499
340/12
Kgsberg den 15 May 777.

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Würdigster Landsmann und Freund,

14
ekeln Geschmiers unterm 13 pr.
HKB 486
Es ist mir mehr als einmal eingefallen wegen meines ekeln Geschmiers

15
unterm 13
pr.
Sie um Vergebung zu bitten. Die Rücksicht auf Ihre

16
Freundschaft hat mich beruhigt, und es wird dem ganzen Innhalt meines Briefes

17
vermuthlich anzusehen gewesen seyn, daß ich ihn in der Angst meiner Seele

18
geschrieben, und mit dem Vertrauen mein Herz gegen Jemanden

19
auszuschütten, der an meinem Schicksal Antheil nimmt.

20
Ihr Vorwort gegönnt haben
Gemeint ist Reichardts Fürsprache in Berlin bei Hamanns Erlangung des Postens als
Packhofverwalter
. Auf
HKB 486
antwortete Reichardt offenbar nicht. Zu Reichardts nicht überlieferter Antwort auf den gegenwärtigen Brief vgl.
HKB 504 ( III 354/8 )
.
Kurz, es betrifft Ihre
eigene Ehre
, daß Sie keinem unwürdigen Ihr

21
Vorwort gegönnt haben, und ich muß mich wenigstens in Ihren Augen

22
rechtfertigen – oder schreiben Sie mir wenigstens rund heraus, daß Sie weder

23
Zeit noch Lust haben sich um mich zu bekümmern,
oder
und weisen mich mit

24
dem Sprichwort ab: Jeder für sich selbst – Ich habe auch diesen Stachel

25
bereits gefühlt, und würde ihn auch verschmerzen.

26
Alles was ich von Ihnen bitte, besteht darinn, daß im Fall dort Klagen

27
Familie meines Vorwesers
Witwe Blom
und ihre Familie
über mein Betragen gegen die Familie meines Vorwesers bereits eingelaufen

28
seyn sollten, oder noch einlaufen möchten, Sie wenigstens solange für mich

29
gut sagen
bis ich mich selbst zu rechtfertigen im stande bin und dazu

30
aufgefordert werde; denn Lügen und Trügen herrscht so in allen Straßen, daß

31
der entschloßenste Mann in die Versuchung gerathen möchte auf Ehrlichkeit

32
Verzicht zu thun. Sie kennen die Familie, mit der ich zu thun habe, ihren

33
Einfluß – –

S. 341
So oft ich auch den festen Vorsatz gehabt an die
Gen. Adm.
zu

2
wenden: so ist es mir bisher schlechterdings unmögl. gewesen. 1.) weil ich

3
umständl. seyn muß und das äußerste abwarten will

4
2.) weil ich alle Umstände nicht aufdecken kann ohne meine beyden

5
Nachbarn und Hiesigen Vorgesetzten
Carl Christoph Stockmar
und
Louis-François Jauduin de Marvilliers
; zu den Machenschaften des letzteren vgl.
HKB 486 ( III 314/2 )
Nachbarn
und Hiesigen
Vorgesetzten
wehe zu thun, und beyde Verhältniße sind

6
vierten Bitte
s.u.
mir zu heilig und mit der
vierten Bitte
verbunden.

7
Bonificationen
Vergütungen; gemeint sind die Geldforderungen an Hamann für seine neue Dienstwohnung von der Familie seines
Vorgängers
.
Der bloße Name von
Bonification
en ist mir schon verhaßt und wird zu

8
den grösten Durchstechereyen und Betrügereyen gemisbraucht. Jeder gute

9
Königl. Freywohner
vgl.
HKB 486 ( III 315/11 )
Wirth muß sich nach sr. Decke strecken und ein Königl. Freywohner hat keinen

10
Fug seinen Phantasien nachzu
denken
hängen und von seinem armen

11
Nachfolger zu
praetendi
ren, daß er sein
Contingent
dazu beytragen soll. Der

12
meinige hat den närrischen Einfall gehabt eine kleine Kapelle mitten auf dem

13
Gehöfte anzulegen, für die ich 50 fl. bezahlen sollte weil sie ihm 100 gekostet

14
haben soll. Mein Gehöft hat dadurch gewonnen, daß sie niedergerißen ist.

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usufructuarius
Nießbraucher
Jeder Verwalter und
usufructuarius
eines fremden Grunds u Bodens ist

16
schuldig denselben zu verbeßern und vollkommener nachzulaßen und macht

17
sich durch seinen Genuß bezahlt
pp.
Wie können Erben
emolumenta
die zu

18
pertinentien u Accessorien
Zubehör und Anhängsel im rechtlichen Sinn, wie der Garten zur Dienstwohnung
einem Königl. Dienste gehören,
sequest
riren und
usurpi
ren die
pertinentien

19
u
Accessori
en meiner freyen Wohnung?

20
Die Wittwe weiß keinen andern Grund mir 326 rth abzupochen als weil

21
HE
Gen. Insp.
soviel bezahlt. Was für ein Verhältnis zwischen unserm

22
Gehalt! Zwischen unsern Gärten! Seiner ist um mein halbes Gehöfte größer,

23
hat verdeckte Gänge und ist voller Obstbäume. – Er ist ein Gärtner selbst –

24
ich nicht und mag es nicht. Er macht sich Hofnung zum Eigentum deßelben

25
unter eben demselben Vorwande der darauf verschwendeten Unkosten. Mir

26
eckelt vor solchen Einfall. Kurz mein ganzer Sinn geht darauf nichts mit den

27
Erben meines Vorwesers zu theilen zu haben und alles meinem Nachfolger

28
frey und ohne die geringste
Liquidation
zu überlaßen.

29
Licitationen
Versteigerungen
Die Erben haben auf meinem Gehöfte
Licitation
en angestellt,
demoli
ren

30
laßen, ohne mir die geringste Nachricht gegeben zu haben, den Garten mir

31
vor der Nase zugeschloßen, herausnehmen laßen, was ihnen gelüstet, sich

32
meines Gehöftes als ihres Eigenthums bedient – und haben alle Achtsamkeit

33
aus den Augen gesetzt, die man einem Kohlbrenner zwischen seinen 4 Pfählen

34
schuldig, daß mir das warme Blut aus den Augen und Nägeln hätte sprützen

35
mögen, weil ich auf mein
Hausrecht
und die Ehre deßelben so eifersüchtig

36
bin –

37
Da man aus dem Garten herausnahm ohne das geringste arbeiten zu

S. 342
laßen, ließ ich ihn durch einen Schlößer den 6
huj.
eröffnen, weil meine Leute

2
wegen ihrer Wäsche verlegen waren und nicht einmal den Bleichplatz vor der

3
1 May
vgl.
HKB 495
Licenträthin Blom
Witwe Blom
Nase nutzen konnten; nachdem ich bereits den 1 May an die Licenträthin

4
Blom
Anfrage gethan ob sie
Resolution
von Berlin erhalten und mit der

5
Summe von 60 fl. die ihres Mannes Vorweser empfangen, zufrieden seyn

6
wollte, ohne daß ich einer Antwort gewürdigt worden bin.

7
Ich habe also zum ersten mal den 7 May das bisher verschloßene Paradies

8
in Augenschein nehmen können und nichts als einen zieml. verwüsteten Platz

9
rantzionirt
ausgelöst (von Ranzion für Lösegeld, vgl.
Adelung, Bd. 3, Sp. 935f.
)
gefunden, den ich mit 60 fl. über und über
rantzioni
rt hätte. Unterdeßen

10
ermangelte ich nicht noch denselben Abend vor Himmelfahrt der Wittwe davon

11
Nachricht zu geben
damit im Zusammenhang steht wohl der Entwurf
HKB 495
Nachricht zu geben und ihr all ihr Verfahren von ihrer und sämtl. Erben

12
Seiten mit etwas magischen Pinsel unter die Nase zu reiben, weil mich der

13
Eifer
um ein königl. Haus lange gnug
gefressen hatte
, und ich es nicht

14
sans faire …
dt. ohne meinen Charakter mit Höllenstein zu malen
verschmerzen konnte wie ein Narr behandelt worden zu seyn
sans faire mon

15
crayon de la pierre
infernale
.

16
Stellen Sie sich einmal vor, bester Kapellmeister, wenn Sie auch ein

17
Gärtner ist, wie
Mr le Marquis mon voisin,
der Mist war bis in den May auf den

18
Spargelbeeten liegen geblieben und meine Leute waren eben den 9 May in

19
Hofrath Hoyer
David Hoyer
Begriff selbige anzunehmen als HE Hofrath Hoyer auch einen Arbeiter mit

20
Billet … Gegenbillet
nicht überliefert
einem offenen
Billet
zu mir schickte und einer
Garantie,
daß mir kein Schade

21
dadurch zuwachsen sollte. Ich ließ ihn aber mit einem Biergeld abfertigen u

22
einem Gegen
billet,
daß ich nunmehro da ich selbst zu arbeiten anfienge, weder

23
seiner Gehülfen noch seiner
Garantie
nöthig hätte.

24
12. huj … Direction
am 12. dieses Monats (Mai) auf die
Provinzial-Akzise-, Zoll- und Lizent-Direktion in Königsberg
Den 12
huj.
wurde förmlich auf die
Direction
geladen um in Gegenwart

25
Dr. Laubmeiers
Johann Benjamin Laubmeyer
des
Dr. Laubmeiers
die bitterste Vorwürfe zu hören, daß ich mich

26
unterstanden hätte den Garten zu eröffnen. An statt in Schutz genommen zu

27
H-v
Hundsvott
werden, ertheilte man meinem Gegner, der mir ins Gesicht lachte und mit H-v-

28
foro fori
öffentlich vor Gericht
um sich warf, den guten Rath mich vor dem
foro fori
zu belangen.

29
Loge
Hamanns Arbeitsraum am
Licent
, vgl.
HKB 484 ( III 306/18 )
; wohl leicht ironisch-abfällige Bezeichnung (vgl.
Krünitz
, s.v. Loge: „eine Hütte, ein kleiner mit Brettern verschlagener Raum, ein Hundestall, eine Schiffskammer etc. etc. heißt“), ohne Bezug auf Freimaurer- oder Theaterlogen.
Kaum war ich in meiner
Loge
als ich ein so langes
Billet
als ein
Advocat
en

30
Mantel hier ist, von Hofrath
Hoyer
erhielt und eine Antwort auf alle meine

31
Puncte in jenem
Billet doux
vom 7 enthielt. Die Hauptsache betraff eine

32
categori
sche Erklärung auf 2 Fragen nemlich:

33
1. ob ich die mit Kosten des
Blom
gepflanzten Bäume u Gewächse denen

34
Erben als ihr Eigenthum zugestehen oder 2.) solche ohne alle Vergütung

35
unentgeltlich an mich zu behalten gemeynet sey.

36
Die erste Frage war schon
thätlich
beantwortet durch mein ruhiges

37
Verhalten seit Ostern bis zum 6
huj.;
die 2te durch meine nachher geschehene

S. 343
Offerte
von 60 fl. Ich ertheilte demohngeachtet noch mit aller mögl. Kälte

2
9 u 10ten Geboth
2 Mo 20,15f.
meine Entfernung dem 9 u 10ten Geboth entgegen zu denken und zu
halten

3
handeln und weil ich nicht im stande wäre mich in Unterhandlungen wegen

4
Bonification
en einzulaßen und den deshalb gemachten Forderungen Gnüge

5
zu leisten,
unterwarf
ich mich nochmals gern und willig alles was

6
herausgenommen werden könnte den Erben zuzugestehen –

7
Sie sehen hieraus, bester Landsmann u Freund! daß meine

8
Uneigennützigkeit keine Ursache hat den dürstenden VerwüstungsGeist dieser Leute zu

9
fürchten. Unterdeßen ist der Spargel ausgeschoßt, daß ihn niemand genießen kann,

10
und was ich noch in der Geschwindigkeit seit dem 11
huj
gepflanzt vieler

11
Gefahr ausgesetzt. Das ärgste ist die
Verlegenheit meiner Lage
nicht nur in

12
der
häuslichen Ruhe
sondern auch in Ansehung meines
Dienstes
, indem

13
ich mit eben soviel Aengstlichkeit u Vorsicht und Klugheit zu Werk gehen muß.

14
Die Erben haben noch immer die Papiere in Händen, ohngeachtet ich

15
bereits Unordnungen in meinem Register entdeckt habe ohne selbige
verifici
ren

16
seine Cour …
Gemeint ist wohl, dass man durch eine Denunzierung Hamanns bei
Louis-François Jauduin de Marvilliers
oder
Carl Christoph Stockmar
punkten könne.
zu können – und mir es an vielem fehlt; auch derjenige am besten seine
Cour

17
meinen Obern hier machen würde, der mich
induci
ren könnte.

18
Thun Sie (so wenig Sie können) um Ihr Werk zu vollenden und mir die

19
Ruhe zu verschaffen – Ein Wink ist für mich hinlänglich. Ich bin hier aber

20
ganz im Dunkeln –

21
Seitdem Pzl. ein Vertrauter vom HE
Dir.
u seinen Familienumständen

22
geworden ist, ist er wie umgekehrt und mein Herz gegen ihn gleichfalls. Ich

23
mag diese Ebentheuer nicht berühren – das Andenken und die Vorstellung ist

24
gar zu
bitter
und
herbe
für meine Denkungsart und für mein Gefühl. Die

25
Haare stehen mir zu Berge.

26
Unser Freund
Kaufmann
hat mir wenig von Ihnen zu erzählen gewußt.

27
Er hat 4 elende Nächte auf meinem
Sopha
zugebracht und ist den 27
April
des

28
Morgens aus meinem Hause verschwunden, da ich mich vom Schlaf nicht

29
ermuntern konnte, weil ich ihm zu Gefallen bis auf den Schloßthurm

30
geklettert war und mi
r
ch sein Umgang, wie ein Spatziergang auf den Alpen,

31
erschöpft hatte, daß ich meiner Sinne nicht mächtig war, und beynahe eine

32
gantze Woche nöthig gehabt mich zu erholen.

33
Gevatter
Assmus
ist vermuthl. bereits in Wandsbeck. Herder hat mich gantz

34
vergeßen – Ich hätte Ihnen eine Abschrift seines
Brutus
schon zugeschickt,

35
wenn ich nicht Hofnung hatte Ihnen ein gedrucktes
Exemplar
von ihm Selbst

36
zu verschaffen – und wenn ich in meiner Lage der geringsten Thätigkeit und

37
Gemüthsruhe fähig wäre.

S. 344
Geben Sie mir doch bester Kapell Meister! wenigstens 3 Worte guten oder

2
bösen Rath, und helfen Sie mir aus der Ungewißheit, in der ich bey meiner

3
Verlegenheit bin, ob jene Leute die Sache dort anhängig gemacht, und ob ich

4
mich dort verlaßen kann einigen Nachdruck für mich zu erwarten. Ich kann

5
mich nicht eher näher auslaßen, bis ich wenigstens einen Laut von Ihnen

6
Gelach
s.o.
habe und will ohne Ihre Genehmigung nicht gern ins Gelach schreiben.

7
Wie gehts Ihr lieben Gemalin? Kaufmann hat Sie mir als sehr kränklich

8
Prof Engel.
Johann Jakob Engel
beschrieben. Empfehlen Sie mich bestens und Ihrem Freunde dem HEr
Prof

9
Engel.

10
Ich bin nun gantz kahl. Kreutzfeld habe seit Sonntag nicht gesehen.
Krause

11
ist gut angebracht durch
Prof. Kant
bey Grafen von Kayserlingk mit 200 rth

12
Gehalt.

13
Ihren HErrn Vater werde nicht eher besuchen bis ich Ruhe dazu haben

14
werde: so sehr er mir auch im Sinn liegt.

15
Vollenden Sie Ihr Werk an Ihrem Landsmann und Freund und wenn es

16
Ihnen mögl. ist so melden Sie mir wenigstens

17
1) ob Sie mit meinen Grundsätzen in der strittigen Sache zufrieden sind

18
2) ob meine Gegner sich dort wirklich gemeldt haben oder nicht?

19
3.) ob man dort geneigt seyn wird mich zu hören und

20
4.) ob Sie noch die letzte Hand ans Werk legen wollen und ich, ohne Ihnen

21
überlästig zu werden, mich
gantz
in Ansehung meiner Dienstlage Ihnen

22
anvertrauen kann.

23
Gott schenke Ihnen soviel Gutes als ich mir selbst wünsche. Ich umarme

24
Sie und ersterbe Ihr aufrichtig ergebenster und verpflichtester Freund und

25
Diener

26
Johann Georg Hamann.

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1943. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], II 1.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, V 229–236.

ZH III 340–344, Nr. 499.