977
424/6
Pempelfort den 9
ten
Juni 1786
Antw. auf H–s Brief v. 27
ten
u. 29
ten
.
7
Vermerk von Hamann (nachträgliche Nummerierung mit roter Tinte):
8
Erhalten den 21
Junii
Geantw den 22
9
zurückbehalten bis zum 24
August
No
46.
10
Hier Lieber! ein reiner Abdruck vom ersten Bogen Deines fliegenden
11
Briefes, u 2 Correcturen des zweyten Bogens. Ein Exemplar des 2
ten
Bogens hat
12
Schenk mit Bleystift corrigiert, damit Du desto bequemer mit Dinte
13
recorrigieren könnest. – S. 15 steht: „Einigen in einem Fuder zerstreuten
14
Stecknadeln willen werden
u.s.w“.
Das muß heißen, entweder: „Einigen‥‥
zu
15
Liebe
“; oder: „
Um
einig
er
‥‥ Willen“. Du wirst entscheiden. Die
16
Handschrift lautet wie der Abdruck.
17
Deinen Brief vom 27
ten
– 29, mit den Varianten erhielt ich gestern. Die
18
zweyte Lection ist unstreitig die Beßere, nach Schenks u auch nach meiner
19
Meynung. Meine Meynung will aber diesmahl nicht viel heißen, weil ich
20
zum Vergleichen gestern u auch heute Morgen zu krank war. Der
21
anhaltende Nordostwind saugt mir das Mark aus den Gebeinen. Ich habe diese
22
Tage viel gelitten. Dabey die Reise nach London vor der Thür; vorher noch
23
so vieles zu besorgen; u nun das gänzliche Unvermögen, irgend etwas
24
anzugreifen, geschweige es v der Stelle zu bringen. Seit einer Stunde ist mir
25
etwas beßer, u mir deucht ich fühle daß es anhalten wird
26
Vermerk von Hamann:
27
Remitti
rt den 22
Jun.
28
Hier der versprochene Brief v Lavater, nebst einem den ich heute von ihm
29
erhielt. Ich lege eine Abschrift zweyer Stellen aus Briefen v mir an ihn bey.
30
Die Vergleichung mit dem Nagel hat er vortrefflich gefunden. Es ist
31
schrecklich wie man jetzt in Deutschland gegen den Mann aufgebracht ist.
32
Ich vergaß schon 2 Mahl Dir auf die Frage wegen S 94 meiner
S. 425
Apologie zu antworten. Ich habe
ich
mich allerdings da nicht zum besten
2
ausgedrückt. Es soll so viel heißen, daß der Rest meiner Apologie in einer
3
zweyten Schrift nachfolgen
soll
werde, wie ich Dir damahls auch gemeldet
4
habe. Weil ich aber zu dieser 2
ten
Schrift wenig Lust hatte, so wurde ihre
5
Verheißung so dunkel u unbestimmt.
6
Daß Kant so weit mit mir zufrieden ist, ist mir sehr angenehm. Daß er die
7
Note S 104 u 5 auf die Göttinger u Tübinger gezogen hat, hat mich sehr
8
ergötzt. Ich weiß nicht einmahl wie die Tübinger Zeitung aussieht.
9
Wieder auf Deinen fliegenden Brief zu kommen, so wird es nicht angehen
10
daß die Correctur des 3
ten
Bogens eher als Freytag an Dich abgeschickt
11
werde. Du kanst Dich übrigens darauf verlaßen daß in meiner Abwesenheit
12
alles so gut wird besorgt werden, als wenn ich auch hier wäre. Mein nächster
13
Brief soll Dich hierüber noch umständlicher beruhigen, denn ich schreibe Dir
14
zuverläßig noch vor meiner Abreise. Am Mitwochen gedenke ich
15
aufzubrechen. – Da kommt Lene, u sagt, es wäre Zeit zu siegeln. – Morgen schicke ich
16
Herdern den 2
ten
Correctur Bogen. – Gestern erhielt ich Exempl der
17
Resultate von Leipzig. Ich werde vor meiner Abreise wohl nicht die Freude haben
18
zu hören daß sie in Deinen Händen sind. Fahre fort mir hieher zu schreiben.
19
Die Post nach London geht denselbigen Tag von hier ab, an dem die
20
Preußische ankommt, u wir gehen beyde auf alle Fälle so am sichersten. – Ich hoffe
21
Crispus komt mit Dir. Wenn meine Einladung etwas dazu thun kann, so
22
mache sie nur recht dringend. – Am Dienstag mehr. Ich fühle daß mir beßer
23
wird. Fahre fort Manuscript zu schicken u sey ohne Kummer. – Es ist
24
sonderbar, sonderbar, daß ich nach England reisen muß, wahrlich gegen meinen
25
Willen. – Ich gehe schnurstracks nach
Calais,
u komme auf demselbigen
26
Wege auch schnurstracks wieder zurück. – Gott erhalte Dich, Du lieber,
27
stärke u erfreue Dich –
Von ganzem Herzen
28
Dein Fritz Jonathan.
29
von Hamann auf dem unteren Rand der ersten Seite notiert:
30
Kein Flecken ist so klein, den ungerügt ich laße;
31
Kein Sinn so fehler frey, den ich nicht tödlich haße!
32
So schon ist keine That! So göttlich keine Schriften –
33
Kein Herz so engelrein – Ich kann, ich muß
vergiften.
34
Satan
35
Am Morgen, eh ich Deine Broschüre erhielt.
2. 5. 86.
1.
Johann Kaspar Lavater an Friedrich Heinrich Jacobi, 3. Mai 1786, mit einer kommentierenden Anmerkung von Jacobi; Abschrift von Hamann auf der unbeschriebenen vierten Seite (Provenienz: ebd.; vgl. Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel, I 5: 1786, 182–183, Nr. 1420:
S. 574
Ach! Gott seegne Dir u mir das Pfingstfest!
2
Zürich Samstags den 3 Jun. 1786.
3
2
1. Lieber Mitschächer
an meinem 20 Hochzeittage
4
Männlich! Du mußt für die gute Sache dulden wie wenige! Sey Mann u
5
fürchte Dich nicht – und wenn Du allein sprechen müßtest! Auch
Eines
6
Weisen Wahrheitsstimme, die sanft und keck spricht, vermag viel! verzage
7
nicht! So lange der M
ensch
M
ensch
u Satan Satan ist, ist die
Wahrheit
ein
Ecce
8
homo
!
ein
Judenkönig
– gekreuzigt worden u am dritten
Tage wider
9
auferstanden
. Mögest Du auch vielleicht, ich wage nicht, zu entscheiden,
10
in der Form gefehlt haben – Laß Dich das nicht irren. Der Teufel muß einen
11
Vorwand haben. Er zerbricht doch nur die Schaale. Der Kern wird ihm flugs
12
unter den Klauen weggenommen!
13
Erst gestern erhielt ich u blätterte u las, doch beynahe gantz – und
14
werd es nun wider lesen – das
Facit
scheint mir klar – aus einigen
Factis
15
u Stellen –
16
a.
Mendelssohn ist kein Israelit ohne falsch – sondern ein kleingeistiger,
17
nebenabsichtlicher, ärgerlich bornierter Feinschreiber nach dem Weltgeiste
18
dieser Zeit.
19
b.
Du hast als ein ehrlicher, denkender u Weltverachtender
Mann
20
geantwortet – und Dich
gerechtfertigt
vor den redlichen und guten.
21
c.
Du hast ein groß u einzig Verdienst um die muthige Entlarvung
22
der
Schola Tyrannica
unserer Zeitphilosophie – dieser Geckin, Kokette
23
u Schalksknechtin ohne ihres gl.
24
d.
Dein Zeugnis für Hamann ist einer der edelsten Züge und ein Kgl.
25
Diamant Deiner Schrift.
26
Ich darf nicht hinzuthun – Dein Zeugnis für mich! Gott weiß, ob es
27
Eigenliebe oder Wahrheitsliebe ist, die mich Dich auch dieses
Bekenntnißes
28
wegen – so wie das wegen
Leßings
u
Spinoza
hochachten macht. So was
29
wagte doch bey Gott weder der Frömmler noch der Weltgeister keiner? und so
30
was – wird mir nicht mehr angerechnet!
31
O böse Zeit! aber wir wollen die Zeit Zeit seyn laßen u nur immer auf
32
uns
sehen, daß wir rein und edel und männlich u einfach seyn –
wahr
33
und
klar
,
sanft und fest
! Sey unser tägliches Motto.
34
Mittwochs morgens
den 3 May.
35
Ich habe eben noch mals die ganze Schrift Wort für Wort bedächtlich
36
durchgelesen u mein eben gefälltes Urtheil bestätigt sich – daß
37
Mendelssohn an Leßings Freunde ein Ideal von Advokatenstreich sey,
38
hat Leüchsenring selbst mir gesagt – der für mich, „mir nichts, dir
39
nichts!“ hier stille weilt.
40
Uebrigens denk ich, hoff ich, Du machst jetzt mit allem
Persönlichen
41
Punctum
. Eh
l
rlose Menschen verdienen die Ehre nicht, daß wir auf
Eine
42
Linie mit ihnen stehen – und das Publicum
amüsiren
.
43
Das
Leiden von Deinem Sohne – daß ich nicht wißen will, macht mich sehr
44
leiden. So glücklich ich durch meinen Sohn bin, so weiß ich doch, was
45
dies
Leiden ist – „Vater ists mögl. so gehe dieser Kelch vor mir vorüber“ –
46
Vom
Kryptojesuitismus
weiß ich keine Sylbe als durch Nachrichten –
47
Biesters Monatsschrift les’ ich nie, wenn sie mir nicht in die Hände
48
geworfen wird. Alles warnt mich, mich mit dem Volklein dem es nicht
49
um Wahrheit zu thun ist, nicht abzugeben.
50
Die Prinzessin von Gallizin ist eine meiner Heiligen, um deren willen
51
mir Menschheit, Erd u Himmel – lieber ist. Ich darf nicht wünschen, sie
52
zu sehen weil der Himmel so oft meine unausgesprochensten Wünsche
53
erfüllt hat.
54
Die Stelle wo ich sagte, daß Du an Bonsens krank seyst * las ich nun
55
in der Vertheidigung – u sie scheint mir vortrefflich. Nur glaub ich, das
56
Schiefscheinende hätte mit Einem Wörtchen –
nur
ausgewichen werden
57
können. Gott ist für
Alles
oder für
Nichts
.
58
Stoltzens
Joseph
wird Dir einst wohl thun machen!
vale
den 3. 5. (May) 86
59
* Ich bürdete dieses Lavater auf zufolge eines Briefes von ihm an die
60
Frau von der Borch, der damals über die Stelle im Museum etwas enthielt,
61
daß sich so auslegen ließ.
2.
Johann Kaspar Lavater an Friedrich Heinrich Jacobi, 3. Juni 1786; Abschrift von Hamann auf der leeren unteren Hälfte der dritten Seite (Provenienz: ebd.; vgl. Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel, I 5: 1786, 233 f., Nr. 1455):
S. 2
2) Lieber Jacobi,
2
Dank für Deine Freymüthigkeit. Ich fürchte, sie ist vergebens. Gott
3
weiß, es geschieht aus Bonhommie, Menschlichkeit u Ueberzeugung – wenn
4
ich Gutes von einem sage. Daß ich keinem M
enschen
auf keine Weise ins
5
Gesicht schmeichle – daß ich von keinem Menschen mehr sage, als ich
6
glaube – darauf darfst Du rechnen. Den Herz. von Weimar
halt
7
ich für einen der klügsten Menschen, die ich kenne. Das ist meine völligste
8
Ueberzeugung. Nur Eins noch fehlt Ihm – gnug unmittelbarer Sinn für
Dich
9
u Deine Schriften. Markard hat mir so entschuldigend geschrieben, daß ich
10
ihn innerlich völlig lossprach. Ueberdies ist mein Grundsatz – „Jedem
11
M
enschen
ein Thor zum Rückweg offen zu laßen und eine honette goldne
12
Brücke zu bauen
“
– Wenigstens erinnere mich nicht, jemals einem M
enschen
13
ein Wort blos zu Liebe geschrieben zu haben. Denk doch nur wie mich alle
14
verlaßen, die mir sonst schrieben – H…
Herder
G…
Goethe
W‥‥
Wieland
C.N.
15
eben, weil ich derb heraus sage was ich denke – jedoch allemal das ist
16
wahr mit möglichster Schonung. Leuchsenring hat mir daßelbe gesagt.
17
Vox amici et inimici vox Dei.
Deine Rechtfertigung hat alle Geradsinnigen
18
auf ihrer Seite.
19
Itzt nur noch dieß – – am 6 Jun 86 gedenk ich mit meinem Sohn, der nach
20
Göttingen geht, von Zürich abzugehen u den 16 oder 17 in Offenbach bey
21
Tobler zu seyn wo es mich freuen würde einen Brief von dir vorzufinden. Ob
22
ich meinen Sohn nach Göttingen begleiten werde – steht ganz dahin – Ohne
23
äußere Winke u innere Triebe werd ich nichts thun. Bremen konnt ich nicht
24
annehmen – um meiner mich bittenden Gemeine willen.
3.
Friedrich Heinrich Jacobi an Johann Kaspar Lavater, 10. Mai 1786, Auszug; Abschrift von Helene Jacobi (Provenienz: ebd.; vgl. Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel, I 5: 1786, 199 f., Nr. 1432):
S. 3
Aus einem Brief an Lavater vom 10
ten
May 1786.
2
Ich habe diesen Winter Deinen Briefwechsel mit Mendelssohn über die
3
Zueignungsschrift der Bonnetschen Palingenesie wieder gelesen, u wurde
4
von Deiner Antwort an den Rabbi ganz entzückt. Ich wollte Du schriebst
5
mehr in dem Ton, in der Art. Die Agitation in welche Du öfter geräthst,
6
hindert die Würkung Deiner Schriften sehr. Mir wird dabey als säh ich
7
einen Nagel gegen einen Stein in der Wand treiben, u nicht eher nachlaßen,
8
bis er stumpf u krumm gebogen mit einem Theil der Pliesterung herab
9
fällt. Wo Fugen sind, bedarf es so vieler Schläge nicht; u auch nicht,
10
wenn der Nagel so geschmiedet war, daß er durch einen Stein gehen konnte,
11
u der Rechte Hammer dabey ist. Ich weiß, lieber, Du nimmst mir diese
12
brüderliche Erinnerung nicht übel.
4.
Friedrich Heinrich Jacobi an Johann Kaspar Lavater, 27. Mai 1786, Auszug; Abschrift von Helene Jacobi (Provenienz: ebd.; vgl. Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel, I 5: 1786, , Nr. ):
S. 4
Aus einem Brief an Lavater vom 27ten May 1786.
2
Deine Rechtfertigung habe ich gelesen. Ich erhielt sie, da die
3
meinige eben abgedruckt war. Sie gefällt mir sehr, bis auf die
4
Markarden betreffende Nachschrift, die mir nicht gefällt. Du
5
thust so vielen Leuten schön u hast ein Wesen mit ihnen, die es gar
6
nicht werth sind. Ich weiß keinen Menschen dem dieses
ueb
7
überall schön thun nicht an Dir mißfiele. Es ist weder Liebe, noch
8
Sanftmuth
noch Schonung: man weiß nicht was es ist. Ich muß
9
Dir gestehen, lieber Lavater, daß ich wegen dieser Art die Du an
10
Dir hast, lange keine Neigung gefühlt habe Dir näher zu kommen.
11
Ich wußte mir nicht zu erklären, u weiß es noch
nicht,
was Dich
12
so täuschbar macht. Um aus vielen Beyspielen nur eins zu
13
wählen, mag es der Herzog von Weimar seyn. Die Urtheile die Du
14
öffentlich über ihn gefällt hast sind schon übertrieben genug, u
15
mehr als das. Aber vorigen Sommer las ich einen Brief über ihn
16
von Deiner Hand, der mich ganz versteinerte. Man weiß in einem
17
solchen Augenblicke nicht, weder was man an Dir hat, noch was
18
Du an einem haben kanst.
Provenienz
Universitätsbibliothek Erlangen, Ms. 2035.
Bisherige Drucke
Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, V 344.
Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel, I 5: 1786. Hg. von Walter Jaeschke und Rebecca Paimann, unter Mitarbeit von Albert Mues, Gudrun Schury und Jutta Torbi. Stuttgart-Bad Cannstadt 2005, 241–243.
ZH VI 424 f., Nr. 977.
Zusätze fremder Hand
|
424/8 –9
|
Johann Georg Hamann |
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424/27 |
Johann Georg Hamann |
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425/30 –35
|
Johann Georg Hamann |
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
|
4/6 |
ueb |
Geändert nach der Handschrift; ZH: ue |
|
4/8 |
Sanftmuth ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: Sanftmuth, |
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4/11 |
nicht, ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: nicht |
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424/9 |
No 46. ]
|
Hinzugefügt nach der Handschrift. |
|
424/14 |
u.s.w“. ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: u.s.w.“ |
|
425/33 |
vergiften. ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: vergiften |
|
425/34 |
Satan ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Satan. |