590
186/7
Der Brief traf am selben Tag in Königsberg ein wie
Hartknoch
von seiner Reise aus Weimar bzw. Leipzig (
s.u.
); da ein Brief zwischen 10 und 20 Tagen von Weimar nach Königsberg brauchte (vgl.
HKB 586 ( IV 175/26 )
), sandte Herder ihn wohl Mitte Mai ab.
Um Hartknoch wenigstens nicht ganz stumm u. Wortlos sein Pack abgeben

8
zu laßen, sende ich ihm diesen Brief nach: so lange er hier war, wars mir, zu

9
schreiben nicht möglich. Ich hatte meinen Stoß KirchenRechnungen eben

10
geendet u. war mit zehn andern Zerstreuungen umgeben.

11
Scherflein
Hamann,
Zwey Scherflein
; Hamann sandte das Manuskript Anfang Februar 1780 zum Druck an Herder, mit Anweisungen bezüglich der Adressaten, vgl.
HKB 580 ( IV 166/19 )
.
Ihre Scherflein, lieber H., sind bis auf 2. herumgeschickt u. besorgt, diese

12
sollen auch besorgt werden. Hier sind sie mit großer Zustimmung gelesen oder

13
vielmehr angestaunt worden: denn selten werden Sie einen Leser haben, der

14
Sie ganz u. eigentlich lieset. Der Statthalter, der Sie sehr lieb hat, hat eigen

15
dafür gedankt. Schreiben Sie doch einmal wenn Sie Lust haben an ihn: er

16
Titulatur …
Hamann hatte mehrfach nach den Briefanredeformeln gefragt, um dem hochadeligen Dalberg im Zusammenhang der
Schürze von Feigenblättern
schreiben zu können, vgl. zuletzt
HKB 581 ( IV 169/34 )
.
macht aus Titulatur u. dgl. nichts u. das Wort Excellenz ist ja das kürzeste

17
u. Zwangloseste, womit man jemand nennen kann. Auf die Ueberschrift setzen

18
Sie blos, wenn Sie deutsch schreiben, „an des HErn. Statthalters, Freiherrn

19
von Dalberg Excellenz in Erfurt,“ so schreibe ich kurz u. gut u. mache ihm im

20
Briefe weiter keine Anrede, die Excell. ausgenommen. Sonst
ist er
Chur

21
Mainzischer
Geheim.
R. u. Domherr von Mainz, Worms u. Würzburg – was sich

22
Klopst.
Klopstock
, gegen den die
Zwey Scherflein
gerichtet sind, war einer der Adressaten.
aber alles in jene Titel verliert. – Ob das Schriftchen auf Klopst. einen

23
Eindruck machen wird? Darauf bin ich begierig. Ich glaube aber nicht: er ist ein

24
Philipp Zesen
Philipp von Zesen
, nach der Invektive „Zesianismus“ in
Hamann,
Zwey Scherflein
, N III,232/6 und
HKB 576 ( IV 156/17 )
übersatter, in seinen Selbstruhm u. Dünkel verschrumpfter Philipp Zesen.

25
Wiel. … Oberon
Wieland,
Oberon
, vgl.
HKB 592 ( IV 190/6 )
Georgi, das Gesangbuch
das ‚Päckchen‘ mit
Giorgi,
Alphabetum Tibetanum missionum apostolicarum commodo editum
für die 2. Aufl. des
Konxompax
und dem
Weimarischen Gesang-Buch
, das durch
Hartungs
Nachlässigkeit in Leipzig feststeckte und nach Hamann so häufig fragte, vgl.
HKB 586 ( IV 177/20 )
.
Wiel. schickt Ihnen seinen Oberon durch Hartknoch: Georgi, das Gesangbuch,

26
Händels Meßias
Händel,
Messiah
, übersetzt von Herder, vgl.
HKB 592 ( IV 191/1 )
die Bußzettel u Händels Meßias sind von mir in seiner Hand. Ich war so

27
arm, daß ich nichts weiter zu geben wußte, u. vergaß sogar, daß ich Ihnen

28
Diderots
Essai sur la Vie de Seneque
zugedacht hatte. – Also muß es auf ein

29
andermal oder etwa was beßers statt seiner warten. Das Jahr 1780. ist für

30
mich überhaupt arm oder vielmehr noch ärger als das –
beraubend
.

31
Wenigstens bilde ichs mir so ein.

32
Von Neuigkeiten kann ich Ihnen nichts schreiben, ob ich gleich eine Anzahl

33
Prinz. August
August von Sachsen-Gotha-Altenburg (1747–1806)
durchlaufen habe. Es ist von Gotha aus durch den Prinz. August ein

34
unvollendetes Diderotsches Mscr. in meiner
Hand:
Jaques le Fataliste.
Wenn ichs

S. 187
Leßings …
Lessing,
Die Erziehung des Menschengeschlechts
, wo dieser nur als Herausgeber auftritt, vgl.
HKB 589 ( IV 182/19 )
angesehen, will ich Ihnen davon etwas melden. – Halten Sie Leßings

2
Abbts 2. neuen Theilen
Abbt,
Vermischte Werke
(hg. von
Friedrich Nicolai
), Bd. 4 und 5;
Erzieh. des Menschen von ihm selbst? Und was sagen Sie zu Abbts 2. neuen

3
abermals paradieren
Nach dem Abdruck eines Hamann-Briefes in
Abbt,
Freundschaftliche Correspondenz
; Hamann wird auch in
Abbt,
Vermischte Werke
,
Bd. 5, S. 139 erwähnt.
Theilen, wo auch Sie abermals paradieren? Mir ist Einiges davon

4
intereßanter als manches vorhergehende gewesen; indeßen
ists
dünkts mir

5
immer klein
u.
elend, nun, nach des Graf. v. Schaumb. Tode, die Briefe hinter

6
abgekürzt herausgaben
Abbt,
Freundschaftliche Correspondenz
herzustoppeln, die sie voraus abgekürzt herausgaben – blos des leidigen

7
Nabal
Friedrich Nicolai
, nach
1 Sam 25
und Hamanns Spitznamen im Untertitel der
Zweifel und Einfälle über eine Vermischte Nachricht
mit dem
Friedrich Nicolai
Gewinns wegen. Der Buchh. Nikkel ist ein wahrer Nabal an Geize. – – Melden

8
Sie mir doch, wenn Ihnen was in die Hände fällt, was auch mich intereßirt.

9
Was meinen Sie? Semmler, höre ich eben, ist in Jena, um auch hieher zu

10
kommen u. wie das Gerücht geht, um eine Stelle zu betteln. Die feigste

11
Weiberseele auf der Erde! Er hat sich hier an einen Menschen adreßirt, der von Kopf

12
zu Fuß, durch Unwißenheit gestält, sein ärgster Feind ist. Die Schlechtheit

13
geht doch bis zur Verachtung. Den Krieg, den ihm Basedow macht, werden

14
Satanas satanam rodit
dt. ein Teufel benagt (verleumdet) einen anderen Teufel; sonst nicht überliefert
Sie schon kennen.
Satanas satanam
rodit
u. das Geschreib über die Rel.

15
wird so eckel, daß man den Namen nicht hören möchte. Leben Sie wohl, lieber

16
Alter. Sie sehen meine Trockenheit u. Dürre. Erfreuen Sie mich bald mit

17
einem Ihrer belebenden Briefe.

18
Herder.


19
Viele u. die beste, zärtlichste Empfehlung von meiner Frauen. Von unserm

20
Zustande laßen Sie sich Hartknoch mündlich sagen. Wir sind wohl u. die

21
Unsern auch. Es ist mir lieb, daß ich Hartkn., so viel beßer
in
an
m
seiner

22
Gesundheit gesehn habe, und daß wir seine Frau kennen gelernt. Sie ist ein
feines,

23
sehr bestimmtes u. liebliches Geschöpf u. wir haben sie beide recht lieb. Ich

24
adieu, adieu, remember me
die schließenden Worte des Geistes in
Shakespeares
Hamlet
, I,5,91
wollte, daß auch Sie Herz zu ihr bekämen. –
adieu, adieu, remember me.


25
Adresse:

26
Herrn / Herrn J. G.
Hamann
/ in /
Königsberg


27
Vermerk von Hamann:

28
Durch HE. Hartknoch erhalten den 31 May 780.

29
Geantw …
HKB 592
Geantw. den 11
Junii Dom. III. p. Trin.

Provenienz

Staatsbibliothek zu Berlin, Ms. Germ. quart. 1304, 200.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, VI 132 f.

Herders Briefe an Joh. Georg Hamann. Im Originaltext hg. von Otto Hoffmann. Berlin 1889, 150–152.

ZH IV 186 f., Nr. 590.

Zusätze fremder Hand

187/28
–29
Johann Georg Hamann

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
186/20
ist er
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
er ist
186/21
Geheim.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Geheim
186/34
Hand:
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Hand.:
187/5
u.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
u
187/14
rodit
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
rodit,
187/22
feines,
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
feines