969
399/2
den 25 May
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Herzenslieber Ariel-Jonathan
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Himmelfahrt habe ich heute gefeyert, und mich kaum vom Stuhle gerührt.
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Die christl. Kirche in Preußen hat dies alte Fest auf den Sontag
Exaudi
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verlegt. Auf den vergnügten Morgen den ich gestern über Deinen Brief
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hatte, mein lieber Ariel! folgte ein sehr unruhiger Nachmittag bis an den
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spaten Abend.
N
Des Namensvetters Familie brachte Hofmeister Hill in
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meinen Garten, der Vater kam spät nach, und es war eine ziemlich laute
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und lustige Kindergesellschaft zusammen.
Me Courtan
(mit ihrer Familie und
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Hofmeister
Jachmann
) ruhte sich auch ein paar Stunden beynahe aus – und
12
in
D
der letzten Dämmrung kamen noch ein paar junge Engl. aus Pillau,
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von denen der eine mit meinem Sohn einmal zufällig Bekanntschaft gemacht
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hat.
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Ich erwarte alle Augenblicke noch eine
Disputation
durch des Kants
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Amanuensem
Jachmann die
Prof Born
über den Begriff der Existentz ihm
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zugeschickt mit der Nachricht, daß er willens wäre seinen ganzen
Cursum
in
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ein zierl. Latein zu übersetzen.
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Das ist der dritte Tag, an dem ich recht fürchterl. Mahlzeiten thue. Kopf
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und Magen arbeiten bey mir um die Wette – und nun müßen die Cyclopen
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schmieden,
pendant que le fer est chaud.
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Sechs Exempl. der Resultaten sind beynahe zu viel, aber ich werde auch
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andern dadurch eine Freude machen, so eigennützig ich auch gewesen wäre ein
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einziges
auf
mit der Post vorzuziehen. Es ist aber alles wohl bedacht und
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gut gemacht von meinem lieben Ariel; denn so sehr ich auch kämpfe, mich
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küzle u ansporne bis auf die Morgenstunden zu kommen, werde ich kaum
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dies mein höchstes Ziel bis in die Pfingstwoche erreichen können. Mir
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stehen die Haar zu Berge, durch was für Schutt ich noch zu gehen haben
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werde, ehe ich mit meinen Gedanken ins reine komme. Ehe ichs mich versehe,
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und wenn ich eben die Juno umarmen will, werde ich bis aufs Hemde naß
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und stehe in der Traufe.
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Mein Nachbar
Dir.
Stockmar hat Wort gehalten und gl. denselben Tag
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den 19 d. geantwortet. Dienstags den 22 ist es abgegangen und ich bin
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vollkommen mit seinem
Rapport
zufrieden, wenn er nicht dort den Fehler haben
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wird ein wenig partheyisch für meinen Gesuch auszusehen und man daher
S. 400
gern Anlaß
nimmt
ihm in die Qveer zu kommen u mich für einen seiner
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Protegés
u Clienten anzusehen.
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Die Maasreguln zur Engl. Reise
correspondi
ren vollkommen mit
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meinem Plan in der Idee. Sie haben also nicht die geringste Ursache auf mich
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Rücksicht zu nehmen; sondern überlaßen Sie gänzl. diese Sorge mir. Wenn
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ich
in meinem
Geburtsmonath Aug. da bin – Heute fängt sich
netto
ein Neues
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FinantzJahr an, und ich trete zugl. in das 20 meines Dienstes. Die welsche
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Administration
ist + 1 älter als ich. Man spricht hier laut daß alles wieder
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unter die Kriegs- und
Domainen Cammer
wie
vor
alten
olim
kommen
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wird, und
pro
gnostisirt viel, das ich günstiger auslege. Wer Recht haben
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wird, mag die Zeit lehren.
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Die paar Tropfen kamen eben zu rechter Zeit in mein Spitzglas, und ich
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habe sogl. eine
Libation
daraus gemacht
pro public
o
a Salute.
Meine
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Adler haben eine gute
Witterung
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Ja, lieber Fritz, sollst so lange warten bis ich Dir etwas über die Resultate
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schreiben werde, als ich warten muß, ehe ich sie mit Hartknoch bekommen
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werde – vielleicht 14 Tage. Es ist aber schon recht gut, ich kann und will sie
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jetzt nicht lesen, biß ich erst mit dem Misthaufen vor meiner eignen Thür
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fertig bin.
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Freund
Tiro
wird sehen, daß der letzte Abschnitt des vorigen auf
No I.
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geändert ist, und sich darnach zu richten u achten wißen.
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Crispus
ist gestern zum Scheerenschleifer geworden, ohngeachtet er sich
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durch Vetter J. anmelden ließ. Vielleicht hat er an Biester geschrieben. Mit
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seiner
Deduction
für
gegen die Elbinger ist er endl. einmal fertig
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geworden. Wir sind jeder in seiner Art so ein paar poßierl.
Aruspices,
die sich nicht
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einander ohne Lachen u Mitleiden ansehen können. Er hat sich Grillen in den
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Kopf gesetzt, daß er unbekannten Freunden zur Last fallen wird. Die arme
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Schlafmütze kann weder eßen noch trinken, und ist den gantzen Tag wie eine
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Nachteule u
Käuzlein
.
Die 1000 Grüße von Deiner Hand warten auf ihn,
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sonst wären sie schon bestellt, und liegen
parat
u
promt
vor mir.
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Die Aufschrift meiner Briefe ist bisher vorschriftmässig gewesen und soll
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es hinführo auch seyn. Hippel ist vorgestern mit seinem Raphael aufs Land
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gewallfahrt die Paradiese des Vaterlandes in Augenschein zu nehmen u
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seinen Weinberg darnach zu modeln. Morgen komt er wider heim.
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Mit der letzten Post haben die Juden von
D.
Herz eine fröhl. Nachricht
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erhalten, die ich noch nicht für gantz kauscher ansehe. Daß Ihr Prophet
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Moses doch erhöht werden wird. Was ich davon gehört, war sehr lächerlich
S. 401
u abgeschmackt. Hab ich Dir nicht, lieber Fritz geschrieben, daß das hiesige
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Israel mit unserm Kunstrichter verfallen ist, u dieser ihnen das Geschmier
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derb aufgedrückt. Er denkt an keine Abhandl. mehr von den Verdiensten die
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er einmal einen gantzen Mittag bey Hippel ausgekramt und beynah gegen
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einen Mann, den er sonst schätzt, wider seine Gewohnheit heftig geworden.
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Es war
Ruffmann.
Der
Amanuensis
versicherte mir gestern, daß er keine
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Feder wider für die
Luna
angesetzt. Sein alter Freund
Green,
wo er jeden
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Tag bis auf den Schlag 7 und Sonnabends bis 9 zu Hause ist, liegt so gut
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wie verrechnet, und ist nicht mehr im Stande sein Bett zu verlaßen, in dem
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er allein sich erträgl. findt, geht ihm sehr nahe. Ob er sein Exemplar wider
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an Kayserlingk abgegeben weiß ich noch nicht.
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Der liebe gute Hohepriester in W. meldete mir den 1 d. daß er an dich
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schreiben wollte – Warum meldest Du mir nicht den Namen des
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Resultator
s? Nun muß ich noch 14 Tage warten, ehe ich selbst weiß, was ich jetzt
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nur glauben muß. In diesem einzigen Punct bist Du weder ein flinker Fritz
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noch Ariel gewesen. Mach dafür den Preßbengeln das Leben so sauer, wie
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es mir wird, und schicke bald etwas in die Küche; denn meine Hausgötter sind
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hungrig. Alcibiades wird seinen Keller wieder angreifen –
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Denk nur nicht daß der ganze fliegende Brief aus solchen
Capriccios
wie
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Maestro Ludovici
seine waren, bestehen wird. Nein,
je
p
creerai un
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autan
– Wenn Du meine Feinschreiberey nicht lesen kannst; so laß sie liegen
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bis das W. Abc Buch
herauskommen
oder bis ich Dir bey Deiner Zurückkunft
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aus London entgegengefahren oder gegangen komme, um Di
ch
r meine
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Hand vorzulesen. Wenn nicht was vorfällt, bis zum Abgange: so ist es auf
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heute gnug. Und hiemit Gott befohlen!
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Noch kein
Crispus
da! Sein erster Willkomm ist immer eine klägl. Bitte
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um ein Glas Waßer – unterdeßen es kommt, räuspert er sich – Des Gauners
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Stimme klingt aber so rein wie Silber, wenn es mit ihm zur Sprache
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kommt. Einen solchen Gast wirst Du auf ein paar Wochen auch Monathe
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nicht verschmähen. Er ist zu allen Handarbeiten im Hause brauchbar, auch
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ein guter Phantast in der Musik, und windt sich wie ein Aal, daß sich Deine
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liebe Schwester Lehne nur ein wenig in Acht nehmen kann – Dies meld ich
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meinem lieben Ariel u Jonathan
sub rosa!
und will ein ander mal mehr
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schreiben, wenn er mir nicht
in puncto
seiner Reisegesellschaft untreu wird,
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wovon ich noch eben so wenig etwas zuverläßiges weiß als von meiner
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eigenen. Die
Molimina
entscheiden weder
diem
nicht
annum
noch
euentum,
die
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Wie Alc. sagt, noch lauter Gottesgeheimniße sind.
Iterum
vale!
S. 402
Kant läßt mir diesen Augenblick durch seinen
Amanuensem
sagen, daß
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er eben
Born
antwortete und ich morgen um 9 Uhr die Abhandl. haben
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sollte.
Ecce Crisp
us
–!
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Mit dem war heute nichts anzufangen. Er eilte um an Biester zu
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schreiben; ob er Wort halten wird, weiß ich erst morgen. Meine Hausmutter
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muste sich wegen eines Flußfiebers niederlegen und mein nachbarl. Artzt
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Miltz hatte Lust zu schwatzen und im Garten nach den Arbeitsweibern sich
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mit ihm herumzusehen.
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Wo es nur immer mögl. ist, schicke ich mit der nächsten Post eine
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Fortsetzung. Kraus hat
No III.
gar nicht gesehen. Wenn ich doch übermorgen
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wieder mit einem Fingerhut in mein Spitzglas erfreut würde. Wie froh werde
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ich die Pfingsten feyern, im Fall ich so glückl. wäre just mit meinem Wust bis
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auf den Ruhpunct der Morgenstunden fertig zu werden und daß Hartkn.
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mit den Resultaten denn ankäme und meinen
Spiritum
mitbrächte. Ich weiß
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nicht ob die Rolle eines Feindenkers, die ich jetzt spiele, nicht ermüdend für
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die erstgebornen Leser seyn wird. Je mehr ich im
Praeludio
mir vorarbeite,
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desto kürzer hoffe ich mich in
Postfacione
zu faßen. Ich müste mich im
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Augenmaaß meines Ideals mächtig verschnitten haben, das ich noch nicht
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nah gnug zu übersehen im stande bin. Höchstens auf 6 Bogen rechne
ich
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Zur Correctur hoff ich immer 2
in duplo
zu erhalten, und schicke das
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meiste ab ohne
copiam
hier zu haben, die ich kaum von hier aus wider
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herstellen könnte.
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Ich bin matt u müde, will meinen Leuten nach der Predigt aus Hahns
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kleiner Postill vorlesen. Grüß alles was Dir und uns beyden lieb ist! und
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leb gesund und zufrieden – wie ich es selbst nur wünsche u hoffe
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Dein alter treuer Georg.
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Crispus
war auch giftig auf die Nachricht, wegen der Pyramide, von der
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erst heute
Nachri
gehört. Sie kommt mir noch verdächtig vor; und an
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dem Uebermuth womit sie von dort gekommen und hier aufgenommen
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worden ist.
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Ist Reichardt nicht über Düßeld. gegangen und schreibt er nicht, als was
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publici juris
werden soll?
à Dieu!
Provenienz
Universitätsbibliothek Erlangen, Ms. 2035.
Bisherige Drucke
Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, V 327–331.
Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel, I 5: 1786. Hg. von Walter Jaeschke und Rebecca Paimann, unter Mitarbeit von Albert Mues, Gudrun Schury und Jutta Torbi. Stuttgart-Bad Cannstadt 2005, 219–223.
ZH VI 399–402, Nr. 969.
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
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399/2 |
86 ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: 86. |
|
400/1 |
nimmt ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: nimmt, |
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400/6 |
in meinem ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: meinem |
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400/9 |
Domainen Cammer ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Domain en-Cammer |
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400/14 |
Witterung ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Witterung. |
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400/29 |
Käuzlein . |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Käuzlein. |
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401/22 |
herauskommen ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: herauskommen |
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401/37 |
vale! |
Geändert nach der Handschrift; ZH: vale! |
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402/19 |
ich ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: ich. |
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402/27 |
Crispus |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Crispus |