982
435/7
Kgsb den 19 Jun. 86.

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Herzenslieber Jonathan,

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Ungeachtet Ihres für mich traurigen Briefes vom 6 d. wo Sie über

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Gesundheit und Sorgen klagten, wünsche und vermuthe ich Sie
gegenwartig

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schon auf gutem Wege, den Sie desto ruhiger meinetwegen fortsetzen können,

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da ich meine Entscheidung erhalten. Ich gieng diesen Morgen frühe aus um

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Kämpf
dem Hofr. Metzger abzugeben, der meinen ungewöhnl. Fehler

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sein Buch, das ich auf ein paar Tage geliehen, Monathe lang behalten zu

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haben, nicht übel zu nehmen schien. Auf dem Rückwege fiel es mir ein bey

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sehr ehrl. guten Leuten, die von Adel sind, aber ein Handwerk treiben, eine

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zinnerne Spritze zu
Lavements
auf allen Fall für mich, zuförderst aber für

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meinen Hill zu kaufen.
Me de Villet
freute sich herzlich mich seit 2 Jahren

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beynahe einmal in ihrem Hause wider zu sehen, und bewies mir ihr gutes Herz

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mit der That, indem sie für mich selbst
dung
dingte, und mir die eckelhafteste

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Sache von der Welt, meinen Handel so erleichterte, auch mir sehr wichtige

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Nachrichten von einer Person mittheilte, durch die unsere alte Bekanntschaft

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entstanden war, und mehr Verbindungen – Gegen Mittag komt ein

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Secretaire
von der
Direction
auf meine Loge, mit einer Antwort, wovon
Copia

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folgt.


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Berlin le 8 Juin 86.

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a
Mr Stockmar Dir Prov. des Accises
a
Kgsberg.

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Nous vous autorisons Mr. en reponse a votre lettre du 19 May d
r

29
Nr
263.
à accorder au S
r
H. Garde
magazin
un congé d’un mois pour

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le retablissement de sa Santé, mais si contre notre attente il outrepassoit

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ce tems, Vous ferez faire ses fonctions par un Surnumeraire à Ses

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depens, de quoi
n
Vous nous rendrez compte, si le cas avoit lieu.

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Signé   Delahaye de Launay.   Grodart.


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Das erste, was ich nothig fand, war zu Hause zu laufen und mir ein Glas

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Waßer geben zu laßen. Meine Hausmutter schlug mir Weineßig vor. Ich

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zu meinem Nachbar Miltz, der mir eine Citrone rieth, die ich von ihm nicht

S. 436
annahm, weil ich wuste, daß ich eine zu Hause hatte. Auf so eine hämische

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Gnadenbezeigung war ich nicht gefaßt. Mein Joh. Michel ist mit seinen

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Commilitonibus
auf eine botanische
Excursion
ausgefahren. Heute ist oben

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ein Jahrmarkt. Ich lief nach dem Eßen zu Hippel, der sich auch wunderte

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und mir Recht gab. Nachmittags um 3 Uhr erwartete ich Hartknoch und

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Miltz. Ersterer blieb spät aus, und wenn ich jemanden erwarte, bin ich nichts

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im stande zu thun. Kam
Crispus,
der auch geruffen kam, Reichards

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Schwager mit einem Gruß aus
Paris,
und unter diesem Tumult hab ich ein paar

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Zeilen nach Münster geschrieben. Bleibt mir also nichts übrig als mein heute

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erkauftes
Manuale
für meine Gesundheit.

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So sehr ich über meine Einfalt gelacht, durch meine Autorschaft zu

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meinem Zweck zu kommen: so seh ich jetzt keinen andern Rath vor mir, als mein

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angefangenes Werk zu vollenden, und ich bin zu neuem Muthe durch

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Verzweifelung erweckt, das Ärgste u Letzte zu wagen.

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Ich werde also frisch darauf los arbeiten müßen, wenn Gott nur Kräfte

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u Gesundheit giebt und erhält. Unterdeßen man in Münster Wiegenlieder

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anstimmen wird, werde ich kreyßen, um mit meinen kahlen Mausarbeiten

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fertig zu werden. Gott im Himmel wird helfen Amen!

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Fällt eine öffentl. Veränderung vor, wie alle Tage zu vermuthen; so kann

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ich meinen Lauf anders einrichten. Jetzt sehe ich keine andere Bahn vor mir,

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als mit der Axt in der Hand.

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Hartknoch hat mir während seines langen Aufenthalts viel zu schaffen

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gemacht, theils wegen seiner Tochter, wo er mir Wahrheiten ausgewunden, die

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ihm wehe thun müßen, aber
dixi et liberaui;
theils wegen so manchen

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andern Angelegenheiten, in denen er seine Freundschaft zu äußern sucht u mich

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dadurch in Verlegenheit setzt, auch die Ihrige zu misbrauchen. Ihr

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Aufenthalt ist in Engl. so kurz, aber ich hoffe, daß Ihre dortige Verbindungen einen

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Auftrag erleichtern werden, an dem ihm viel gelegen ist. Er möchte gern

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Swedenborgii Arcana Coelestia
haben, weil ein Uebersetzer sich zu

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selbigen erbot und er sie schon
längste
dem
Publico
schuldig geblieben. Sie bestehen

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aus
VIII.Vol.
die Kant sich einmal auf seine Kosten verschrieb, und daher

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glaubte er noch selbige hier anzutreffen. Sie kosten 18 ℔ sterl. bey
Elmsly.

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Er ist auch erbötig dies Geld dafür zu geben. Wenn er aber ein Exemplar für

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alt auftreiben könnte: so wäre es doch eine Erleichterung für ihn. Vielleicht

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finden Sie in dem Hause wo Sie leben einen Mann, der dies Geschäfte

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übernehmen könnte oder wenigstens Ihnen Auskunft geben. Finden Sie zufällig

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jemanden dort, der sich dieses Auftrages wegen erkundigen kann: so würden

S. 437
Sie wohl so gefällig seyn daran zu denken. Er wünscht es auf seine Kosten an

2
Hertel
in Leipzig
expedi
rt zu sehen. Wegen
promter
Bezahlung können

3
Sie sicher seyn. Wenn es nicht für alt zu bekommen, beqvemt er sich auch zu

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den 18 ℔. Es ist ihm alles daran gelegen das Buch zu haben, und mir, wo es

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immer mögl.
ihn
wenigstens von Ihrem guten Willen gegen mich zu

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überführen. Es soll ein Auszug mir davon geliefert werden. Den ich aus diesem

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Buch einmal gemacht, füllt kaum 1½ Bogen.

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Ich hoffe mich mündlich einmal wegen dieses Auftrags zu entschuldigen.

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Ist er Ihnen beschwerlich; so laßen Sie ihn liegen. Geht es an, ihn durch

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jemanden zu besorgen: so werden Sie es nicht unterlaßen, wenigstens mir

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darüber aufrichtig Ihre Meinung zu sagen, zu meiner und seiner Achtung.

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Mein Kopf will mir beynahe bersten, und ich hoffe übermorgen erleichtert

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zu seyn zum Empfang Ihres Briefes, der vielleicht stärker u mit Beyl.

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versehen seyn wird. Daß mein letzter nichts taugt wißen Sie schon, vielleicht

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werd ich jetzt ruhiger, wenn der erste Tumult sich gelegt haben wird, zur

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Arbeit. Gott gebe es, aber ich weiß selbst nicht, wie es mir gehen wird. Ich will

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mich sammeln, so gut ich kann. Diese ganze Woche wird verloren für mich

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seyn. Gott begleite Sie und Ihre Gefährtin mit Seinen guten Engeln. Ich

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kann auf heute nicht mehr.
Ihr alter   Johann Georg.

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Wie gut wird sichs doch nach der Arbeit ruhn!

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Wie wohl wirds thun!

Provenienz

Universitätsbibliothek Erlangen, Ms. 2035.

Bisherige Drucke

Friedrich Heinrich Jacobi’s Werke. Hg. von Friedrich Roth. 6 Bde. Leipzig 1812–1825, IV 3: J. G. Hamanns Briefwechsel mit F. H. Jacobi, 251–253.

Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, V 359–362.

Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel, I 5: 1786. Hg. von Walter Jaeschke und Rebecca Paimann, unter Mitarbeit von Albert Mues, Gudrun Schury und Jutta Torbi. Stuttgart-Bad Cannstadt 2005, 257–259.

ZH VI 435–437, Nr. 982.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
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gegenwartig
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
gegenwärtig
435/27
a
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
à
435/27
a
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
à
435/29
263.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
263
435/29
magazin
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
magazin,
436/30
längste
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
längst