554
S. 77
Hamann sandte den Brief ab, bevor ihn
HKB 553
erreichte; er ist eine Antwort auf
HKB 549
.
Kgsb. den 6 May 79.

2
Herzlich geliebtester Gevatter, Landsmann u Freund,

3
Einlage
nicht ermittelt, mglw. ein Brief von
Herders Schwester
an ihn
Einlage erhalte eben, da ich mit dem ersten Bande des Starkschen Buchs

4
über die Kirchengeschichte fertig bin. Wie unter aller Erwartung! Nichts als

5
ein
Collegium
akademischer Vorlesungen – Weder Plan noch Oekonomie.

6
Name
„D. Johann August Starck“ steht auf dem Titel sowie jeweils am Ende von Widmung und Vorrede der
Geschichte der Christlichen Kirche des Ersten Jahrhunderts
Wie sein Name auf dem Titel, hinter der
Dedication
und der Vorrede: so ist

7
alles doppelt und dreyfältig gesagt. Und was macht ein
Compendium
der

8
römischen u jüdischen Geschichte hier zur Sache. Was für eine magere,

9
Pansismum
Henkel: Neologismus von παν, gemäß Herders Vorliebe für die Offenbarung des Johannes; wohl eher abschätzig gemeinte Wortprägung für unausgegorenen Pantheismus; oder Sancho Pansismus?!?
kümmerliche u nachläßige Be
redsamkeit
lesenheit. Den Pansismum hat er

10
Ihnen offenbar zu danken und zeigt gleichwol immer gleichsam mit dem

11
Finger auf die Erläuterungsquelle. Eben so hat ers mit Warburton gemacht, um

12
ihn desto gewißenhafter ausschreiben zu können. Was für elende

13
Kanzeltiraden um der Sache einen Schwung zu geben. Doch wir haben hier erst

14
geschwätzige Weib … atrum piscem
vgl.
Hor.
ars.
, 1–5: „Humano capiti cervicem pictor equinam / iungere si velit et varias inducere plumas / undique collatis membris, ut turpiter atrum / desinat in piscem mulier formosa superne, / spectatum admissi risum teneatis, amici?“ Übers.: „Wenn ein Maler mit dem Kopf eines Menschen den Hals eines Pferdes verbinden wollte und buntes Gefieder an Gliedmaßen anlegen, die von überallher zusammengetragen sind, so dass in einen schwarzen Fisch eine oben schöne Frau scheußlich ausliefe, könntet ihr, sobald man euch zum Anschauen zugelassen hätte, das Lachen zurückhalten, Freunde?“
vermuthlich nur das geschwätzige Weib; und müßen auf einen
atrum piscem
in

15
Vorrede …
vom Verleger
Georg Jacob Decker
in Berlin
der Folge warten. Die Vorrede ist ihm in Berl. gestrichen worden und soll

16
eine
Geschichte seiner hiesigen Händel
enthalten haben. Kanter beschwerte

17
Consistorialrath Bock
Friedrich Samuel Bock
sich damals von unserm Consistorialrath Bock betrogen zu seyn der 100 # für

18
seine Apologie des
Χ
stentums empfieng. Decker hat eben so viel gezahlt und

19
möchte noch schlechter dabey fahren.

20
Vorige Woche habe die 10 ersten Bogen von Nathan gelesen und mich recht

21
2 Theil der Juden
nach
Lessing,
Die Juden
daran geweidet. Kant hat sie aus Berl. erhalten der sie blos als den 2 Theil

22
der Juden beurtheilt und keinen Helden aus diesem Volk leiden kann. So

23
göttlich streng ist unsere Philosophie in ihren Vorurtheilen bey aller ihrer

24
Tolerantz und Unpartheylichkeit!

25
deutsche Sprachforscher
Nast,
Der teutsche Sprachforscher
Mätzken
Mäzke,
Grammatische Abhandlungen über die teutsche Sprache
; die Schrift wird bei Nast allenthalben erwähnt; Hamann interessierte sich im Kontext der
Zwey Scherflein
dafür.
Der deutsche Sprachforscher hat mich nach
Mätzken
grammatischen

26
Abhandl. neugierig gemacht, deren ersten Band ich zum Glück noch im

27
Kanterschen Buchladen gefunden und die mich sehr unterhalten. Wißen Sie nicht

28
zweite Band
ein solcher ist nie erschienen
ob der zweite Band ausgekommen und können Sie mir einige Auskunft

29
wegen des
Domitor
’s erzeigen?? wo der Mann lebt und wie seine Schrift

30
Ihren Wink
vgl.
HKB 539 ( IV 40/16 )
heißt. Ich brauche diese Nachricht um Ihren Wink wegen der etwanigen

31
Fortsetzung der neuen Apologie
Hamann,
Zwey Scherflein
Fortsetzung der neuen Apologie des Buchstaben auszuführen, wenn es mir

32
mögl. ist
, welches ich noch nicht absehn kann. An Lust und Stoff dazu fehlt

33
Geschichtschreiber der deutschen Republick
Friedrich Gottlieb Klopstock
, nach dessen
Gelehrtenrepublik
es nicht; aber Kräfte und
Laune
! Denn mit dem Geschichtschreiber der

34
Exrector Damm
Christian Tobias Damm
, gegen dessen
Betrachtungen über die Religion
Hamann in der
Apologie des Buchstaben h
(N III,96f.) polemisierte.
deutschen Republick zu reden, dazu gehört ein anderer Ton als mit dem Exrector

35
Grundgesetz der Aussprache
vgl. etwa
Klopstock,
Ueber die deutsche Rechtschreibung
, S. 19: „1. Der Zwek der Rechtschreibung ist: Das Gehörte der guten Aussprache nach der Regel der Sparsamkeit zu schreiben. […] 2. Kein Laut darf mer als Ein Zeichen; und kein Zeichen mer als Einen Laut haben.“
Damm. Das
Grundgesetz der Aussprache
kommt mir völlig unrichtig vor

36
Plastik von Bildhauerey u Mahlerey
Herder plädiert in seiner Abhandlung über
Plastik
, S. 22–28 für eine starke Trennung der Kunstrichtungen Bildhauerei und Malerei sowie ihrer jeweiligen Rezeption und Theorie. – Hamann plädiert also, analog zu Herders Trennung von Bildhauerei und Malerei, gegen Klopstocks Engführung von geschriebener und gesprochener Sprache in seiner Orthographie-Theorie?!? – vgl.
HKB 555 ( IV 81/27 )
und was Sie in Ihrer Plastik von Bildhauerey u Mahlerey sagen scheint mir

S. 78
auch darauf zu paßen:
für das Ohr zu schreiben
! Der erste Period des

2
Klopstocks scheint mir ein Verräther seines Circuls im Denken zu seyn; demselben

3
zu folge ist die rechte Aussprache durch die Schreibart bestimmt worden. Noch

4
weiß ich nicht, ob ich im stande seyn werde meine Idee auszuführen. Allenfalls

5
abeat cum ceteris erroribus
dt. weg damit, wie mit anderen Irrtümern (wohl von Hamann selbst geprägte Formel)
abeat cum ceteris erroribus!

6
Haben Sie mein Geschmier schon Muße gehabt zu entziffern und

7
durchzulesen? Verdient es eine Ausgabe und haben Sie Wege, dazu beförderlich zu

8
seyn? So bald es Ihre Geschäfte und die Umstände der Sache selbst erlauben,

9
Fortsetzung des Falk und Ernst
Lessing,
Ernst und Falk
(Gespräche 4 und 5), vgl.
HKB 549 ( IV 65/21 )
seh ich Ihrer Antwort entgegen. Denken Sie auch an die Fortsetzung des

10
Falk und Ernst
. Ich will mich allen Bedingungen gern unterwerfen. Hat

11
Kapellmeister Ihren Brutus
ob
Johann Friedrich Reichardt
Herders
Brutus
-Drama
bekommen habe
unser Landsmann der Kapellmeister Ihren Brutus empfangen u erinnern

12
Sie sich noch der damaligen Abrede.

13
letzter Brief …
HKB 549
am 25. April 1779, also mit günstigen Vorzeichen
Ihr letzter Brief kam am Sonntage
Jubilate
an, also
faustis auibus.

14
Wegen
Möllerin
werde Sie mit der Zeit befriedigen. Lauson hat mir vor der

15
Hand zu verstehen gegeben, daß nichts an ihren Gedichten seyn soll. Ich will

16
Silhouetten
wohl Scherenschnitte von Herder und seiner Familie, vgl.
HKB 549 ( IV 67/8 )
Volkslieder
Herder,
Volkslieder
, Bd. 2
selbige aber selbst lesen. Werden Ihre Silhouetten und Volkslieder
p

17
H. noch H.
weder
Johann Friedrich Hartknoch
(wegen Krankheit) noch
Jakob Friedrich Hinz
, vgl.
HKB 550 ( IV 68/29 )
ankommen, da weder H. noch H. die Meße gemacht, und blos
Hartung
. Aus meiner

18
20000 fl.
in der Königsberger Lotterie, vgl.
HKB 550 ( IV 71/21 )
Reise nach Weimar kann dies Jahr nichts werden, weil ich weder 20000 fl.

19
vix credo
dt. ich glaube es kaum
noch 300 fl. gewonnen. Ob ich meinen Einsatz bekommen,
vix credo;
denn ich

20
habe mich um die Lotterie Listen noch nicht bekümmert. Daß Ihnen meine

21
sauersüße Erzählung … gut bekommen
vgl.
HKB 549 ( IV 64/9 )
sauersüße Erzählung der häuslichen
p
Angelegenheiten gut bekommen, freut

22
mich. Freude macht mich zum alten Weibe und Kummer zum Mann. Der

23
Stark … eingebüßt
Johann August Starck
, wohl Vermögenswerte oder Grundbesitz, der sich wegen der Herkunft seiner
Ehefrau
aus Königsberg noch dort befand.
arme Stark hat beynahe seine gantze Morgengabe kürzlich hier eingebüßt, und

24
sein preuß. Unstern scheint ihn noch zu verfolgen. Aber daß meine kleine

25
Chronik zu einer Parabel für Sie gedient, hat mich nur
geträumt
. Wünschte

26
wie Paulus …
1 Tim 1,15
gedruckte Einl.
„Kantate beim Kirchgange der regierenden Herzogin Hochfürstl. Durchlaucht“ (
SWS
XXVIII, S. 101–104), vgl.
HKB 549 ( IV 64/35 )
wie Paulus gern der vornehmste zu seyn! Ihre gedruckte Einl. ist nach

27
Morungen abgegangen in Erwartung des mir zugedachten EhrenExemplars –

28
Sie wißen, liebster General Superintendent! wer mir etwas verspricht den

29
wie jener Gläubiger …
Lk 7,41–50
halt ich so fest wie jener Gläubiger seinen Schuldner im Evangelio.

30
Rousseau ein großes Eloge
Rousseau,
Julie ou La nouvelle Héloise
, Übersetzung (1761), Bd. 5, S. 8: „Nein, dieses philosophische Jahrhundert wird nicht vergehen, ohne einen wahren Weltweisen hervorgebracht zu haben. Ich kenne einen, einen einzigen, ich gebe es zu; allein, das ist schon noch viel, und zum größten Glücke lebet er in meinem Vaterlande. Werde ich ihn hier nennen dürfen, ihn, dessen warer Ruhm es ist, daß er nicht sehr bekannt zu werden gewußt hat? Gelehrter und bescheidener Abauzit, Ihre erhabene Einfalt verzeihe meinem Herzen einen Eifer, der nicht Ihren Namen zum Gegenstande hat. […]“
Erinnern Sie sich noch eines
Abuzai
– so heist er ungefehr – dem
Rousseau

31
ein großes
Eloge
in seinen Schriften macht. Araber waren seine Vorfahren

32
er aber ein Socinianer zu Genf. Sind Ihnen seine
Oeuvres
bekannt deren

33
ersten Theil ich hier gelesen habe. Sie enthalten unter manchen exegetischen

34
Schlüßel der Apokalypse
Essai sur l’Apocalypse de l’Apôtre S. Jean,
, ebd., 299–326
Stücken auch einen Schlüßel der Apokalypse. Möchte Ihnen mit einem

35
Auszuge dieser Abhandl. gedient seyn; so steht er Ihnen zu Diensten. Ich hab ihn

36
vor vielen Jahren gelesen als er zu London auskam. Mein alter
Maecen

37
Green
Kant u Kanters Freund hat das Buch.

S. 79
Sprengel …
Stadtbezirk; Hamann wohnte in der Laak im westlichen Königsberg am Pregel, der Steindann befand sich im Nordwesten.
auf Michael
an Michaelis, im Herbst
Hippel der bisher auf dem Roßgarten gewohnt, zieht auf Michael in

2
meinen Sprengel nach dem Steindamm u hat sich ein hochadl. Stammhaus

3
gekaufft. Er hat diese Woche meinen Kindern 2 paar Tauben geschenkt und

4
ein anderer Freund an demselben Tage ein paar Lachtauben, die meine

5
2ten Theil der Lebensläufe
Hippel,
Lebensläufe
, Tl. 2 (1779)
Gesellschafter sind. Bin auf den 2ten Theil der Lebensläufe sehr neugierig, die

6
hoffentl. diese Meße erscheinen werden. Er ist jetzt Stadtrath geworden aber

7
mit Nachtheil – und auf 2 Stellen verlorne Aussichten gehabt, zu denen ich

8
ihm bald Reife wünsche – Lestocq’s als Oberrichter und das Regierungs

9
Secretariat statt des seel. Nicolovius. Ich hätte einen Robertin gewonnen

10
Dach
Simon Dach
und wünsch es zu seiner
Zeit
ohne ein Dach zu seyn.

11
böse Geister
vgl.
HKB 549 ( IV 66/12 )
Es geht mir wie Ihnen – In meiner Laune seh ich auch alles für böse Geister

12
an. Gott kennt sie am besten. Ein wenig Weihwaßer – an statt vor Ihnen zu

13
laufen – vertreibt solche Gäste.

14
Auch ein paar Worte wünschte ich aus
Diderots Essay
von Ihnen zu hören,

15
erbaul. Brief …
nicht ermittelt
sobald Sie selbigen gelesen haben. Ich habe neul. einen erbaul. Brief von ihm

16
an den Ruß. Gesandten von Warschau in einem Berlinschen
Journal
gelesen.

17
Xenophons Sokr. Merkw
Xen.
mem.
Diese Woche werde mit Hänschen das erste Buch von
Xenophons
Sokr.

18
Merkw
schlüßen. Ohngeachtet ich es nur
cursorie
mit ihm treiben kann: so

19
ist diese Arbeit ein wahres Fest für mich – als wenn ich den alten Mann und

20
Märtyrer vor mir schweben sähe und
vis-à-vis
von Angesicht zu Angesicht

21
ihn selbst reden hörte, ist mir zu Muth –

22
Frau Gevatterin … August
Caroline Herder
, vgl.
HKB 549 ( IV 67/12 )
Meiner verehrungswürdigen Frau Gevatterin wünsch ich einen glücklichen

23
Pathchen … 18
Marianne Sophie Hamann
; bezogen auf den 18. Mai
und geseegneten August. Ihr Pathchen ist diesen 18 ein halb Jahr alt und

24
Einflüße des Scorpions
vgl.
HKB 543 ( IV 48/34 )
befindt sich Gottlob! nach Herzenswunsch ohne die geringsten Einflüße des

25
Scorpions – Ein wahres
Turteltaubchen
und
Pendant
zu meinen kleinen

26
Wolfgang
.

27
Gott seegne Sie und Ihr ganzes Haus! ist mein
tägl
. Wunsch u. Gebet –

28
und hiemit gute Nacht!


29
Den 7 May.

30
Bin früh gnug aufgewacht zu einem guten Morgen! aber es schlummert

31
noch alles in meinem Kopf und die Stunde ist da zum Aufbrechen.

32
Empfehlen Sie mich Ihrer besten Hälfte. Ich ersterbe mit allen den Meinigen Ihr

33
verpflichtester und ewig ergebenster

34
Johann Georg Hamann.


35
Adresse:

36
HErrn / HErrn
Herder
/ General-Superintendenten pp / zu /
Weimar
/

37
p.
Halle
/ franco.
Halle

Provenienz

Staatsbibliothek zu Berlin, Ms. Germ. quart. 1304, 173–174.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, VI 78–82.

ZH IV 77–79, Nr. 554.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
77/32
mögl. ist
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
mögl.
ist
78/25
geträumt
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
geträumet
79/10
Zeit
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Zeit,
79/18
Merkw
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Merkwk.