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443/9
Lieber Herr Schenk
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Wir kennen uns einander schon lange. Sie leider! nur aus der Mühe, die
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ich Ihnen bisher gemacht. Ich aus dem Vertrauen des HE. Geheimen Raths
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und dem Antheil, den Sie an seiner Freundschaft für mich nehmen. Wie sehr
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wünschte ich, der letzteren so würdig zu werden, als Sie des ersteren sind –
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und diesen Wunsch thue ich von Herzen! Nunmehr zur Sache.
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Der Correctur-Bogen kommt nunmehr zurück, von dem Sie vermuthlich
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für sich noch einen andern Abdruck nöthig haben werden. Ich werde noch die
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vornehmsten Stellen durchlaufen
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S. 11. wünschte wol die Verse aus dem Virgil ein wenig weiter
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vorgerückt, daß
ademtum
noch in die vorhergehende Zeile käme. Der
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dadurch entstehende Raum könnte dem neuen Abschnitt gelaßen
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werden, und ein etwas größeres
Spatium
schickt sich für den Inhalt
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S. 14. statt tragisch muß
tropischer
23
S. 15
so bald nur
wenn einmal der Untersch. der sch. Natur nicht mehr
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auf den Rock, noch auf die Mundart des Modenschn. ankommen,
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und der jüdisch-welsche – –
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in der Note 16.) statt baal bibl.
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S. 16 Note 17
κεφ
αλαιον
β
Das kleine
Βητα
ist die griechische Zahl,
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weil das
Buch
so angeführt ist, also auch das
Capitel
.
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Aus dem übrigen werden Sie sich wohl zu finden wißen, wie auch aus der
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fast zu genauen
Interpunction
meines Mit-
corrector
s.
31
Ich kann nicht begreifen, daß es an
Mst.
zum dritten Bogen fehlen kann,
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denn die letzte doppelte Fortsetzung, welche, wenn ich mich nicht verzählt, die
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VI.
seyn muß, taugt nicht.
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Ich habe die mir selbst unbegreifliche und fast unverzeyhl. Unbesonnenheit
S. 444
begangen keine Abschrift von meinen übersandten Stücken genommen zu
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haben, und bin nicht im Stande aus meinen Papieren klug zu werden.
Wie
3
Der dritte Correcturbogen wird vielleicht mich
aus
von dieser
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Verlegenheit befreyen, den ich daher abwarten muß, und zu dem mir schon mit der
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nächsten Post Hoffnung gemacht worden ist.
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Haben Sie Gedult mit einem kranken Mann, der gegen die Sitte der
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Hypochondrie, vielleicht kränker ist, als er es selbst weiß. Mit der künftigen
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Woche werde ich erst wider zu arbeiten anfangen können.
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Die Beyl. aus der Schweitz lege ich Ihnen offen bey. Alle meine künftigen
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Briefe unter der
Addresse
unsers Freundes sind hinführo für Sie und
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werden vermuthlich blos und hauptsächlich den Abdruck betreffen.
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Ich habe vorausgesetzt, daß der HE G. Rath schon den 12 d. abgereist
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seyn würde; aus dem gestrigen Briefe ersehe, daß es ein paar Tage später
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geschehen soll, und verlange darnach den würkl. Tag seiner Abreise am
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zuverläßigsten durch Sie zu erfahren. Wenn er sich doch weder um mich noch
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meine unglückl. Misgeburt unterwegs und während seines dortigen
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Aufenthalts
gar nicht
bekümmern möchte! Ich werde Ihnen wenigstens ein
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gut Beyspiel geben, und nicht anders als im Nothfall an Ihn unmittelbar
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schreiben, alles übrige Ihnen allein überlaßen.
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Können Sie mir den Namen des würdigen Mannes der die Resultate
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geschrieben nicht anvertrauen? Hartknoch hat bereits deshalb an Göschen
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geschrieben, und alle die ihn gelesen, sind mit seiner Arbeit höchst zufrieden.
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Also dürfen Sie sich wegen des zurückgebliebnen Päckchens keine Mühe
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geben, und ich wünsche von Ihnen nichts mehr, als den Mann zu wißen, dem
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das Publicum und ich
pro rata
die Zufriedenheit und Genugthuung zu
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verdanken hat. Der Name thut wohl nichts zur Sache, aber es fehlt uns doch
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immer
was
viel, wenn wir etwas nicht nennen können. Mein vorläufiges
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Urtheil habe ich schon gegeben, und daran gewiß kein Zweifel seyn konnte,
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und daß der Name keinen Einfluß in das noch folgende haben wird, hoff ich
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mit der That zu beweisen.
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Gegenwärtige Beyl. bitte
unmittelbar
nach London zu befördern.
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Meine übrigen Briefe sind blos für Sie und werden aufgehoben bis zur
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glückl. Widerheimkunft unsers gemeinschaftl. Freundes, weil alles was ich
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gegenwärtig schreiben kann, nicht des
Porto’
s werth ist noch der Mühe, es zu
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buchstabieren.
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Mir ist den ganzen Morgen übel gewesen, und ich weiß selbst nicht was
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mir fehlt. Verzeyhen Sie also das
tumultuar
ische dieses Briefes. Ich
S. 445
vermuthe, daß ein Gewitter in der Luft meinen Druck vermehrt, dem ich beynahe
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unterliege.
3
Ich kann der Grille nicht widerstehen, mich bey Ihnen nach dem Sohn des
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HE G. R. zu erkundigen, der meine Vornahmen führt, und deßen
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Schicksal ich den nächsten Antheil nehme, weil er unglücklich ist. Denken Sie völlig
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einformig
mit seinem Vater über ihn? Da Sie an seiner Erziehung gewiß
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Antheil genommen: so werden Sie mir am besten im stande seyn zu sagen,
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wie er sich gegenwärtig anläßt, und wie er währender Abwesenheit versorgt
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ist. Meinem Freunde thut es wehe über diesen Gegenstand sich auszulaßen;
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dennoch geht es den besten
Vatern
bisweilen so, entweder zu gut oder zu
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schlecht von Ihren Kindern zu denken. Der letzte Fall ist wohl seltner, aber
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eben so natürlich, wie der erste. Ohngeachtet es
bey
mir heißt: Artzt hilf
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dir selber! hatte ich doch etwas mehr Vertrauen in diesem Stück zu meinem
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Reisegefährten Prof. Kraus, aber nun ist schwerlich dies Jahr daran zu
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denken.
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Wenn ich wirklich so viel Fortsetzungen geschickt habe, als ich mir besinnen
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kann, die letzte nicht mitgerechnet, welche nichts taugt; so zweifele ich, daß es
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zum
dritten Bogen
fehlen sollte. Bliebe aber etwas Handschrift über;
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so wäre es unumgänglich, daß ich das Ende der
V.
Fortsetzung zugl.
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miterhielte, um meine Arbeit gantz übersehen zu können. Ich hoffe mit der
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nächsten Post darüber beruhigt zu seyn.
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Wäre aber etwas wider Vermuthen von der
V.
Fortsetzung (nach meiner
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Rechnung) zurückgeblieben: so wünschte selbiges mit der nächsten Post zu
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erhalten.
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Da ich Ihnen so viel Arbeit u Mühe machen, so kann ich füglich nicht
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mehr thun, als versichern, daß Ihre Erinnerungen, wenn Sie etwas
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auszusetzen finden, mir zum Beweise Ihres freundschaftlichen Vertrauens dienen
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werden, und ich bey meiner Verfaßung nicht mistrauisch gegen mich selbst
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gnug seyn kann.
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Mehr zu schreiben, weiß ich nicht; beßer kann ich heute auch nicht.
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Kommen gute Zeitungen aus Münster; so säumen Sie nicht mir selbige
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mitzutheilen. Ich bin mit der vollkommensten Hochachtung
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Lieber HErr Schenk,
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Ihr
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ergebenster Freund u. verpflichteter Dr.
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Johann Georg Hamann.
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Ich halte es für beßer meine Antwort nicht beyzulegen, um meinen Freund
S. 446
nicht ohne Noth zu beunruhigen. Sie finden also blos den Correcturbogen u
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die beyden Briefe von Lavater.
3
Der dritte Bogen ist mir fast
unentbehrlich
, ehe ich weiter gehe. Von
4
der zweymal überschickten
VI.
Fortsetzung kann nichts bleiben als
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nachstehender Anfang, den ich auf gut Glück hier abschreiben will.
6
Wie Gott, groß und unbekannt
1
, ist der Name dieses Königs; wundersam,
7
wie seiner Boten
2
, der Name seiner Stadt. Ihre Geschichte und Gesichte
8
vereinigen alle denkbare Vorstellungen und Ideen unsers
9
Beobachtungsgeistes zu einem Urbilde eines göttlichen Staats, zu einem Rätzel des
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Widerspruchs, deßen sieben aus- und inwendige Siegel keine endliche Kraft des
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Erkenntnis- Billigungs- und Begehrungs-Vermögens, ohne Löwenmuth und
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Lammesgedult zu eröffnen vermag.
13
Weißagung ist in dem Munde des Königs
3
; Weißagung, in dem Namen
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seiner Stadt, die war, seyn wird, und noch nirgends ist. Was von der Welt
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her kein Michel Angelo und Raphael mit ihrem Seelenauge geschaut, kein
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David Virtuoso noch sein Capellmeister mit gespitztem Ohr erlauscht, kein
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Leviathan, noch Platon, kein attischer Cyropädist noch welscher
Quietist
und
18
Machiavellist das Herz gehabt haben, in einem Fürsten- und Staatenmuster,
19
durch Abstraction und Fiction denkbar und erkennbar, merklich und vorstellig
20
zu machen: alles dieses und überschwenglich mehr ist fertig zubereitet und
21
geschmückt, her
nieder
abzufahren
4
und die Herrlichkeit mündiger Kindschaft
22
zu offenbaren der ängstlich harrenden Creatur, die sich sehnt frey zu werden
23
von dem Joche des vergänglichen Unwesens, und auf ihres Körpers
24
Erlösung
wartet
5
.
25
Mehr hab ich nicht, auch keine Concordanz in meiner ganzen Bibl. mir
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das Aufschlagen so vieler Sprüche zu erleichtern; geborgt auch keine.
27
Vergeßen Sie nicht, liebster HE Schenk den Namen des Resultatenmachers der
28
meines Freundes Kraus gantzen Beyfall hat, und dieser ist mehr werth als
29
der meinige. Gott empfohlen!
30
1.)
Hiob
XXXVI.
26.
31
2.)
B. der Richt.
XIII.
18.
32
3.)
Spr. Sal.
XVI.
10.
33
4.
Apok.
XXI.
2.
34
5 Röm.
VIII.
19–23.
Provenienz
Druck ZH nach der überlieferten handschriftlichen Abschrift Arthur Wardas. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], II 65.
Bisherige Drucke
Friedrich Heinrich Jacobi’s Werke. Hg. von Friedrich Roth. 6 Bde. Leipzig 1812–1825, IV 3: J. G. Hamanns Briefwechsel mit F. H. Jacobi, 260.
Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel, I 5: 1786. Hg. von Walter Jaeschke und Rebecca Paimann, unter Mitarbeit von Albert Mues, Gudrun Schury und Jutta Torbi. Stuttgart-Bad Cannstadt 2005, 266–269.
ZH VI 443–446, Nr. 985.
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
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445/6 |
einformig ]
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Geändert nach der Abschrift Wardas; ZH: einförmig |
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445/10 |
Vatern ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: Vätern |
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445/12 |
bey ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: ? bey |
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446/17 |
Quietist ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: Qvietist |
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446/24 |
Erlösung ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: Erhöhung |
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446/30 |
1.) ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: 1 |
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446/31 |
2.) ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: 2 |
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446/32 |
3.) ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: 3 |
|
446/33 |
4. ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: 4 |