998
486/2
Pempelfort den 21
ten
Ju
n
ly 1786.


3
Vermerk von Hamann (nachträgliche Nummerierung mit roter Tinte):

4
Erhalten den 2
Aug.

5
Geantw.
eod.
No
7.


6
Das Misverständniß, lieber Verehrungswürdiger Mann, welches durch

7
des Herrn Jac. Schreiben vom 13
ten
Jun: veranlaßet worden, und wovon

8
ich vor dem Empfang des Ihrigen vom 9
ten
dieses nicht die mindeste Ahndung

9
hatte, ist mir äußerst empfindlich gewesen. Ich habe Ihnen schon gemeldet,

10
daß ich jenen 13
ten
Juny sehr besetzt war, und aus dieser Ursache die erste

11
Correctur des Bogens C. nicht mit der gehörigen Sorgfalt hatte durchsehen

12
können. HE. Jacobi war es seiner Seits nicht
weniger;
er schrieb Ihnen

13
mitten unter den Vorbereitungen zu seiner Abreise, und ließ den Brief

14
ablaufen, ohne mir ihn zu zeigen, oder des Inhalts deßelben gegen mich zu

15
erwähnen. Daß er Ihre Erwartung auf den baldigen Eingang der Correctur

16
des 4
ten
Bogens sollte rege gemacht haben, konnte ich mir nicht einfallen

17
laßen, da wir noch
den Tag zuvor
von der Stockung, die jetzt im Abdruck

18
Ihrer Schrift erfolgen würde, miteinander gesprochen hatten, und ihm die

19
Einrichtung unserer Preßen bekannt ist,
wo selten die Typen einer

20
Schrift über 2. compreßgedruckte Bogen hinausreichen
.

21
Sein Versprechen also, daß in 8. Tagen der 4
te
Bogen zur Correctur

22
kommen würde, ist bey seiner sonstigen Pünktlichkeit in dergl. Dingen blos durch

23
die Zerstreuung, worinn er Ihnen schrieb, und in der er nicht bedachte daß

24
schon 2. Bogen an Sie unterweges waren, erklärlich. Hätte ich nicht

25
gemuthmaßt, daß Sie von allem unterrichtet wären, so würde ich Sie
gleich mit

26
Absendung der 2
ten
Correctur des Bogens C
. auf das

27
Ausbleiben der übrigen Bogen vorbereitet haben. Ueber 2
3
/
8
Bogen kann der

28
Drucker von Ihrer Schrift nicht setzen.

29
Seit 8. Tagen sind von Ihrem Jonathan selbst keine Briefe aus England

30
eingelaufen. Er hat Augenweh, welches ihn am Schreiben hindert, jedoch

31
nicht an Besichtigung der Londoner Merkwürdigkeiten, indem sein

32
Apothecker ihm die Erlaubniß gegeben hat, der freyen Luft sich auszusetzen, und

33
auszugehen oder auszufahren, wohin er will. Seine Reisegefährtinn faßt

34
sich zu kurz, als daß ich aus Ihren Briefen Ihnen etwas mittheilen könnte.

35
Sie verweiset immer auf das Reise Journal welches sie hält, und bedenkt

36
nicht, daß es eine sehr erlaubte Neugierde ist, auch noch vor
ihrer

S. 487
Zurückkunft wenigstens im allgemeinen zu wißen, was ihnen in England Freude

2
gemacht hat oder nicht. Die Abreise von London bleibt nach den letzten

3
Briefen vom 11
ten
und 15
ten
auf den 29
ten
dieses festgesetzt. Die Rückreise geschieht

4
wieder durch Brabandt. In Aachen, wohin die hiergebliebene Schwester den

5
Reisenden entgegen fahren wird, bleiben sie 3. oder 4. Tage, und sie gedenken

6
sodann den 12
ten
oder 13
ten
des künftigen Monaths wieder hier zu seyn. Eine

7
seiner
der angenehmsten Aussichten Ihres Jonathans bey seiner Abreise

8
war, bald nach seiner Zurückkunft hier in Pempelfort eine Zeitlang Ihres

9
persönlichen Umgangs zu genießen. Ich bin überzeugt, daß es ihm äußerst

10
unangenehm seyn wird, diese Aussicht sich für dieses Jahr benommen zu

11
sehen.

12
Dohm ist gestern hier durchgereist, um seine Station in Cölln anzutreten.

13
Er kam, während die Pferde an seinem Wagen in der Stadt gewechselt

14
wurden, heraus nach Pempelfort um Ihren Jonathan zu besuchen. Von der

15
Rechtfertigung Jacobis gegen die Mendelssohnschen Beschuldigungen sprach

16
er im Ganzen mit vielem Lobe, doch fand er den Ton derselben zu heftig, und

17
etwas Ungerechtigkeit in der
Allgemeinheit
des Ausdrucks:
Berliner

18
Süffisance p. p. weil eine Menge schätzbarer Gelehrten in Berlin wären, die

19
weder zu der allgem. D. Bibl.
Clique,
noch zu der
Clique
des Biesterschen

20
Journals
gehörten, und welche die Vorwürfe, die den Berlinern in der

21
Schrift des HE. Jacobi gemacht würden, nicht verdienten. Als ein Beyspiel

22
von Unpartheylichkeit womit man
selbst
das Verdienst selbst der Feinde

23
anerkenne, erzählte er mir, daß in seiner Gegenwart nach Erscheinung der

24
Jacobischen Apologie in einer gewißen Lesegesellschaft von einem Mitglied

25
derselben der
Kunstgarten
(worin Schriften von F. H. Jacobi
I.
B)

26
zum Lesen vorgeschlagen worden sey, und daß diese Schrift ohngeachtet der

27
Erbitterung gegen den Verfaßer, den allgemeinsten und lautesten Beyfall

28
der Gesellschaft erhalten, und sogar
Engel
sie öffentlich für
vortrefflich

29
erklärt habe. Das Epigramm S. 100. der Apologie: Es ist ein Gott u.s.w.

30
habe nicht Nikolai, sondern einen gewißen Feldprediger, auf deßen Nahmen

31
er sich nicht besinnen konnte, zum Verfaßer, und werde in Berlin selbst

32
verachtet. Die Resultate hatte man noch nicht bey seiner Abreise in den

33
Buchläden; es sey aber wahr, was der junge Spalding gesagt, daß man vorläufig

34
auf Herdern als den Verfaßer derselben
Muthmaßung
gehabt habe.

35
Daß Mendelssohn zu weit gegangen sey, und daneben hier und da großer

36
Inconsequenzen sich schuldig gemacht habe, sehe man ein; aber Jacobi sey

37
jetzt gleichfalls zu weit gegen Mendelssohn gegangen u.s.w. Schweigen

S. 488
würde man nicht, und vielleicht von einigen nicht der beste Ton zum Gegen

2
Angriff gewählt werden; doch hinderte dieses nicht, daß Jacobi von den

3
besten Köpfen in Berlin geschätzt und für einen unserer scharfsinnigsten

4
Schriftsteller gehalten würde. Ich schreibe Ihnen dieses alles hin, obgleich

5
es weder recht warm noch kalt ist, weil es übrigens von einem sehr

6
schätzbaren Manne herrührt, der überdieß, nach seinem äußeren
Belieben
Betragen zu

7
urtheilen, sehr viel und
warmen
Sinn für Ihres Jonathans

8
Vortrefflichkeiten hat.

9
Ich habe heute morgen zum
letzten
mahl nach London geschrieben.

10
Sontag werden wieder Briefe kommen. Ist darinn etwas enthalten, das Sie

11
intereßieren könnte, so theile ich es Ihnen unverzüglich mit. Unser arme

12
Johann Georg liegt seit 6. Tagen an einer Art von
Faul
Fieber zu Bette.

13
Zum Glück ist sein Körper stark, und gleich gute Vorkehr gegen die

14
Krankheit gebraucht worden. Er ist jetzt außer aller Gefahr, doch wird er das Bett

15
noch eine Woche hüten müßen. Von Ihrer Gesundheit, hoffe ich, werden

16
auch bald beßere Nachrichten einlaufen. Ich bin zwar ein Laye in der

17
Medicin, aber mich deucht, es ist kein Geringes, welches Sie dadurch gewonnen,

18
daß die güldene Ader sichtbar geworden. Leben Sie wohl, lieber ehrwürdiger

19
Mann. Ich bin mit der innigsten Verehrung und Liebe

20
Ihr

21
Tiro Schenck


22
Weil ich doch geschrieben habe, so will ich 2. rein abgedruckte Exemplare

23
des Bogen C. beylegen. Die Exemplare nach Münster
u.
Weymar sind

24
versendet. Von Münster sind noch keine Nachrichten hierhin eingelaufen. Weder

25
Buchholz noch die Prinzeßinn haben geschrieben, seit Fr. Jacobi abwesend

26
ist. Künftige Woche wird jemand von Münster hieher kommen, der im Hause

27
der Prinzeßinn aus und eingeht, und auch HE. Buchholz kennt. Bey diesem

28
will ich mich erkundigen, um Ihnen wenigstens im allgemeinen melden zu

29
können, wie es um
den Letztern
das junge Ehepaar steht.

Provenienz

Universitätsbibliothek Erlangen, Ms. 2035.

Bisherige Drucke

Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel, I 5: 1786. Hg. von Walter Jaeschke und Rebecca Paimann, unter Mitarbeit von Albert Mues, Gudrun Schury und Jutta Torbi. Stuttgart-Bad Cannstadt 2005, 315–317.

ZH VI 486–488, Nr. 998.

Zusätze fremder Hand

486/4
–5
Johann Georg Hamann

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
486/5
No
7.
]
Hinzugefügt nach der Handschrift.
486/12
weniger;
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
weniger:
486/36
ihrer
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Ihrer
487/17
Berliner
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Berliner
488/6
Belieben
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
488/23
u.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
u