen in meinem Hause

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behagen, u schlechterdings nicht gelingen wird, sich mit mir zu überwerfen –

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sollen Sie erfahren. Für Ihre Gesundheit wird das Reisen u die Freude

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derer die Sie lieben ganz gewiß die besten Folgen haben, u mehr würken

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als die Kämpfschen Kliestiere, zu denen ich doch auch kein geringes Zutrauen

21
habe. Mein 3
ter
Sohn, der in übeln Umständen war, einen Ansatz von

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Rachitis bekam, u besonders am Kopf gewaltig litte, hat sie mit dem besten

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Erfolg gebraucht, u ich habe
die feste
große Hoffnung, daß sie ihn völlig

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herstellen werden. Einen hiesigen Freyherrn v Mirbach, der v einer
todlichen

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Gefährlichen Krankheit in die andre fiel, haben sie vergangenen Sommer

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augenscheinlich vom Tode gerettet.

27
Die Fortsetzung des fliegenden Briefes, die Sie Ihrem mir gestern

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eingelaufenen Schreiben beylegen wollten, wird doch hoffentlich am Sonntag

29
kommen. Ich wünschte die Erlaubniß den 2
ten
Bogen drucken zu laßen käme

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mit. Ich gehe nicht gern
zur
rückwärts, u durch die Vertilgung des Satzes

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des ersten Bogens, sind wir gewißermaaßen rückwärts gegangen. Auch sahe

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ich gern die Sache so weit eingerichtet u ins Reine gebracht.

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Nikolai’s Beylage gegen Garve habe ich noch nicht; ich erwarte sie dieser

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Tagen.

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Schreiben Sie mir doch ja den Augenblick nachdem Sie die Resultate

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gelesen haben. – Unserm lieben wackern Crispus tausend Grüße. – Von

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Herdern nicht eine Silbe, weder auf Claudius 2 Recensionen, noch auf Ihren

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fliegenden Brief, noch auf meine Rechtfertigung. – Die S 14 angeführte

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Stelle ist allerdings aus einem Ihrer Briefe an mich genommen.

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Ich hatte mich nach Tische auf meinem Seßel gesetzt, u bin eingeschlaffen.

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Jetzt muß ich nur geschwinde zumachen. – Setzen Sie in Zukunft nicht mehr

5
auf Ihre Briefe zu
Pempelfort
, sondern blos Düßeldorf. Die

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Preußische Post hat deswegen
mit
der hiesigen Kayserlichen hiesigen, die mir die

7
Briefe v Wesel
fr
co
liefern muß, ich weiß nicht welche
Chicane
gemacht.

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Gestern ließen mir die Postbedienten es auf diese unbestimmte Weise wißen,

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mit Bitte zu verordnen, daß das Pempelfort hinführo weggelaßen werde.

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Was Ihr Preußen Euch nicht alles einfallen laßt! – Gott befohlen, lieber,

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herzlieber Hamann.

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Ewig Ihr Fritz Jonathan Ariel

Provenienz

Universitätsbibliothek Erlangen, Ms. 2035.

Bisherige Drucke

Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel, I 5: 1786. Hg. von Walter Jaeschke und Rebecca Paimann, unter Mitarbeit von Albert Mues, Gudrun Schury und Jutta Torbi. Stuttgart-Bad Cannstadt 2005, 201–203.

ZH VI 385–387, Nr. 965.

Zusätze fremder Hand

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–5
Johann Georg Hamann

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
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N
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41.
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Hinzugefügt nach der Handschrift.