532
24/30
Kgsberg den 13
Julii
78.

31
Endlich, bester liebster Gevatter, Landsmann und Freund!
muß
ich

32
Einl.
vmtl. von
Catharina Dorothea Güldenhorn
, nicht überliefert
schreiben um Einl. zu befördern, auf die ich lange gnug gewartet und über ihr

33
Ausbleiben mich beunruhigt. Die Gründe davon werden Sie leider! darinn

34
lesen, und sollte ich die Gründe meines eigensinnigen, lieblosen, verzweifelten

S. 25
Stillschweigens noch dazu auskramen: so wäre freylich reicher Stoff – aber

2
nichts zur Sache.

3
Nachrichten und Denkmalen
nicht ermittelt, vmtl. keine konkreten Bücher;
Herder,
Denkmahl Johann Winkelmanns
blieb zu Lebzeiten ungedruckt
Hartknoch hat mich mit Nachrichten und
Denkmalen
erfreut, ist sehr

4
freundschaftlich gegen mich gewesen, den 24
Junii
von hier abgereist, und hat

5
vieles auf seiner Heimfahrt aushalten müßen; sein Schicksal ist rührend, wie

6
seine Gelaßenheit und Ergebung – Bey der wenigen Hofnung ihn

7
wiederzusehen, haben wir Entwürfe zu Reisen gemacht, deren Idee Sie leicht

8
Pathchens
August Herder
errathen können. Wegen meines Pathchens hat er mir Unruhe zurück gelaßen,

9
die ich wünschte eben so glücklich curirt zu sehen, als es meine schmachtende

10
letzten Brief
HKB 528
Ungedult wurde den 10 April – da ich Ihren letzten Brief erhielt ohne noch

11
Wilhelm Ludwich Ernst
Wilhelm
Ludwig Ernst Herder
meinen Glückwunsch zum
Wilhelm Ludwich Ernst
abgestattet zu haben.

12
Im Geist
ich
es
freylich
geschehen; aber daß es weder
Feder
noch
Mund
thun

13
können, ist blos meine gänzliche
Unvermögenheit
zu reden und zu schreiben –

14
Ohngeachtet aller meiner Talente im Eßen, Trinken, Schlafen wird mir

15
mein Leben zur Last und ich bin gepreßt wie in einer Kelter. Ich muß von 7

16
Posten
als
Packhofverwalter
am Königsberger Licent
des Morgens bis 6 des Abends auf meinem Posten Schildwache halten ohne

17
Arbeit als ein leidiges Lesen wodurch ich mich zu betäuben suche

18
zerstoßnes Schienbein
vgl.
HKB 519 ( III 391/3 )
Zum Beschluß des vorigen Jahrs, wo mich zu gutem Glück ein zerstoßnes

19
Entscheidung der Gen. Admin.
Die abschlägige Antwort der
Generaladministration
vom 27. Dezember 1777 (nicht überliefert, vgl.
HKB 522 ( IV 1/22 )
), es ging wohl um den Streit mit den Blomschen Erben und Hamanns amtliche Aufgaben; Herder fragte danach,
HKB 528 ( IV 18/14 )
.
Schienbein einhalten mußte, erhielt ich eine Entscheidung der
Gen. Admin.

20
letzte Arbeit
Die Antwort an die
Generaladministration
, für die
HKB 521
ein Entwurf ist.
die mir alles absprach. Meine letzte Arbeit war ein sehr politisches

21
Danksagungsschreiben für diese
gnädige
Resolution,
die wider ihren Dank und

22
Willen alle meine Absichten erfüllte. Daß die Wendung einigen Eindruck

23
Neujahrscompliment … Chef unsers Departements
Carl Peter Morinval
, nicht überliefert
gemacht, war an dem Neujahrs
compliment
abzumerken, das mir der
Chef

24
unsers
Departements
förmlich abstattete
en particulier.
Folglich eben so viel

25
am Gegenwärtigen verloren als für die Zukunft gewonnen; nur immer

26
Schade für uns sinnliche Menschen, daß diese so dunkel und jenes so helle ist.

27
Ich bin mit meinen hiesigen Vorgesetzten auch auf guten Fuß – aber im

28
Mistrauen zu leben, ist nicht für mein Gemüth, und kein Umgang der mein

29
Herz füllt. Ein noch ärgerer
Genius
als mein eigner schwebt über alle meine

30
P.
Abraham Jakob Penzel
war durch seine Königsberger Verbindungen zuvor meist von militärischen Pflichten befreit; als sich seine Versuche, aus dem Militär entlassen zu werden, zerschlugen und die preußische Intervention im Bayerischen Erbfolgekrieg (später Kartoffelkrieg genannt) anbahnte, fürchtete er aber, bald in ernsthafte Kriegshandlungen involviert zu werden und floh am 26. März aus Königsberg (die preußische Kriegserklärung gegen Österreich erfolgte am 3. Juli 1778); vgl.
Köppe:
Abraham Jakob Penzels Lebensirrfahrten
, 135f.
hiesige Freunde. P‥
desertirt
von hier wie ein Betrüger und Schelm den

31
Kreutzfeld …
Johann Gottlieb Kreutzfeld
, als Professor poeseos
26 März. Kreutzfeld besucht mich fast täglich, hat all sein Feuer, das er wie

32
Kraus … εαυτοντιμ
Christian Jacob Kraus
und seine selbstquälerische Übersetzung von
Young,
Political arithmatic
(nach
Ter.
Heaut.
)
Schul
collega
zu haben schien als Prof. verloren. Kraus
algebraisirt
sich zum

33
εαυτοντιμ
. u. s. w.

34
Erben
den
Blomschen Erben
Mein Hof und Gehöfte ist von den Erben gereinigt; das Geköche steht

35
Gottlob! schön, an mannichfaltigen Besuchen fehlt es auch nicht; aber nichts

36
Homogenes – –

37
Das Gemüth voller niedrigen kriechenden irrdischen Nahrungssorgen. Ein

S. 26
wandelnd Todtengerippe an meinem armen Bruder vor Augen. Drey

2
Gottlob! gesunde Kinder um mich herum, die ich weder Selbst zu erziehen im

3
stande bin, noch etwas an ihrer Erziehung wenden kann.

4
Bey allen diesen Kleinigkeiten meiner öffentl. u. häuslichen Lage zappelt

5
mein armer Geist wie eine Fliege im Spinnengewebe und kann zu keinem

6
Stand
punct
kommen, fühl mich eben so schwach andern als mir zu rathen,

7
zu genießen und genoßen zu werden.

8
Einlage
s.o.
Wenn ich nicht wegen der Einlage schreiben müste, hatten Sie, liebster
Herr

9
bis zu meinem 50sten Geburtstag warten sollen: so unchristlich und

10
unverzeyhlich Ihnen auch mein Stillschweigen hätte scheinen müßen.

11
Silhouette … Gipspuppe
zu Herders Bitte vgl.
HKB 509 ( III 372/14 )
Nicht einmal ein
Silhouette
vielweniger eine Gipspuppe von meiner

12
traurigen Gestalt
nach
Cervantes,
Don Quijote
traurigen Gestalt. Wozu haben Sie mir nicht das Corpus des Weimarschen

13
Gesangbuchs durch Hartknoch mitgeschickt. Sie wißen was ich für ein Freund

14
von Liedern bin und wie andächtig mich ein Gesangbuch unterhalten wird

15
vor dem Ihr Tauf- und Zunahme steht. Daß Sie ja eins fertig halten, wenn

16
ich einen
Expressen
darnach schicke.

17
Ihre … Arbeitsamkeit
vgl. Herders Auflistung seiner neueren Werke ab
HKB 528 ( IV 18/26 )
Ihre und Lavaters Arbeitsamkeit ist ein Wunder in meinen Augen; aber

18
ich danke Gott in meinen Windeln und Banden dafür

19
Kaufmann
Christoph Kaufmann
, vgl. dessen Ermahnung
HKB 531
Ich bin Kaufmann seit seiner Hochzeit eine Antwort schuldig und

20
überhaupt Freunden und Feinden. Zu erstern hab ich das
Ver
Zutrauen
, daß Sie kein

21
Arges davon denken werden; gegen Leute die mir gleichgiltig sind, kann ich

22
Armen an Geist seelig
Mt 5,3
; vgl. das Motto zu
Hamann,
Apologie meines Cretinen
, N III,323/10
mir eher ein wenig Zwang anthun. Kurz, wenn die Armen an Geist
seelig

23
sind; so hoff ich Schadloshaltung –


24
Den 14 des Morgens

25
Dii Deaeque me perdant
dt. mögen mich Götter und Göttinnen verderben; nach
Tac.
Ann.
6,6
ein Briefanfang des Tiberius voller Selbstvorwürfe
Dii Deaeque me perdant,
– und wenn Sie mich Todt schlügen ist es mir

26
unmöglich einen Brief zu schreiben. Beunruhigen Sie sich nicht deshalb,

27
Wandsbeck
bei
Matthias Claudius
liebster Herder! und entschuldigen Sie mich in Wandsbeck deshalb, bey unsern

28
Freunden in der Schweitz
Lavater
,
Kaufmann
und
Ehrmann
Kleuker … Pascal
Kleukers
Übersetzung von
Pascals
Pensées
Freunden in der Schweitz, auch bey Kleuker, der mir seinen Pascal und den

29
Zend-Avesta
der 3. Teil von Kleukers Übersetzung von
Anquetil-Duperron,
Zend-Avesta, Zoroaster’s lebendiges Wort
letzten Theil der
Zend-Avesta
zugeschickt hat.

30
Versuche
mglw. Herders Beiträge zum
Teutschen Merkur
, etwa über
Hutten
oder
Kopernikus
Plastick
Herder,
Plastik
Ihre
Versuche
und
Plastick
habe verschlungen und alles übrige richtig

31
erhalten. Kanter hat wider keine Meße gemacht, und in Hartungs Laden nehme

32
nichts als für baar Geld. Ich habe also noch wenig neues vom Meßgut gesehen.

33
Gott nehme Sie, Ihre beste Hälfte und Ihr ganzes Haus in Seinen

34
gnädigen Schutz und seegne Sie täglich und reichlich.

35
Wenn es Ihnen mögl. ist so erfreuen Sie mich bald – mit ein paar Zeilen,

36
ohne sich meinetwegen zu beunruhigen. Ich hoffe daß alles zu meinem Besten

S. 27
gedeyen wird. Ich umarme Sie mit aller Innbrunst alter Freundschaft. Gott

2
Freude … August
mit den Geburtstagen Hamanns und Herders sowie einiger seiner Kinder
gebe Ihnen viel
Freude
zum bevorstehenden August und mir gute Nachrichten

3
Seine Kraft …
2 Kor 12,9
von meinem Pathchen. Seine Kraft ist in den Schwachen mächtig Amen!

Provenienz

Staatsbibliothek zu Berlin, Ms. Germ. quart. 1304, 162–163.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, V 285–288.

ZH IV 24–27, Nr. 532.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
25/12
freylich
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
freilich
25/12
ich
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
ist
26/8
Herr
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Herr,
26/20
Ver
Zutrauen
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Zutrauen
27/2
Freude
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Freude,