589
180/21
Kgsb den 12 April 780.

22
Herzlich geliebtester Landsmann, Gevatter und Freund,

23
Den letzten März hatte mir am linken Fuß Ader gelaßen, als mich unser

24
Hartknoch
Johann Friedrich Hartknoch
, auf dem Weg zur Leipziger Ostermesse und zu Herder nach Weimar
alte liebe Hartknoch besuchte. Noch denselben Abend meldete sich ein

25
Flußfieber
vgl.
Krünitz
, Tl. 14, S. 420, s.v. ‚Flußfieber‘: „Febris catarrhalis, ein nachlaßendes Fieber, welches sich mit Flüssen auf der Brust vereinigt. Man macht einen Unterschied unter ein gutartigen [Catarrh] und bösartigem Flußfieber.“
Flußfieber, das die Natur von selbst durch die
Transpiration
fortzuschaffen schien.

26
Heute
Gestern vor acht Tagen nahm mir die Binde ab, weil sie mir abfallen

27
wollte, u merkte eine Spannung, die den andern Tag in einen ganz neuen u

28
empfindl. Schmerz übergieng in dem großen linken Zeh, und von da bald in

29
den rechten. Drey Tage habe mit diesem Anfall von Zipperlein zu schaffen

30
gehabt. Sonntags war alles erträglich und heute bin Gottlob! zum ersten mal

31
ältesten Tochter
Elisabeth Regina Hamann
von meinem Lager förmlich aufgestanden, am Geburtstage meiner ältesten

32
Tochter, die Gottlob! ihr 9tes Jahr antritt.

33
Billet
HKB 588
vom 4. April
Schickte noch meinen Sohn den 4
huj.
des Morgens mit einem
Billet
an

34
Freund Hartknoch; das ich auf dem Bette geschrieben hatte, erhielt es aber

S. 181
wieder zurück mit der Nachricht daß er den Nachmittag vorher schon abgereist.

2
podagrischen Briefe
wegen des zuvor geschilderten Gicht-Anfalls
Ich hoffe also, daß seine Gegenwart meinem podagrischen Briefe zuvor

3
Sohn zum Buchhändler verkauft
vgl.
HKB 588 ( IV 179/29 )
kommen wird. Ich hab ihm meinen Sohn zum Buchhändler verkauft, und diese

4
somnia aegri
dt. Träume eines Kranken, nach
Hor.
ars.
, 7
Idee ist für mich ein wahrer Zeitvertreib gewesen, weil meine
somnia aegri

5
sich alle darauf bezogen, welches mir die Zeit sehr angenehm verkürzt und in

6
einem wohlthätigen Schweiß erhalten, weil meine Gedanken immer von Riga

7
nach Kgsberg hin u zurück liefen und gar schon im Geist meinen jungen

8
Marschroute
über Leipzig nach Weimar zur Herder
Buchhändler auf seiner ersten Leipziger Meße begleiteten. Unsere Marschroute

9
können Sie sich leicht vorstellen.


10
Den 24 –

11
Denke mit dem Ende dieser Woche auszugehen und Kreutzfeld wird den

12
Kypkeschen Catalog
der Katalog für die Versteigerung der Bibliothek des verstorbenen
Georg David Kypke
, vgl.
HKB 586 ( IV 175/35 )
Kypkeschen
Catalog
befördern, daher ich diesen Brief als Beyl. fertig halten

13
will. Bin Gottlob! von Schmerzen ganz befreyt, noch etwas weniges von

14
Geschwulst im linken Zeh. Die
Auction
wird glaub ich zu Anfang des
Jun.

15
Josephus
Flavius Josephus
Hesychii Lexicon
Hesychius,
Lexicon
angesetzt seyn.
Josephus
u
Hesychii Lexicon
möchten die einzigen Bücher

16
seyn, welche ich mir wünschte. Den ersten als einen Gesellen des
Philo
u den

17
Κογξομπαξ
Hesychius,
Lexicon
als Quelle bei der Suche nach dem Ursprung des Wortes
Konxompax
, vgl.
HKB 560 ( IV 93/3 )
zweyten zu meinem
Pollux
u wegen des Worts
Κογξομπαξ
. Vom
Josepho
ist

18
Fabricii Ausgabe
wohl in
Fabricius,
Bibliotheca graeca
über
Ios.,
ant. Iud.
?!?
bey Ihrem Maran Atha gebraucht
Herder,
Maran Atha
, vgl.
HKB 573 ( IV 138/33 )
des
Fabricii
Ausgabe, die ich bereits bey Ihrem
Maran Atha
gebraucht, der

19
mein anderes Labsal bey meinem Flußfieber gewesen ist u den ich zum dritten

20
coll’amore
dt. mit Liebe
mal
coll’amore
gelesen habe und tiefer in die Oeconomie ihres Plans

21
lucidus ordo cum facundia
nach
Hor.
ars.
, 40f.: „cui lecta potenter erit res, / nec facundia deseret hunc, nec lucidus ordo“; Übers.: „Wer ein Thema im Rahmen seiner Fähigkeiten wählt, dem wird es weder an einer gewandten Diktion noch an einer klaren Struktur fehlen.“
geguckt, deßen
lucidus ordo cum facundia
mich wegen meiner Zweifel mehr

22
Anmerkungen
vgl.
HKB 574 ( IV 147/5 )
beruhigt. Ich nehme daher einen Theil meiner Anmerkungen zurück, weil ich

23
Sie und Ihren Sinn gegenwärtig beßer zu verstehen glaube. Er ist noch immer

24
Kopfküßen
vgl.
mein Kopfküßen; bisher habe noch nichts von
Recension
en gesehen

25
ohngeachtet meiner ungedultigen Neugierden darnach.

26
Jubilate
16. April 1780
nexum idearum
Gedankenverbindung
Am Sonntag
Jubilate
verfiel ich durch einen eigenen
nexum idearum
auf

27
den Einfall Luthers Schriften zu lesen u bin heute mit dem 1. Theil der

28
incomplet
laut
Biga
 18/27: „Martin Luther’s Schriften, Th. I. II. IV–VIII. Jen. 555–62“ fehlte der 3. Teil
Jenaischen deutschen Ausgabe fertig geworden, die ich leider
incomplet
besitze. Ich

29
habe mich wie ein Schwamm daran voll gesogen, denke nicht nur

30
fortzufahren sondern auch die
Walch
sche Ausgabe hier zum Gebrauch aufzutreiben.

31
Sind wir nicht wider auf eben den Fleck, von dem er ausgegangen?

32
Wormser Reichstag … Melice
Vgl. die Liste der Anwesenden beim Reichstag zu Worms (1521) in
Luther,
Schriften (Jena 1555–1558)
, Bd. 1, fol. 482v–485v:
Was für Kur und Fürsten / Bischoue / Herrn / Grauen und Bottschaften auff diesem ersten Keiserlichen Reichstag zu Wormbs des Röm. Key. Herrn Carols des Fünfften etc. gewesen seien.“
– Dort fol. 484r befindet sich „Des Königs von Melice botschafft“ (gleichlautend in der Ausgabe
Jena 1575, Bd. 1, fol. 439r
); wohl ein Druckfehler oder eine fehlerhafte Namenslesung, bezieht sich jedenfalls auf kein reales Königreich.
Ich muß Ihnen eine einfältige Frage thun. Auf dem Wormser Reichstag

33
war auch ein
Bothschafter des Königs von
Melice
– Ich schäme mich selbst

34
meiner Unwißenheit, diesen König nicht herausbringen zu können. In der

35
Schulmann
nicht ermittelt
Angst frug ich gestern einen geschickten Schulmann der mich besuchte, aber

36
mir auch keinen Bescheid zu geben wuste.

S. 182
Mein Sohn fand auch neulich ein Wort, das 3 mal in einem

2
Anschlagzeddel des Luthers vorkam u welches weder ich noch Kreutzfeld herausbringen

3
SpectHuren …
In Luthers
Ernste Verman und Warnschrifft D.M.L. an die Studenten zu Wittemberg / sich für den Speckt Huren zu hüten / offentlich an der Kirchen angeschlagen / 13. Maij Anno M.D.XLIII.
, in:
Luther,
Schriften (Jena 1555–1558)
, Bd. 8,  117v–118v (ebenso
Jena 1575, Bd. 8, fol. 172r
). – ‚Speckt‘ bezieht sich wohl auf ein Gebiet ‚an der Specke‘ in Wittenberg zwischen Labetz und der Elstervorstadt, wo die Studenten zu Prostituierten gingen und sich mit Syphilis ansteckten, wogegen sich Luthers moralischer Aufruf in der Warnschrift richtet.
konnten. SpectHuren, SpectStudenten, der Churfürst würde seinen
Spect

4
und
Fischerey
wol rein zu halten wißen.

5
Außer dem
Intermezzo
des Luthers hab ich mit meinem Sohn sehr fleißig

6
Horazischen Oden
Hor.
carm.
seyn können. Das erste Buch der Horazischen Oden zu Ende gebracht; aber

7
Ouidii Metamorphoses
Ov.
met.
wegen der ewigen Anspielungen auf mythologische Namen
Ouidii

8
Metamorphoses
vorgenommen; u durch einen Zufall des
Gesneri
I
h
sagoge
nun erst

9
Gesneri Isagoge … Niclas Ausgabe
Gesner,
Isagoges
kennen gelernt nach
Niclas
Ausgabe mit seinen Vorlesungen, die ich mit ihm

10
durchpeitsche – und deshalb
Ernesti Initia
ausgesetzt habe, wo wir in der

11
Ontologie
stehen geblieben. Wie ich beym Widerausgehen alles werde mit ihm

12
bestreiten können, weiß der liebe Gott. Wir werden uns vielleicht beyde freuen,

13
einander loß zu werden.

14
Nun liebster Herder! ich kann nicht schreiben – vor Armuth des Geistes.

15
Nun Hartknoch …
Johann Friedrich Hartknoch
, nach seiner Rückkehr aus Weimar über Königsberg nach Riga, vgl.
HKB 592 ( IV 190/4 )
Nun Hartknoch wird mich mit guten Nachrichten von Ihnen u Ihrem ganzen

16
Hause beseeligen – auch wird sein Sohn mit Füeßli durchgehen, daß ich mir

17
also allerhand wider die lange Weile und zum Genuß des funfzigsten

18
Sommers in meinem Leben versprechen kann. Gestern brachten mir Juden die

19
Schrift, welche Leßing zum Druck befördert über die Erziehung des menschl.

20
Verf.
Lessing tritt dort nur als Herausgeber auf
Geschlechts. Ich habe selbige blos ansehen können. Wißen Sie den Verf.

21
summus φφus
antikisierende, scheinbare Ehrenbezeichnung: ‚der höchste Philosoph‘, nun ‚der höchste Pädagoge‘
nicht? Einst
summus
φφ
us;
nun
summus Paedagogus.
Nichts als

22
Schiblemini
Transkription und Komposition von hebr. שֵׁב לִימִינִי (
Ps 110,1
): ‚sitze zu meiner Rechten‘. Gemeint ist der Schutzgeist (oder Spiritu familiari)
Luthers
in den Disputationen mit seinen Widersachern; dieser sei laut
Keil,
Des seel. Zeugen Gottes, D. Martin Luthers, merkwürdige Lebens-Umstände
, S. 69 nicht, wie von jenen behauptet, der Teufel gewesen, sondern „sein Scheblimini der Sohn Gottes, der da sitzet zur rechten Hand Gottes“, vgl. auch
Hilscher,
Scheblimini
, S. 37. – Zugleich spielte der 110. Psalm in der typologischen Deutung des Alten Testaments eine wichtige Rolle in zeitgenössischen Diskussionen. Luther verstand die Sprechersituation im ersten Vers („Der HERR sprach zu meinem Herrn“) als Anrede Gottes an Christus im Sinne der Zweinaturenlehre und ‚Scheblimini‘ entsprechend als Erhöhung Jesu zu und zum Gott (vgl.
Luthers
Predigt über den 110. Psalm,
WA 41, S. 82–88
). – Hamanns Luther-Lektüre von Anfang 1780 wird später für ihn im Kontext von
Golgatha und Scheblimini
wichtig, vgl. zunächst auch
HKB 592 ( IV 195/24 )
.
Ideenwanderung in neue Formeln u Wörter. Kein
Schiblemini
, kein rechter

23
Magnificat
biblischer Hymnus nach
Lk 1,46
Reformationsgeist, keine Empfängnis, die ein
Magnificat
verdiente.

24
Grund u Ursache …
Grund und vrsach aller Artikel D. Mart. Luthers / so durch Römische Bulla vnrechtlich verdampt sind. M.D.XX.
, in:
Luther,
Schriften (Jena 1555–1558)
, fol. 367r–392v
Im
Grund u Ursache aller Articul die in der Bulle verdammt
freut

25
„Dieses Leben …
Luther,
Schriften (Jena 1555–1558)
,374r und (in der Ausgabe
Jena 1575, fol. 406v
)
ich mich, ungefehr wie Luther über das
Fiat
gedacht zu haben. „Dieses Leben

26
ist nicht ein Frömkeit, sonder ein Frum
werden
, nicht ein Gesundheit,

27
sondern ein Gesund
werden
, nicht ein Wesen, sondern ein
Werden
Wir sinds

28
noch nicht, wir
werdens
aber. Es ist noch nicht gethan und geschehen, es ist

29
aber im gang u schwang – es glüht und glinzt noch nicht alles, es fegt sich

30
aber alles.“

31
Censur u Abdruck
von
Hamann,
Zwey Scherflein
(vgl.
HKB 580 ( IV 165/20 )
und die Provenienz-Beschreibung)
Nun ich hoffe, daß Ihnen
Censur u Abdruck
der beyden Bogen keinen

32
Verdrus gemacht haben wird – und daß Hartknoch vielleicht auch Ueberbringer

33
seyn wird.

34
Hab ich Ihnen schon einen kleinen Schreibfehler in einer Zahl bemerkt

35
M. Atha …
In
Herder,
Maran Atha
, ED, S. 86 ist zunächst von 1400 umgekommen Juden die Rede, kurz darauf von 4200 Leichen in der See; Grundlage für die Unklarheit sind wohl verschiedene Opferzahlen in der Stelle bei
Ios.,
bell. Iud.
, 3,9,3.
p.
86. Ihres
M. Atha,
wo statt 1400 die zu Joppe umgekommen 8400, oder

36
haben Sie es Selbst in meinem Exemplar corrigirt? Nichts hat mir so sehr

37
Simon Gorionides …
Herder behandelt in
Maran Atha
,
ED, S. 92–94
die Raubzüge des Schimon bar Giora im Zusammenhang des Bildes der gepanzerten Heuschrecken aus
Offb 9,7
. – Auf S. 93, Anm. z zitiert er aus
Ios.,
bell. Iud.
, 4,7,2 (
„τεταρτον κακον προς την του εθνους καταλησιν“
, Übers. ‚das vierte Übel, das zum Untergang des Volkes beitrug‘). – In
Ios.,
bell. Iud.
, 4,9,7 findet sich indessen tatsächlich der Vergleich der Raubzüge des Simon Gorionides mit Heuschrecken (
„Et quemadmodum post locustas cernere est silvas frondibus nudatas, sic etiam qua Simonis transisset exercitus, a tergo solitudinem relinquebat […]“,
Übers. ‚Und wie man nach einem Heuschreckenschwarm die Wälder ihrer Blätter beraubt sieht, so war auch überall dort, wo Simons Heer hindurchgezogen war, eine Einöde‘).
aufgefallen als daß
Josephus
den Simon Gorionides ausdrückl. mit

S. 183
Heuschrecken vergleicht, u mich hat gewundert, daß sie nicht diese Stelle statt des

2
τεταρτον κακον
angeführt.

3
Wie gern wünschte ich, daß Sie an die Fortsetzung u
Vollendung
Ihrer

4
Urkunde dächten, wär es auch nur nach verjüngtem Maasstabe.

5
Mendelssohns
Genesis
soll unterwegs seyn. Mein zufälliger Verkehr mit seinen

6
Landesleuten scheint zuzunehmen,
meiner Glaubensbrüder
wird immer weniger;

7
junge Officire
wie
Hans Jakob v. Auerswald
dafür einige junge
Offici
re – und so leb ich in einem stetigen Wirbel von Grillen

8
und äußerl. Umständen, die mich fortreißen, zerstreuen und verhindern zu

9
einem Plan zu gelangen und demselben treu zu bleiben. Bey der grösten

10
Muße, kein Herr von meiner Zeit. Anlagen ohne Zweck, ohne Ziel, ohne Kraft,

11
ohne rechte Bestimmung.

12
Meine Lagergeldeinnahme ist wegen des schwindsüchtigen, in letzten Zügen

13
liegenden Handels so mager geworden, daß selbige kaum mein Gehalt

14
beträgt und betragen wird am Ende des May, wo sich unser Finanzjahr schließt.

15
Außer dem heiml. Verdruß darüber hab ich die Besorgnis entweder mein

16
Gehalt geschmälert oder mich mit neuen Plackereyen einmal beladen zu sehen;

17
denn daß meine Muße ein Dorn in anderer Augen ist, läßt sich leicht erachten.

18
Und so leb ich immer in Furcht vor andern, und vielleicht andere vor mir.

19
Kurz ich traue weder Dingen noch meinem Urtheil mehr, weil ich alles für

20
Phänomene und Meteoren meiner Hypochondrie ansehe.

21
Unsers Ministers deutsche u französische Schrift über die Qvinteßenz aller

22
Falk … Gräber der Vorfahren
Lessing,
Ernst und Falk
, Gespräche 4 und 5 (1781), S. 7 (Hamann zitiert offenbar aus dem Manuskript, vgl.
HKB 586 ( IV 174/22 )
)
europäischen Monarchien habe fleißig studiert. Aber, wie Falk sagt, haben die

23
Gräber der Vorfahren
kein Feuer für mich, sondern sind Staub u Asche.

24
Wie überzeugt unsre zeitige Politik von ihrer Unsterblichkeit ist! Die neuen

25
paroissent devoir …
dt. sie scheinen so lange zu dauern, wie die gegenwärtige Welt besteht;
Hertzberg,
Causes de la supériorité des germains sur les romains
, S. 30
macedonischen Monarchien
paroissent devoir durer avec le monde present,

26
weißagt der Verfaßer an zwey Stellen.

27
Commission
bestehend aus
Gaudy
und dem Geheimen Finanzrat Tarrach, vgl.
HKB 586 ( IV 178/18 )
Neulich ist eine
Commission
hier gewesen, den Verfall des Handels zu

28
untersuchen. Der Minister hat wacker
debattirt
u
protocollirt
zum Erstaunen

29
der Kaufleute, in einem Othem von 8–2 Uhr Nachm. unterdeßen unser alte

30
alte OberPräsident
wohl
Jakob Friedrich von Rohd
OberPräsident sanft geschlummert. Bisher ist noch nichts erfolgt u was

31
molimina der güldnen Ader statt der Cur
Anstrengung der Hämorrhoiden anstatt eine Besserung des Handels?!? Henkels Erklärung auch eher albern: die königlichen Beamten mit und als Hämorrhoiden, die die Bürger weiterhin zur Ader lassen.
kann man erwarten als neue
molimina
der güldnen Ader statt der Cur. Also

32
Schlafen ist das beste Theil bey gegenwärtiger Lage, u beßer denn Spuken.

33
Das Klügste wird wol seyn meinen gichtbrüchigen Brief zu schließen. Von

34
wem sind doch die Briefe eines Frauenzimmers aus dem 15
Saec.
Sie haben

35
mir eine angenehme Stunde auf dem Bette gemacht u musten aus Danzig

36
St. Affrenstag
Nach der Märtyrerin Afra von Augsburg (gest. 304 n. Chr.); ihr Gedenktag ist der 7. August; der Tag wird in
Stetten,
Briefe eines Frauenzimmers, aus dem fünfzehenden Jahrhundert
, S. 12 erwähnt und war wohl nur lokal bekannt.
verschrieben werden. St. Affrenstag ist mir auch unbekant geblieben. Nach den

37
Catalogs
der Katalog für die Versteigerung der Bibliothek des verstorbenen
Georg David Kypke
,
s.o.
3 Bogen des
Catalog
s, die ich bisher nur gesehen, dörfte kaum etwas für Sie

S. 184
seyn. Allenfalls bitte mir Ihre Aufträge bey Zeiten aus. Ohngeachtet ich

2
weder eine
Auction
abwarte noch warten kann: so wird doch
Prof.
so gut

3
seyn u darauf in Ihrem u
eignem
meinem
Namen darauf wachen.

4
Vielleicht ist etwas unter den Rabbinen, deren Verzeichnis ich noch nicht gelesen, –

5
seel. Mann
Georg David Kypke
das beste hat der seel. Mann schon vor vielen Jahren verkauft zu seinem

6
Bau.

7
Nun Gott bescheere uns bald den ehrl. Hartknoch her, nach dem ich schmachte.

8
Gesangbuch
das
Weimarischen Gesang-Buch
aus dem ‚Päckchen‘, vgl.
HKB 586 ( IV 177/20 )
Pathchen
Siegmund
August
Wolfgang Herder
, wegen des ausbleibenden Besuchs, vgl.
HKB 586 ( IV 174/33 )
Ihr Gesangbuch nicht zu vergeßen. Ich schäm mich vor meinem Pathchen –

9
unterdeßen tröst ich mich damit noch ein alter Mann zu werden und mich vor

10
meinem Ende zu beßern. Tausend Seegen über Sie, Ehr und
Liebwürdigster

11
Weinstock … Ölzweige
Ps 128, 3
Gevatter, und über den fruchtbaren Weinstock um Dein Haus herum und

12
über die Oelzweige um Deinen Tisch! Amen!

13
Loge
Hamanns Arbeitsraum am
Licent
, vgl.
HKB 484 ( III 306/18 )
; wohl leicht ironisch-abfällige Bezeichnung (vgl.
Krünitz
, s.v. Loge: „eine Hütte, ein kleiner mit Brettern verschlagener Raum, ein Hundestall, eine Schiffskammer etc. etc. heißt“), ohne Bezug auf Freimaurer- oder Theaterlogen.
Uebermorgen den 27 denk ich wieder auf meine Loge zu gehen; u morgen

14
Assmus …
Matthias Claudius
, dessen Brief, der 26. Januar in Königsberg ankam, nicht überliefert ist, vgl.
HKB 578 ( IV 162/16 )
an
Assmus
zu schreiben, dem ich seit dem 26 Jänner eine Antwort schuldig

15
bin – Schweig ich länger, wie gewöhnlich: so liegt die Schuld nicht an meinem

16
Schildwache
Hamanns Dienst als
Packhofverwalter am Königsberger Licent
guten Willen. Meine Schildwache geht von Morgen 7 bis Mittag; von 2 bis

17
6 des Abends im Sommer. Im Ab- und Zu-gehen eine
Lection
im N. T. im

18
Ouidio,
im
Sueton,
im
Plato,
in
Gesner
oder
Ernesti
im Hebräischen. Selten

19
ein Tag, wie heute, ohne allen Zuspruch, wenn es auch Israeliten, Samariter

20
Crethi und Plethi
u.a.
2 Sam 8,18
und Crethi und Plethi sind. Bleiben noch die
Sonntage
zu geheimen

21
Schiblemini
zur
Luther-
Lektüre,
s.o.
Conferenzen mit dem
Schiblemini
übrig, mit dem ich diesen Sommer über

22
fortzufahren denke.

23
Gottlob! mein klein Gesindel befindt sich nach Wunsch, Lehnchen

24
ausgenommen, die einen häßl. Ausschlag auf dem Leibe u am Gesichte hat.

25
Marianchen schilt alles
tumm
, was ihr nicht nach dem Sinn ist. Sie scheint es nicht so

26
böse zu meynen, sondern braucht den Ton nur als ein Flickwort, dergl. der

27
Vater hat, wenn er nichts rechts zu sagen
weiß

28
Um kein Blatt vor dem Munde zu nehmen, wißen Sie, was mich so tumm

29
und stumm macht an Sie zu schreiben, alter lieber Freund! Daß ich für die

30
hundert Freuden
, die Sie nicht ermüden mir zu machen, mich nicht auf die

31
kleinste Gegenfreude besinnen kann – Meine Empfindlichkeit bringt mich noch

32
um all mein Gefühl, und mein tummer Stoltz zieht selbst Niederträchtigkeit

33
der Eitelkeit vor. Nun gute Nacht zum Lebewohl von Ihrem

34
Johann Georg Hamann

35
Den 25 April 80.


S. 185
Dom. Rogate
30. April 1780
Dom. Rogate

2
ganzen Catalog
den Katalog für die Versteigerung der Bibliothek des verstorbenen
Georg David Kypke
,
s.o.
Habe den
ganzen
Catalog
erst vor ein paar Tagen zu sehen bekommen mit

3
der Nachricht, daß morgen die
Exemplaria
abgehen sollen. Bin angezeigter

4
maaßen zum ersten mal ausgegangen aber nicht weiter als die paar Schritt

5
nach meiner Loge. Habe mancherley Unruhen gehabt, unter andern daß mein

6
Haus von außen abgeputzt worden. Gestern durch Lauson einen Gruß vom

7
Patron des jungen Berens
David Heinrich Kenkel
, bei dem
Arend Berens
in die Lehre ging
Patron des jungen Berens mit der betrübten Nachricht, daß er ihn morgen

8
nach Hause schicken müste, weil er mit lauter Selbstmord umgienge. Ich

9
Vater Karl
Carl Berens
beklage den armen Vater Karl – Nunmehr wird man leider! von beyden

10
Theilen, neml. hier u dort, zu spät einsehen, daß ich es damals gut gemeint, da

11
ich auf schleunige Rückreise drung. Jetzt
muß
es doch geschehen, was damals

12
mit beßerer
Art
u
Wirkung
hätte zu
rechter Zeit
gethan werden können. Ich

13
kenne dergl. Patienten aus trauriger Selbsterfahrung, wie Sie wißen.

14
allergerechteste Breve vom 14 huj.
Der Zusammenhang ist etwas unklar. Vmtl. ist ein Erlass
Friedrichs II.
oder eine Anweisung der
Generaladministration
an die Königsberger Zollbeamten im Kontext des Berichts über die Ursachen des Niedergangs des ostpreußischen Handels gemeint, vgl.
HKB 586 ( IV 178/18 )
und
HKB 592 ( IV 192/24 )
.
Gestern habe zum ersten mal das allergerechteste
Breve
vom 14
huj.

15
gelesen, und kann mich gar nicht satt lesen. Ist heute leider meine Metten

16
gewesen. Die rauhe Witterung erlaubt mir nicht auszugehen. Meine autorl.

17
Eingeweide sind bey dieser Gelegenheit in Wallung gerathen das Schicksal

18
jüngsten unzeitigen Geburt
wohl
Hamann,
Zwey Scherflein
meiner jüngsten unzeitigen Geburt bald entschieden zu sehen, wegen der

19
africanische Ebentheuer
nach nach
Plin.
nat.
,7,17,42 „ex Africa semper aliquid novi“
vielen Anspielungen auf dies neue africanische Ebentheuer.

20
Mendelssohn
Genesis
ist wohl Hebräisch aber noch nicht deutsch hier. Diese

21
Woche kommt auch wol der Meß
catalog
an. Mein gewesener Widersacher
D.

22
Laubmeier
Johann Benjamin Laubmeyer
, im Streit mit den
Blomschen Erben
Penzels
Abraham Jakob Penzel
, mit dem der Kontakt nach seiner Desertion kaum noch möglich und von Hamann auch nicht gewollt war
Laubmeier
hat mich diese Woche besucht von Penzels wegen. Sollte

23
Vater
Johann Jakob Penzel
in Jeßnitz (etwa 20km südlich von Dessau)
Hartknoch durch
Jeschnitz
gehen; so wünschte ich daß er den Vater u noch mehr

24
Schwester, die jüngste
Marie Sophie Penzel
(sie war die ältere der beiden Schwestern, aber jünger als der Bruder)
seine Schwester, die jüngste, kennen lernte. Ich habe einen Brief von ihr
in

25
depot,
der ein Meisterstück ist. Der Bruder machte einen Abgott aus ihr. Ich

26
habe ihm gänzl. entsagt. Pleßing hat ein hartes Lager hier gehabt u kam gestern

27
morbi regii
meint hier Gelbsucht und wurde früher häufig dafür verwendet (jedoch auch für andere Krankheiten, die man durch eine Berührung des Königs zu heilen hoffte), vgl. etwa den Titel dieser
Dissertatio Inavgvralis Medica Sistens Pathologiam Et Therapiam Icteri Sive Morbi Regii
(Erfurt 1727)
wie ein schwarzgelbes Gespenst
morbi regii
um Abschied zu nehmen nach

28
Graudentz zur Cur, die mir sehr mißlich scheint. Seine Krankheit hat sein

29
blödes Gesicht
gemeint ist wohl in erster Linie eine Augenschwäche
blödes Gesicht ganz unbrauchbar zum Lesen gemacht. Er hat ohn Gesellschaft

30
auch leben müßen. Ein wenig Bekanntschaft hat er mir noch zu danken.

31
Natürliches Mitleiden ausgenommen, sind wir übrigens vermuthlich geschiedene

32
Leute. Sein Geschmack ist
cavalierement
u meiner
servilement
zu leben.

33
Jenes ist Knechtschaft u dies Freyheit für mich.

34
Schiblemini
s.o.
Nun der heilige Schiblemini helf Ihnen, bester Herder! und mir. Ich

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glaube daß ist der siebente Brief, den ich Ihnen in diesem Jahre geschrieben, und

36
andere Brief
mit dem ‚Päckchen‘ (vgl.
HKB 586 ( IV 177/20 )
) und den Drucken der
Zwey Scherflein
keiner der Rede werth. Erhalten Sie mir Ihre Freundschaft – Der andere

S. 186
Brief von Ihnen wird eben so zu rechter Zeit kommen als der
erste und
meine

2
Gevatterin
Caroline Herder
Freude vollkommen
machen. Meiner verehrungswürdigsten Gevatterin

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Paracletae
weibliche Trösterin bzw. Beistand
und
Paracletae
die herzlichste Empfehlung!!! Gott seegne Sie und alle die

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Ihrigen, ist mein tägliches Gebet und Wünschen, und alles übrige Seiner

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väterlichen Vorsorge und Regierung anheim gestellt. Ich ersterbe Ihr alter.

Provenienz

Staatsbibliothek zu Berlin, Ms. Germ. quart. 1304, 198–199.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, VI 125–132.

ZH IV 180–186, Nr. 589.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
181/17
Pollux
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Pollux,
182/8
I
h
sagoge
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Isagoge
182/21
φφ
us;
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Philosophus,
182/27
Werden
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Werden
. –
183/6
meiner […] Glaubensbrüder]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
meiner
Glaubensbrüder
184/3
eignem
meinem
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
meinem
eignem
184/10
Liebwürdigster
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Liebewürdigster
184/18
Ernesti
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Ernesti,
184/20
Sonntage
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Sonntage,
184/27
weiß
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
weiß.
185/23
Jeschnitz
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Jeßnitz
185/24
in
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
in
186/1
erste und
meine
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
erste
meine